ZUR PERSON. MARTIN SCHIEFER, 52, ist Gründer der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte. Die Kanzlei beschäftigt rund 50 Mitarbeitende und setzt mit insgesamt sieben Standorten in Österreich ebenfalls auf Regionalität.
©Michael Rausch-SchottWie erzielen Unternehmen ihren Gewinn, und was leisten sie für die Gesellschaft? Diese Aspekte rücken bei Auftragsvergaben stärker in den Mittelpunkt, ist Vergaberechts-Spezialist Martin Schiefer überzeugt.
TREND: Sie fordern, den Aspekt „Regionalität“ stärker bei öffentlichen Auftragsvergaben zu berücksichtigen. Warum?
Martin Schiefer: Wenn wir die Klimaziele erreichen und CO2 reduzieren wollen, ist die regionale Auftragsvergabe ein wichtiger Hebel. Denn kürzere Transportwege bedeuten weniger Energieverbrauch, weniger Verkehr, weniger Luftverschmutzung. Und das ist doch, wo wir hinwollen. Zudem hat die Pandemie gezeigt, dass kurze Wege wichtig für die Versorgungssicherheit sind. Die ausschließliche Orientierung am Billigstbieter- Prinzip führt in eine Sackgasse.
Geht es dabei ausschließlich um ökologische Kriterien?
Nein, eben nicht. Denn bei den ESG-Kriterien, von denen alle reden, geht es nicht nur um Environment, also die Umwelt, sondern auch um das „S“, also soziale Faktoren. Und gerade diese können bei einer regionalen Auftragsvergabe gefördert werden, wenn ich entsprechende Kriterien in eine Ausschreibung aufnehme.
Darf’s ein bisschen näher sein?
Produkte aus der Region zu kaufen, klingt nach Bauernromantik, ist aber viel mehr. Denn regionale Beschaffung kann ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz sein. Vergaberechtsspezialist Martin Schiefer fordert deshalb mehr Fokus auf Regionalität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Zum Artikel.
Wie kann das konkret aussehen?
Wir müssen Unternehmen, die ESG-Kriterien ernsthaft berücksichtigen, viel stärker belohnen. Zum Beispiel, indem wir ihnen bei Auftragsvergaben bessere Chancen einräumen. Wer nachhaltig und sozial wirtschaftet, hat häufig mehr Aufwand und höhere Kosten. Durch die Berücksichtigung von ESG-Kriterien wie eben Regionalität würden wir für verantwortungsvolle Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Und damit auch andere ermutigen, in diese Richtung zu gehen.
Haben Sie so etwas bei einer Ausschreibung schon angewendet?
Ja, bei der Vergabe eines Auftrages für Pflegedienstleistungen war das Ermöglichen von freiwilliger Mitarbeit im Ort ein Vergabekriterium. Aber solche Ansätze finden sich noch viel zu selten. Das spüren wir selbst auch: Als Kanzlei achten wir sehr stark auf Gleichbehandlung, sind divers und bewusst familienfreundlich durch flexible Arbeitszeiten, sind regional vertreten. Das ist nicht immer einfach und verursacht auch Kosten. Diese Anstrengungen werden aber nur selten belohnt.
Der Preis ist eindeutig messbar, bei ökologischen und sozialen Kriterien kann das schwieriger und weniger eindeutig sein. Was zählt mehr, eine hohe Frauenquote in Führungspositionen oder möglichst viele E-Autos in der Firmenflotte? Sind solche Fragen eine Hürde?
Sie müssen keine Hürde sein. Denn auch ESG-Kriterien sind bewertbar, sie müssen nur in der Ausschreibung klar definiert werden, dann ist das Verfahren auch absolut transparent. Auch das spricht für das Kriterium der Regionalität. Denn man sieht und erlebt ja vor Ort, ob ein Unternehmen verantwortungsvoll wirtschaftet oder nicht. Da geht es um Haltung, nicht um das x-te Umweltzertifikat.
Bedeutet die Abkehr vom Billigstbieterprinzip, dass Projekte teurer werden?
Das ist nicht die Frage, die wir uns stellen sollten. Viel entscheidender ist doch: Wollen wir im Jahr 2023 wirklich Unternehmen fördern, die mit alten, stinkenden Diesel-Lkw durch die Welt fahren und ihren Gewinn auch damit erzielen, dass sie ihre Mitarbeitenden nicht regulär anstellen, sondern in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigen? Bund, Länder und Gemeinden geben jährlich über 60 Milliarden Euro für öffentliche Aufträge aus. Gewaltige Summen Steuergeld, die im Sinne einer lebenswerten Zukunft ausgegeben werden sollten.
Wir wird sich das Vergaberecht vor diesem Hintergrund weiter entwickeln?
Auftraggeber erkennen zunehmend, dass sie mit Auftragsvergaben über einen sehr wirkungsvollen Hebel verfügen, um zukunftsorientiertes, sozial gerechtes und verantwortungsvolles Wirtschaften gegenüber Umwelt und Gesellschaft zu fördern. Schwerpunkte wie Regionalität, kurze Lieferketten und nachhaltiges Wirtschaften in Ausschreibungen können wesentlich zum Klimaschutz beitragen. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Fragen, wie sie ihren Gewinn erzielen und was sie für die Gesellschaft leisten, in Zukunft stärker in den Mittelpunkt rücken.