In Kooperation mit Wien Energie
TREND: Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2040, auch „Grüne Null“ genannt, hat die Politik sich selbst und der Wien Energie eine hohe Latte gelegt. Wie geht man als Wien-Energie-Chef mit diesen Vorgaben um?
MICHAEL STREBL: Es ist in erster Linie eine schöne Herausforderung. Mit dem Plan, der aus der Studie abgeleitet ist, wissen wir, wohin wir müssen, wir kennen noch nicht alle Wege im Detail. Es wird Abzweigungen geben, es werden Stoppschilder auftauchen, wir werden Sackgassen vermeiden müssen. Dafür muss man sich Teilziele setzen. Oft pendelt die Diskussion zwischen zwei Polen: der fatalistischen Ansicht, dass es eh nicht mehr möglich ist, den Klimawandel zu stoppen auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite der Haltung, dass man nur fest daran glauben muss, und alle Probleme werden sich von selbst lösen. Wir haben langjährige Erfahrung mit Klimaschutz in Form der Photovoltaik, der Kraft-Wärme-Kopplung, mit Fernwärme und mit vielem mehr, wir können das leisten, wir können das umsetzen. Wir gehen den Weg in Richtung Klimaneutralität: und das konstant und vorwärts gerichtet.
Glauben Sie, dass schon genügend Menschen davon überzeugt sind, dass es diese enormen Anstrengungen braucht, um den Klimawandel zu bremsen?
Oft höre ich Leute reden, dass es heiße Tage im Sommer ja früher auch gegeben habe. Das stimmt natürlich, jeder erinnert sich daran, aber doch ist die Erinnerung falsch: Wenn man die Wetteraufzeichnungen hernimmt, zeigt sich, dass es um ein Vielfaches mehr Hitzetage gibt: Zwischen 1961 und 1990 gab es im Durchschnitt pro Jahr 9,6 Hitzetage. 30 Jahre später, also zwischen 1991 und 2020, waren es aber mehr als doppelt so viele, nämlich 21,6 im Schnitt. Im Sommer 2019 gab es sogar 38 Hitzetage.
Noch deutlicher ist das bei den Tropennächten, also jenen Nächten, wo die Temperatur nachts nicht unter 20 Grad sinkt: Da gab es 1961 bis 1990 nur 1,6 pro Jahr im Schnitt, 30 Jahre später sind es mehr als viermal so viele, 6,2 pro Sommer. Das ist nichts weit Entferntes wie der Anstieg des Meeresspiegels, der Verlust von Regenwald oder das Abschmelzen des Eises an den Polen. Sondern das sind Fakten, die jeder auch hier in Österreich spürt. Der Klimawandel führt zu gesundheitlichen Belastungen bei den Menschen hier, es ist also höchste Zeit, zu handeln.
Wien Energie nimmt allein bis 2026 1,2 Milliarden Euro für Maßnahmen in Richtung Klimaneutralität in die Hand. Wie ist das wirtschaftlich darstellbar?
Natürlich sehe ich das auch aus der unternehmerischen Perspektive: Es ist das, was wir als Wien Energie auch wollen, kein aufoktroyiertes Ziel. Es gibt drei Aspekte dabei: Erstens wissen wir aus Kundenumfragen, dass immer weniger Menschen Energie aus fossilen Quellen kaufen wollen. Wenn wir also nicht diesen Weg gingen, würden wir langfristig massiv Kunden verlieren. Die Maßnahmen dienen also nicht nur dem Klima, sondern auch der Zukunftssicherung des Unternehmens. Zudem haben sich viele unserer B2B-Kunden selbst das Ziel der Klimaneutralität gesetzt, Wien Energie dient ihnen hier als Klimaschutzpartner, die Manner-Fabrik in Wolkersdorf mit einer neuen Photovoltaikanlage ist hier ein aktuelles Beispiel dafür.
Und der dritte Aspekt ist, dass wir als in Zukunft klimaneutrales Unternehmen als Arbeitgeber sehr attraktiv sind; besonders für junge Menschen ist das wichtig. Für gut Ausgebildete steht die Sinnfrage bei der Arbeit sehr weit oben, bei uns haben sie daher die Möglichkeit, an diesem bahnbrechenden Projekt „Klimaneutralität“ der Wien Energie mitzuwirken.
Eine der größten Aufgaben ist „Raus aus Gas“, sprich: der Verzicht von fossiler Energie bei der Raumwärme für die rund 900.000 Haushalte in Wien. Von denen heizen heute rund eine halbe Million mit Gasthermen. Was ist die Lösung?
Wichtig war die Konkretisierung des Ziels des Gas-Ausstiegs. In Deutschland wird derzeit noch das „ob“ eines Ausstiegs aus fossilen Energien diskutiert. In Wien sind wir den entscheidenden Schritt weiter, daher können wir uns auf das „wie“ konzentrieren und uns an die Arbeit machen, müssen nicht mehr über das „ob“ diskutieren. Mit der Bekanntgabe der ehrgeizigen Ziele ging ein Ruck durch unser Unternehmen.
Wie soll die Umstellung konkret aussehen, wie wird Wien 2040 beheizt werden?
Wir werden ein Viertel bis ein Drittel der Haushalte, die heute mit Gas heizen, an das Fernwärmenetz anschließen können. Der Rest wird überwiegend mit Wärmepumpen und Erdwärme beheizt, bei unserem sehr innovativen Projekt Village im Dritten mit der BIG wird mit 500 Erdsonden sozusagen die Wärme des Sommers im Boden gespeichert, um im Winter zum Heizen zur Verfügung zu stehen. Insgesamt wird der Wärmebedarf in Wien aber sinken, wegen der Folgen des Klimawandels und weil die Sanierungsquote der Gebäude stark erhöht wird. Aktuell werden pro Jahr rund 1,2 Prozent des Bestandes saniert, diese Quote muss allerdings verdoppelt werden. Der Erfolg der Wärmewende ist aber auch von den Rahmenbedingungen des Bundes, also von Förderungen, abhängig.
Der Plan sieht vor, bis 2040 56 Prozent der Haushalte an die Fernwärme anzuschließen. Simpel gefragt: Warum schließt man nicht alle an die Fernwärme an?
Es sind ja völlig neue Leitungssysteme nötig, das ist mit Gasleitungen überhaupt nicht vergleichbar. Daher müssen für die 44 Prozent der übrigen Haushalte andere Möglichkeiten gefunden werden, und dabei gibt es keine One-Size-Fits-All-Lösungen. Das Positive daran ist, dass wir so neue und eigene Lösungen entwickeln, die sich auch zu Exportschlagern entwickeln können, die für andere Städte und Länder als Vorbild dienen. Wien hatte immer schon ein hervorragendes Energiesystem, das ständig von Delegationen aus aller Welt in Augenschein genommen wird. Das soll auch in 20 Jahren, nach der Wärmewende, so sein.
Der Strombedarf insgesamt wird bis 2040 in Wien stark steigen, auch wegen der immer stärker werdenden Elektromobilität. Welche neuen Quellen werden erschlossen?
Als Großstadt haben wir nur eine große Ressource zur erneuerbaren Stromerzeugung, nämlich die Dächer. Das Ziel ist, auf einem Viertel der Dächer Photovoltaikanlagen zu installieren. Das ist eine technisch und wirtschaftlich realistische Annahme, denn es gibt auch Nutzungskonflikte, manche Dächer sind begrünt, manche werden als Terrassen genützt, viele sind einfach statisch nicht geeignet. Wir sind da sehr gut auf dem Weg, allein 2020 wurde in Wien mehr PV-Kapazität installiert als in allen Jahren zuvor gemeinsam. Wasserkraft ist in Wien mit dem Kraftwerk Freudenau ausgeschöpft, Windräder können wir nur sehr begrenzt im Stadtgebiet installieren. Allein für Elektromobilität, Digitalisierung und Innovation nehmen wir bis 2026 rund 250 Millionen Euro in die Hand, vor allem für Ladestationen. Was man bei der Mobilität nicht vergessen darf, ist Wasserstoff als alternativer Antrieb, vor allem im Schwerlastverkehr: In Leopoldau errichten wir dafür eine eigene Wasserstofftankstelle, an der Busse und Lkw künftig grünen Wasserstoff tanken können. Zudem planen wir bereits eine Elektrolyse-Anlage, die Wasserstoff für den Einsatz in der Industrie, im Schwerverkehr und auch in unseren Bussen herstellen wird. Bereits ab diesem Winter wird ein erster Wasserstoffbus im Testbetrieb in Wien unterwegs sein.
Laut Studie wird Wien im Jahr 2040 prozentuell gesehen deutlich mehr Strom aus dem Umland bzw. Ausland zukaufen müssen als heute. Ist diese Abhängigkeit nicht auch riskant?
Dass eine Großstadt ihren Strombedarf nicht selbst decken kann, ist nicht ungewöhnlich. Wir haben auch das Wasser aus der Steiermark und können natürlich auch nicht die Lebensmittel für zwei Millionen Menschen in der Stadt herstellen. Was man nicht vergessen darf: Die Erdgas-Importe werden 2040 auf fast null reduziert sein, insofern ist die Importabhängigkeit der Stadt insgesamt deutlich geringer.
In diesen Tagen findet wieder der Weltklimagipfel statt, andere um ein Vielfaches größere Länder sind viel weniger ambitioniert, was Klimaschutz betrifft. Wieso soll sich Europa so anstrengen?
Das Argument, dass andere wenig machen, darf kein Grund sein, nicht selbst alles zu unternehmen. Auch ist es nicht ganz so, dass Länder wie etwa China gar nichts machen. Dort wurden allein im Vorjahr mehr Anlagen für erneuerbare Energie neu in Betrieb genommen als in Deutschland insgesamt an Kapazität installiert ist. China investiert sehr viel in Photovoltaik. Auch in den USA findet langsam ein Wandel statt. Doch Europa muss vorangehen, und Wien ist ganz vorne dabei.