Alexander Windbichler, CEO Anexia
©AnexiaIn der Digitalwirtschaft hat es sich Europa als Juniorpartner der USA bequem gemacht – zu bequem für unsichere Zeiten.
Welcome to Trump's World titelte der britische „Economist“. Seit 5. November ist die Welt damit beschäftigt, sich auf das vorzubereiten, was ab Jänner 2025 in die Exekution geht, wenn das Projekt „Make America Great Again“ wieder aufgenommen wird. Einhelliger Tenor vieler Kommentare ist: Europa muss geeinter auftreten, um seine politischen und wirtschaftlichen Interessen vertreten zu können. Da wird niemand widersprechen. Dringend brauchen wir das auch für unsere transatlantischen Digitalverbindungen. Zwei Episoden aus der jüngsten Vergangenheit illustrieren, warum mehr digitale Autonomie sicherer und souveräner macht: Als Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine startete, wurde Russland binnen weniger Tage vom Rest der Welt getrennt. Wer als dort tätiges Unternehmen keinen Krisenplan hatte, verlor seine Daten – und das waren viele. In geopolitisch volatilen Zeiten können sich die Lagen schnell ändern.
So rechtssicher und geschützt, wie wir uns hier in Mitteleuropa fühlen können, ist es in den wenigsten Weltregionen. Sicher und komfortabel fühlen sich europäische Unternehmen und Behörden auch in der Nutzung US-amerikanischer Technologieprodukte, die ausgezeichnet, oft alternativlos und marktmächtig sind.
Ein Lehrstück war die Übernahme der Firma VMware durch den NASDAQ100-Konzern Broadcom 2023. Mit der Übernahme kündigte der neue Besitzer alle Bestandsverträge. Ob das rechtlich einwandfrei ist, wird noch ausjudiziert. Die Betroffenen mussten es als eine Art von Erpressung wahrnehmen: Wer den neuen Lizenzpreis – bis zu zwölfmal höher – nicht akzeptieren wollte oder nicht in seine kaufmännische Kalkulation einpreisen konnte, wurde gezwungen, sich binnen Wochen um eine Alternative umzusehen. Keine einfache Aufgabe, kaum ein Rechenzentrum läuft ohne VMware. Für viele der betroffenen Unternehmen – nicht nur in Europa – war das ein dezenter Hinweis, dass eine freie Marktwirtschaft nicht mit fairem Wettbewerb gleichzusetzen ist. USA und Europa pflegen auf technologischer Ebene eine Partnerschaft, den Haustorschlüssel haben aber die Amerikaner. Die Europäer haben sich, durchaus selbst verschuldet aus Gründen der Bequemlichkeit, in diese Lock-in-Situation gebracht, wo Wahl oder Wechsel von Dienstleistern schwer bis nahezu unmöglich sind. Diese US-Dominanz wird sich im Zeitalter der generativen KI und mit der forcierten Nutzung US-amerikanischer Cloud-Dienste fortsetzen.
Anfang November warnte die deutsche Gesellschaft für Informatik in Bezug auf digitale Souveränität in Deutschland „vor unvertretbaren Risiken für die digitale Unabhängigkeit“. Etwas konkreter formulierte es schon 2021 der Chef des britischen MI6: „Wenn Sie einem anderen Land erlauben, Zugang zu wirklich kritischen Daten über Ihre Gesellschaft zu erhalten, wird das mit der Zeit Ihre Souveränität aushöhlen.“ Das Thema europäische Souveränität ist mir kein Anliegen, weil ich mir erhoffe, damit Geschäft von den USA nach Europa zu ziehen. Dafür sind wir ein zu kleiner und unbedeutender Mitbewerber. Gerade weil mein Unternehmen in allen Teilen der Welt Cloud-Dienstleistungen anbietet, wissen wir gut Bescheid, mit welchen Methoden und Strategien andere Länder und Regionen ihre Souveränität zu verteidigen wissen.
Erst wenn wir alle digital souverän sind, sind wir auf Augenhöhe. Es spricht nichts gegen die Verwendung guter Produkte amerikanischer Provenienz, aber es muss möglich sein, diese ohne potenzielle Zugriffsmöglichkeiten der US-Verwaltung in Europa zu betreiben. Trump begreift Politik als Business – nie verlegen, Druckmittel opportun einzusetzen. Mit einer Presidential Order kann er laut dem „Cloud Act“ Rechenzentren von US-Firmen abschalten, selbst wenn sie in Europa stehen. Anders als bei einem Gasspeicher können wir diese nicht enteignen. Das funktioniert bei Daten nicht. Daten sind mit einem Knopfdruck für immer verschwunden. Europa und seine Wirtschaft haben in den letzten Jahren auf die harte Tour lernen müssen, dass es sich lohnt, Krisenpläne nicht erst in der Krise zu machen. Es ist an der Zeit, sich theoretisch und praktisch mit den digitalen Abhängigkeiten zu beschäftigen und alternative Szenarios zu entwickeln – im eigenen Haus und in Brüssel.
Zur Person. Alexander Windbichler ist CEO des österreichischen Cloud- und Internet-Service-Anbieters Anexia, der weltweit 100 Rechenzentrumsstandorte betreibt und 400 Mitarbeitende beschäftigt.
Dieser Kommentar ist der trend Premium-Ausgabe vom 6. Dezember 2024 entnommen.