CHRISTOPH OBERMAIR, Partner bei Deloitte Österreich und KATRIN HOHENSINNER-HÄUPL, Geschäftsführerin Frutura
©WOLFGANG WOLAKÜberfordert die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit die Unternehmen? Oder ist sie im Gegenteil die entscheidende Grundlage für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit? Frutura-Chefin KATRIN HOHENSINNER-HÄUPL und Deloitte Partner und Sustainability-Experte CHRISTOPH OBERMAIR über Hitze aus der Tiefe und neue Geschäftsmodelle.
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Das Familienunternehmen Frutura produziert in Bad Blumau in der Steiermark jährlich rund 9.000 Tonnen Tomaten, Paprika, Gurken und Melanzani. Das Besondere: Die Gewächshäuser auf der 26 Hektar großen Anbaufläche werden zu hundert Prozent mit Thermalwasser geheizt, das über eine Geothermie-Anlage aus 3.500 Metern Tiefe gewonnen wird. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes werden dadurch im Vergleich mit einem Erdgas-Betrieb mehr als 28.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart, was dem durchschnittlichen Stromverbrauch von 20.500 Haushalten entspricht. Und weil im Winter weniger Gemüse aus Südeuropa importiert werden muss, kommen noch einmal eine Million nicht gefahrene Lkw-Kilometer hinzu.
INTERVIEW
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Geschäftsmodell von Frutura?
Nachhaltigkeit ist die Basis unseres Geschäftsmodells. Denn wir heizen unsere Gewächshäuser zu hundert Prozent mit Thermalwasser, das wir über eine Geothermieanlage aus der Tiefe gewinnen. Daher können wir das ganze Jahr umweltschonend produzieren. Dem heißen Thermalwasser wird in einem technischen Verfahren die Wärme entzogen. Danach wird das Wasser über einen geschlossenen Kreislauf wieder in die Tiefe zurückgeführt, es geht also kein Wasser verloren.
Wie ist es dazu gekommen?
Mein Vater war in der Transportbranche tätig und hat sich gefragt, ob es wirklich notwendig ist, Obst und Gemüse quer durch Europa zu fahren. Und da wir im Thermenland leben, entstand die Idee, diese Energie für die Landwirtschaft zu nutzen.
Wie groß waren die Hindernisse?
Die Genehmigungsverfahren für die zwei jeweils 3.500 Meter tiefen Bohrungen – das entspricht der Höhe des Großglockners – haben insgesamt sechs Jahre gedauert. Und nachdem das Risiko bei solchen Tiefenbohrungen bei 50 Prozent liegt, war keine Bank bereit, das zu finanzieren.
Jetzt sitzt nicht jedes Unternehmen auf einer heißen Quelle …
Im übertragenen Sinne schon. Denn fast jedes Unternehmen hat Möglichkeiten, sein Geschäftsmodell nachhaltig auszurichten. Die verpflichtenden Wesentlichkeitsanalysen können dazu ein wichtiger Schritt sein.
Gerade diese werden aktuell als „Bürokratiemonster“ heftig kritisiert.
Natürlich sind Umfang und Detailliertheit eine Herausforderung. Aber das sollte man nicht nur schwarzweiß betrachten. In einem ersten Schritt geht es vor allem darum, Awareness für diese Themen zu schaffen. Betriebe müssen das Augenmerk darauf legen, welche Auswirkungen ihr Wirtschaften auf Umwelt und Gesellschaft hat. Man sollte das als Prozess begreifen, nicht als unüberwindbare Hürde.
Braucht es dafür strenge Regularien?
Leider ja. Oft mangelt es an Bereitschaft, in eine nachhaltige Transformation des Geschäftsmodells zu investieren und auch gewisse Risiken einzugehen. Da muss die intrinsische Motivation schon sehr hoch sein.
Mein Vater und seine Partner hatten das klare Ziel, eine langfristige und unabhängige Energiequelle zu erschließen. Dafür waren sehr hohe Erstinvestitionen notwendig. Und bis zum Beginn der Energiekrise 2022 waren die Kosten für uns höher, als wenn wir Gas genutzt hätten. Umgekehrt spüren wir als landwirtschaftlicher Betrieb die Folgen des Klimawandels praktisch täglich, weil die Wetterextreme stark zunehmen. Da muss man Nachhaltigkeit einfach mitdenken.
Ich sehe das jetzt als Zwischenschritt. Wenn die Pflichtübung der Datenerhebung und des Ausfüllens dieser Berichte mal erledigt ist, werden diese Erkenntnisse Basis strategischer Überlegungen sein und entsprechend auch in neue Geschäftsmodelle einfließen. Das ist dann eine gute Basis für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft.
Wie kann Nachhaltigkeit ins Geschäftsmodell integriert werden?
Das Management des eigenen Energiebedarfs und der Energieversorgung ist meistens der erste Schritt. Und tatsächlich steckt in diesem Bereich oft auch ein gewaltiger Hebel. Ein weiterer ist die Reduktion des CO2 -Ausstoßes, oft verbunden mit dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft. Und dann gehören dazu natürlich auch strategische Überlegungen zur Ausweitung des Geschäftsmodells. Ein gutes Beispiel dafür ist die Abfallwirtschaft. Viele Unternehmen haben, gerade vor dem Hintergrund schwankender Versorgungssicherheit, erkannt, dass bisher entsorgte Reststoffe eigene Produkte darstellen können, die entweder selbst oder von Dritten weiterverwendet werden können.
Täuscht der Eindruck, oder gerät das Nachhaltigkeitsthema gerade in die Defensive, weil Unternehmen überfordert werden und die Sorge vor der De-Industrialisierung Europas größer wird?
Große Bedenken gibt es in der Wirtschaft vor allem wegen der sehr weit gefassten Haftungen. Als Unternehmen praktisch für alles verantwortlich zu sein, was entlang der Lieferkette passieren kann – das ist für einen Mittelständler auch bei viel guten Willen nur schwer sicherzustellen. Und dann werden Daten verlangt, die wir nicht liefern können. Bei uns ist das etwa die Frage, wie viele unserer Produkte am Ende vom Konsumenten weggeworfen werden. Wie soll man das seriös beantworten?
Natürlich hört man häufig das Argument, „Grün ist gut, aber zu teuer“. Und auch, dass die ganze Nachhaltigkeitsregulatorik den Standort Europa gefährdet. Ich halte das für zu kurz gedacht. Das Umweltthema wird weltweit an Bedeutung gewinnen, das ist gar keine Frage. Und Europa hat jetzt die Chance, hier durch Innovationen eine Führungsrolle zu übernehmen. Bei Photovoltaik- und Batterietechnologien sind wir im globalen Wettbewerb nicht vorne dabei, da sollten wir es dafür bei der Umwelttechnologie sein.
Welche Schritte sind bei Frutura als nächste in Richtung Nachhaltigkeit geplant?
Logistik steht ganz oben auf der Agenda. Wir fahren mit unseren Lkw durch ganz Österreich, da stellt sich die Frage, wie wir das reduzieren können und mit welchem Antrieb die Fahrzeuge unterwegs sein sollen. Wann ist elektrisch sinnvoll, wann Wasserstoff? Die Reduktion des Stromverbrauches ist ein ständiges Thema und auch die Ausweitung der Kreislaufwirtschaft. Aktuell arbeiten wir an Konzepten, die Blätter der Tomatenpflanzen zu nutzen. Wir haben auch schon seit einigen Jahren ein erfolgreiches Biodiversitäts-Projekt zur Schaffung von Lebensraum für Wildbienen unter dem Namen „Bee Wild“. Aber eines muss man auch ganz deutlich sagen: Nachhaltigkeit alleine reicht nicht für ein erfolgreiches Geschäftsmodell, es muss auch die Qualität der Produkte passen.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Nachhaltigkeit darf kein Selbstzweck sein, sondern muss immer integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie sein, wie das bei Frutura beispielhaft der Fall ist. Ja, das verursacht Aufwand und manchmal Kopfschmerzen, ist aber notwendig. Langfristig haben nachhaltige Geschäftsmodelle deutliche Wettbewerbsvorteile.
Best Managed Companies
Das steirische Familienunternehmen Frutura gehört zum Kreis der als „Best Managed Companies“ ausgezeichneten Unternehmen. Dieses Programm des Beratungsunternehmens Deloitte ist in über 50 Ländern etabliert und greift auf die Benchmarks von weltweit über 5.000 ausgezeichneten Unternehmen zurück. Die teilnehmenden Betriebe werden dabei einem umfassenden „Fitnesscheck“ durch Expertinnen und Experten von Deloitte Österreich unterzogen.
„Für uns war das ein spannender Prozess“, sagt Frutura-Geschäftsführerin Katrin Hohensinner-Häupl, „bei dem wir mithilfe des externen Blickes unsere Visionen und Strukturen überprüfen und schärfen konnten.“ Nähere Informationen finden Sie unter www.deloitte.at/bestmanaged
Zur Person
Steckbrief
Katrin Hohensinner-Häupl
KATRIN HOHENSINNER-HÄUPL führt den steirischen Obst- und Gemüseanbau-Betrieb Frutura in zweiter Generation. In der Geschäftsführung verantwortet sie die Bereiche Einkauf, Finanzen, Personal, Produktion, Logistik, IT und Technik. Sie hat an der FH Wien Rechnungs- und Finanzwesen studiert und war vor ihrem Einstieg ins Familienunternehmen bei einem internationalen Consulter tätig.
Steckbrief
Christoph Obermair
Christoph Obermair ist Partner bei Deloitte Österreich und insbesondere für den Bereich Sustainability & Climate zuständig. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Strategie- und Managementberatung. Seine Expertise liegt unter anderem im Management regulatorisch getriebener Transformationsprogramme sowie in der Entwicklung geeigneter Operating Models bei Finanzdienstleistern.