One Lumley Street, ein kleines Backsteinhaus im Herzen von London. Drei Stockwerke, zwölf Klingeln: "Financial Services" soundso, namenlose "Legal Advisory Partners", "Accounting Offices" ohne nähere Bezeichnung. "House of Trusts" nennen die Nachbarn das unscheinbare Bürogebäude, wegen der vielen undurchsichtigen Offshore-Gesellschaften, die hier verwaltet werden.
Es sind Adressen wie diese, wo abseits der Zentralen der prominenten internationalen Großbanken einem der wesentlichen Kerngeschäfte der City of London nachgegangen wird - der möglichst steuerschonenden Kanalisierung jener 14 Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes, die die dortige Finanzindustrie vorwiegend im winzigen, etwas über eine Quadratmeile großen historischen Kern der Metropole erwirtschaftet.
Zwar wurde die City of London, in die täglich rund 350.000 Leute, meist Banker, Rechtsanwälte, Steuer- und Vermögensberater, zur Arbeit strömen, wo aber bloß 9.000 Londoner wohnen, durch die Krise ziemlich gebeutelt. Doch sie ist neben der Wall Street nach wie vor das größte Finanzzentrum der Welt. Allein das hier veranlagte Privatvermögen macht über fünf Billionen Euro aus.
Spinnennetz aus Steueroasen
Nicht nur wegen solcher Summen und des Verdachts, dass ein guter Teil davon am Fiskus der Herkunftsländer vorbei geschleust wird, sondern weil hier alle Fäden der britisch dominierten "tax havens" zusammenlaufen, gilt die City of London spätestens seit der Offshore-Leaks-Affäre auch als die insgeheim größte Steueroase dieses Planeten. Zwar belegt Großbritannien im aktuellen "Financial-Secrecy-Index" (FSI) des "Tax Justice Network" (TNJ) nur Platz 21. Doch rechnet man die sieben britischen Übersee-Territorien Anguilla, Bermudas, British Virgin Islands, Cayman Islands, Bermudas, Gibraltar, Montserrat, Turks & Caicos Islands sowie die drei Kronbesitzungen Jersey, Guernsey und die Isle of Man hinzu, führt Großbritannien diese Schattenfinanz-Liste deutlich vor dem offiziellen Spitzenreiter Schweiz an.
Laut "Netzwerk Steuergerechtigkeit" würden allein diese "Satelliten-Geheimhaltungs-Jurisdiktionen ein Drittel bis zur Hälfte" des globalen Offshore-Geschäfts auf sich vereinen und damit "ihr Herz, die City of London, füttern". Ein reich gedeckter Tisch: Denn insgesamt dürften in den 82 gerankten, verschwiegenen Finanzplätzen zwischen 21 und 32 Billionen Dollar privaten Finanzvermögens gebunkert sein – und zwar nur geringfügig oder gar nicht besteuert. Zusätzlich würden in und über all diese Steueroasen jährlich bis zu 1,6 Billionen Dollar Fluchtkapital fließen.
Das "Spinnennetz der Square-Mile" zu ihren Steueroasen ist derart dicht, dass beispielsweise "Jersey Finance", die Finanzlobby der Kanalinsel, offiziell mit dem Slogan wirbt: "Jersey ist eine Verlängerung der City of London." Und eine ausgeklügelte vertikale Integration ermögliche dem Distrikt "dubiose Finanzgeschäfte auf Distanz und gleichzeitig, die Verantwortung von sich zu weisen", resümiert das Tax Justice Network.
Das Erbe des Empire
Im Mittelpunkt dieses Machtzentrums steht heute die selbst in England kaum bekannte "City of London Corporation". Sie agiert nicht nur als mächtige Lobby der britischen Finanzindustrie, sondern ist gleichzeitig dank bereits im Jahr 1067 erteilter Privilegien die oberste Verwaltungsbehörde des Bezirks, in dem ihr Vorsitzender, der "Lord Mayor", und nicht der Bürgermeister von London das Sagen hat. Durch ihren immensen politischen Einfluss – etwa durch einen ständigen Vertreter im britischen Parlament, der sich keiner Wahl stellen muss – hat die Corporation über die Jahrhunderte den Aufstieg der City parallel zur Expansion des britischen Imperiums orchestriert.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Kolonien unabhängig wurden, vertiefte das geschrumpfte Finanzzentrum seine alten Bande mit den wenigen verbliebenen Einflussgebieten – eben den Ex-Piraten-Schatzinseln. In den 50ern wurden die Steueroasen sukzessive reaktiviert. Damals begannen Londoner Banken, für US-Dollar-Einlagen höhere Zinsen zu bieten als es amerikanischen Instituten gesetzlich erlaubt war. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich in der City ein kaum regulierter, riesiger Eurodollar-Markt, der 1980, am Vorabend der großen Finanzmarkt-Liberalisierung durch Margret Thatcher, auf 500 Milliarden angewachsen war.
Zum einen hat das dazu geführt, dass praktisch alle US-Investmentbanken große Teile ihres Geschäfts hierher verlagerten, um an diesem profitablen Business mitzunaschen. Zum anderen entwickelten sich durch diese Renaissance des Finanzplatzes zwei alte Gesetze aus der Empire-Ära verstärkt zum Angelpunkt des Geldkreislaufes zwischen der City und ihren Satelliten-Steueroasen.
Die erste Regel stammt aus dem späten 19. Jahrhundert und besagt, dass in Großbritannien registrierte Unternehmen dort nur dann steuerpflichtig sind, wenn auch die Kontrolle im Land ausgeübt wird. Entscheidet das Management woanders, sieht der britische Fiskus durch die Finger. Dieses "Residenz-ohne-Steuern"-Prinzip gilt bis heute auch für die Übersee-Territorien und Kronbesitzungen und wird natürlich weidlich ausgenutzt. Vor allem Unternehmen aus Ländern wie den USA, die den Registrierungsort als Besteuerungsprinzip haben, entgehen so gleich doppelt dem Fiskus.
Die zweite Regel basiert auf Kolonialrecht, wonach britische Staatsbürger, die in Kolonien lebten, nach wie vor als auf der Insel "domiziliert" galten. Umgekehrt aber konnten Ausländer, die in England residierten, nie den vollen britischen Domizil-Status erlangen. Dieses Prinzip wurde rasch ins Steuerrecht verlagert und erlaubt es heute reichen russischen Oligarchen oder wohlhabenden griechischen Reedern, als "Non-Doms" unbehelligt von der hiesigen Steuer in der City of London zu agieren. Wie man hört, auch mit Hilfe von One Lumley Street.