Die international anerkannte Rechtswissenschaftlerin und Vermögensexpertin Katharina Pistor spricht sich im trend. Interview für die Einführung von Vermögenssteuern aus.
trend: Was müsste passieren, um die Vermögensungleichheit global abzumildern?
Katharina Pistor: Man darf nicht alles zulassen und im Nachhinein dann erst alles besteuern. Das kommt meist zu spät und ist ineffektiv. Die Rechtsordnung ist eine soziale Ressource und man muss sich vorweg überlegen, wofür man diese Ressource zulassen will. Man sollte sich also fragen: Für welche Zwecke sollen Private die Möglichkeit haben, Vermögensgüter zu schaffen und diese auch rechtlich durchsetzen zu können? Ich bin mehr für Vorverteilung als für Umverteilung, auch wenn es ohne Umverteilung angesichts der großen Ungleichheiten nicht mehr gehen wird. Aber langfristig muss man sich die Frage stellen, wieso solche Reichtümer überhaupt entstehen können.
Das heißt, Sie wären nicht für die Abschaffung von Stiftungen oder Trusts?
Das ist zu einfach, die werden dann ja auch rasch substituiert. Man kann sich aber fragen, unter welchen Bedingungen man diese Konstruktionen anerkennt. Wenn Institutionen einmal da sind, kann man sie schwer wieder abschaffen.
Und so etwas würde ja auch nur weltweit Sinn machen, oder?
Nicht unbedingt. Es gibt schöne Beispiele, dass auch Länder mit internationalem Gewicht Gegengewichte aufbauen können. Nehmen wir etwa die Besteuerung digitaler Unternehmen, die von Frankreich auf den Weg gebracht wurde. Diesem Beispiel ist dann ein halbes Dutzend Länder gefolgt. Die Big Techs mussten sich dem letztlich unterordnen. Natürlich kann man streiten, ob die Steuer hoch genug ist, aber ich sehe das schon als Erfolg an. Unter den geopolitischen Voraussetzungen halte ich eine multilaterale Einigung für sehr schwierig.
Spanien ist ja aktuell auch Vorreiter bei der Millionärssteuer. Werden da auch weitere Länder folgen?
Ja, ich denke, das politische Momentum ist da. Es gibt zwar immer den Einwand, dass die Unternehmen dann abwandern würden, aber es gibt einige Untersuchungen, die das in Frage stellen. Meist sind Unternehmen ja nicht nur wegen der Steuern in einem Land. Vermögen ist also klebriger, als viele denken. Auch der juristische Aufwand, das Vermögen zu transferieren, ist meist groß. Man verlegt einen Sitz nicht so schnell. Und aus Angst vor Abwanderung sollte man nicht versäumen, das zu tun, was gesellschaftlich richtig ist. Ich denke, die Einführung von Vermögenssteuern ist ein Gebot der Stunde. Die Grenze der Verschuldbarkeit für Staaten und Private ist überschritten. Es ist Zeit, neu über Steuern nachzudenken, weil sich das System so nicht mehr halten lässt.
Angenommen, die Verschuldung geht weiter, ohne dass Reiche verstärkt zur Kasse gebeten werden, was befürchten Sie dann?
Es muss ja nicht gleich eine Revolution sein, dafür sind wir zu gesettelt. Aber warum gab es denn in Großbritannien nach der Finanzkrise den Brexit? Oder welche Motive haben die Menschen, Trump zu wählen? Das kommt aus einer starken Frustration, die natürlich auf Ungleichheit zurückzuführen ist.
Seit einigen Jahren wird ja auch diese Bewegung, dass Reiche nach Besteuerung rufen, immer präsenter. Ist das ernst zu nehmen oder halten Sie das für einen Marketinggag?
Es ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein, aber mit einem Symboleffekt. Es kann auch ein wichtiger Anstoß für eine Vermögenssteuer sein. Aber zwischen Steuern und Spenden ist ein wichtiger ideologischer Unterschied: Beim Spenden ist es dem Spender komplett überlassen, wie er sein Geld investiert, und er überlässt es nicht dem Staat. Dass nur die Reichen bestimmen, wohin das Geld kommt, läuft meinem Verständnis von Demokratie entgegen.
In den USA ist ja Bidens Projekt einer Vermögenssteuer kürzlich gescheitert. Rechnen Sie dort auch mit einem neuen Momentum?
In den USA stehen ja Wahlen vor der Tür und es sieht für die Demokraten nicht allzu gut aus, also gehe ich davon aus, dass jetzt davon Abstand genommen wird.
Corona hat die Vermögensungleichheit in der Welt verstärkt, die Inflation wird den Trend vermutlich weiter verstärken, oder?
Davon gehe ich aus. Obwohl ich glaube, dass man eher ein gewisses Maß an Inflation zulassen sollte, anstatt die Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Vor allem in Systemen, die stark auf Krediten basieren.
In Europa gibt es ja in vielen Ländern auch Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation von Mietpreisdeckel bis zur Besteuerung von Energieübergewinnen. Sind das gute Rezepte?
Ich glaube, dass diese Maßnahmen sehr wichtig sind, denn die Preissteigerungen sind sektoral zu beobachten und nicht quer durch. Die Leute haben ja nicht zu viel Geld und zu wenig Güter, sondern wir haben eine Angebotsknappheit, die durch den Ukraine-Krieg und die Lockdowns in China verursacht wurde. Und wenn das so ist, muss man die Preise unter Kontrolle kriegen. Das können aber nicht die Zentralbanken tun. Selbst wenn die noch so sehr an der Zinsschraube drehen, werden wir nicht mehr Gas aus Russland bekommen.
In Ihrem Buch "The Code of Capital" messen Sie Wirtschaftsanwälten ein hohes Maß an Einfluss auf die Vermögensverteilung zu, weil diese Schlupflöcher im Recht finden und ausnützen. Aber die Politik lässt ja diese Schlupflöcher zu, oder?
Jein. Der Staat könnte natürlich regulieren, aber meist fehlen ihm die Informationen, weil die Codierungen in den Anwaltskanzleien stattfinden. Nur selten kommen Transaktionen vor Gericht, noch viel seltener würde der Gesetzgeber anderweitig davon erfahren. Es sei denn, es gibt eine Krise. Nach einer Krise werden deshalb Gesetzgeber meist sehr aktiv. Außerdem besteht oft keine politische Einigung zur Abschaffung von Schlupflöchern. Und rechtliche Regeln sind meist unbestimmt, weil Gesetze der Allgemeinheit dienen. So entstehen inhärente Lücken. Das ist das Futter, von dem sich wieder die Anwälte ernähren.
Aber ist es nicht eine sehr bewusste Entscheidung der Politik, zum Beispiel Steueroasen zuzulassen?
Steueroasen werden von bestimmten Ländern geschaffen, die sonst nicht wettbewerbsfähig wären. Ja, die Politik, sogar die Weltbank lässt diese Steueroasen zu. Es ist ja auch erstaunlich, dass Rechtsordnungen, die darunter leiden, die juristischen Konstruktionen dieser Steueroasen, wie zum Beispiel der Cayman Islands, anerkennen.
ZUR PERSON
Katharina Pistor, geb. 1963, lehrt Rechtsvergleichung an der Columbia Law School. Die gebürtige Deutsche ist Autorin des Bestsellers "Der Code des Kapitals -Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft".
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 28.10.2022 entnommen.