Einige Großinsolvenzen in den letzten Monaten von Firmen wie KIKA/Leiner oder Forstinger sind aufgrund der zahlreichen Berichterstattung der Medien wohl allen Wirtschaftsinteressierten bekannt. Wie ist es um die österreichischen Privathaushalte bestellt?
In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 haben die Firmeninsolvenzen generell bereits das Niveau von 2019 (vor der Pandemie) übertroffen und befindet sich damit auf dem Höchststand der letzten fünf Jahre.
Die Privatinsolvenzen liegen hingegen trotz großer finanzieller Probleme breiter Teile der Bevölkerung hinter den Zahlen vor der Pandemie.
Die eröffneten Schuldenregulierungsverfahren (inklusive Gesamtvollstreckungsverfahren) haben zwar im 1.-3. Quartal 2023 (6.647) gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022 (6.208) um 7,1 % zugenommen.
Trotz der Erleichterungen bei Entschuldungen aufgrund einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2021 liegt die Anzahl der eröffneten Privatinsolvenzverfahren jedoch immer noch weit hinter den Vergleichswerten der Jahre 2018 (7.796) und 2019 (7.184)*. Das tatsächliche Ausmaß dieser Wirtschaftskrise für die österreichische Bevölkerung findet sich daher in den aktuellen Privatinsolvenzen noch nicht wieder.
trend. hat dazu einen Experten zum Interview gebeten: Mag. Hans Musser ist Geschäftsführer des AKV EUROPA.
*Quelle: AKV
Worauf führen Sie dies zurück?
Dies liegt daran, dass Verbindlichkeiten, die in einer Privatinsolvenz reguliert und schließlich entschuldet werden, zu einem großen Teil von den betroffenen Menschen viele Jahre mitgetragen werden, bevor es zu einem Privatinsolvenzverfahren kommt.
Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der ASB Schuldnerberatungen Gmbh begleiten die österreichischen Schuldnerberatungen durchschnittlich 70% aller Privatkonkurse. Um Ihnen eine Zahl zu geben: die zehn staatlich anerkannten Schuldnerberatungen haben im Vorjahr ca. 56.000 Personen unterstützt.
Seit Anfang 2023 haben die Schuldnerberatungen teilweise eine Verdoppelung der Erstberatungen im Vergleich zum Anfang 2022. Wobei die Betonung hier auf Erstberatungen liegt: Dies bedeutet, dass für Schuldner - bis die Entscheidung fällt in ein Schulden-regulierungsverfahren zu gehen - noch einige Zeit vergeht.
Wie hat sich die hohe Inflation auf die österreichischen Privathaushalte ausgewirkt?
Hinzu kommt, dass die rasant angestiegene Inflation dazu geführt hat, dass sich die finanzielle Situation einiger Österreicher und Österreicherinnen so plötzlich verschlechtert hat, dass der Fokus von Schuldenberatungen nicht mehr in der Schuldenregulierung, sondern in der Verhinderung von Neu- bzw. Mehrverschuldung liegt.
Die überbordende Teuerung durch die Inflation hat vielfach Mehrausgaben von mehreren Hundert Euro pro Monat ausgelöst. Dies betrifft aber nicht nur einkommensschwache Menschen. Durch die gestiegenen Kosten für Miete, Strom, Lebensmittel etc. und dazu gestiegene Kreditzinsen stellen für zahlreiche Privathaushalte ein reelles Problem dar und es kann mittlerweile auch für jene finanziell eng werden, die sich bisher das Leben gut leisten konnten.
Die rückläufige Kaufkraft privater Haushalte wird somit auch zum wirtschaftlichen Problem für die heimischen Unternehmen, die nun bei sinkenden Umsätzen mit hohen Gehalts-forderungen aufgrund der Inflation konfrontiert sind.
Wie muss man sich den „typischen“ Insolvenzbetroffenen vorstellen?
Die meisten Insolvenzfälle (3.283) werden in der Alterskategorie der 40 bis 59 jährigen Schuldner verzeichnet.
Auffallend ist zuletzt jedoch die Steigerung der Insolvenzfälle junger Frauen unter 24 Jahren. Während in allen Alterskategorien Frauen nur 38,7 % der Schuldner ausmachen, repräsentieren Frauen bereits 50 % der unter 24- jährigen Privatschuldner.
Mit steigender Altersgruppe steigt auch die Durchschnittsverschuldung.
Ist österreichweit die Durchschnittsverschuldung bei Privatinsolvenzen gleich verteilt?
Nein, diese ist abhängig von den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, wie die Grafik zeigt.
Weitere interaktive Diagramme zum Thema gibt es hier:
https://www.akv.at/newsroom-sb/statistiken
Wie ist die Durchschnittsverschuldung einzelner Altersgruppen?
Die nachstehende Tabelle zeigt die Anzahl der Privatinsolvenzverfahren, samt durchschnittlicher Schulden pro Alterskategorie:
Insolvenzfälle | 1.-3. Quartal | 2023 | 2022 | Durchschnittsverschuldung |
---|---|---|---|---|
Total Männlich Weiblich | 6.647 4.076 2.571 | (6.208) (3.968) (2.240) | 127.400,00 162.700,00 71.400,00 | |
bis 24 Jahre | Total | 132 | (115) | 53.100,00 |
25 - 39 Jahre | Total | 2.301 | (2.096) | 68.100,00 |
40 - 59 Jahre | Total | 3.283 | (3.150) | 116.600,00 |
60 + Jahre | Total | 931 | (847) | 322.500,00 |
Hervorzuheben ist, dass die Durchschnittsverschuldung der Schuldner unter 24 Jahren von EUR 31.400.- auf EUR 53.100.- gestiegen ist.
Während bei den älteren Insolvenzschuldnern insbesondere eine gescheiterte Selbständigkeit, eine jahrelange Arbeitslosigkeit und (insbesondere bei Frauen) eine Scheidung oder Trennung von Lebenspartnern als Hauptursachen für eine Privatinsolvenz angegeben werden, handelt es sich bei den jüngsten Insolvenzschuldnern vermehrt um Konsumschulden. Insbesondere Verbindlichkeiten aus dem Onlinehandel können zunehmend beobachtet werden. Durch Ratenkäufe und Verzugsfolgen geht ein Überblick über die Finanzsituation verloren, so dass man sich relativ schnell in einer „Schuldenfalle“ befinden kann.
Wie schätzen Sie die Tendenz für die nächsten zwei Jahre ein?
Aus unserer Sicht wird es sicherlich zu einer Ausweitung der Privatinsolvenzeröffnungen kommen.