Trend Logo

Dekarbonisierung: Die Strategie von RHI Magnesita

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
9 min

RHI Magnesita-CEO Stefan Borgas

©trend/Sebastian Reich
  1. home
  2. Business
  3. Technologie

Trotz Reduktion emittiert RHI Magnesita noch ungeheure 4,6 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. CEO Stefan Borgas erklärt die Dekarbonisierungsstrategie des Feuerfest-Konzerns, eine der ehrgeizigsten der österreichischen Industrie.

von

„Wir müssen die von Menschen verursachten CO2-Emissionen eliminieren und den Streit darüber beilegen. Der Green Deal der EU gibt mit Ernsthaftigkeit und guter Absicht eine Richtung vor“. Was wie das Credo in einem grünen Wahlkampf klingt, sagt Stefan Borgas, der CEO von RHI Magnesita. Sein Konzern mit Sitz in Wien, entstanden durch Fusion der österreichischen RHI AG und der brasilianischen Magnesita, ist Weltmarktführer für Feuerfestprodukte und emittiert trotz 26 Prozent Reduktion immer noch ungeheure 4,6 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.

Unter Borgas verfolgt das Unternehmen eine der erstaunlichsten Dekarbonisierungsstrategien der heimischen Industrie. Im Unterschied zu manch anderem erklärt der deutsche Topmanager: „Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, dass uns der Green Deal gefährdet.“ Allerdings präzisiert er: „Zwei Punkte sollten wir neu diskutieren. Einer ist die Geschwindigkeit. Wir haben uns in Europa etwas überschätzt. Wenn andere Weltregionen unser Tempo nicht mitgehen, werden wir 25 Jahre lang furchtbar leiden. Zweitens sollten wir überdenken, ob wir nur schon verfügbare Lösungen wie etwa Solarstrom subventionieren oder eher mehr Forschung und Anschubinvestitionen für neue Technologien fördern.“

Für das Problem mit der Geschwindigkeit sei die CO2-Bepreisung ein Beispiel: „Der Mechanismus ist richtig, weil er die Marktkräfte stärkt. Wir haben in der EU gute Erfahrungen damit gemacht. Die Koreaner haben das schon implementiert, die Chinesen sind dabei, die Amerikaner denken darüber nach. Aber dass die EU jetzt die Gratiszertifikate viel rasanter als gedacht reduziert, mag zwar aus Greta-Thunberg-Sicht okay sein, für die Indus­trie ist es ein Schock.“ Ein Festhalten daran hieße: entweder leiden oder zusperren. Bei RHI Magnesita würden die höheren Kosten die gesamte Marge auffressen. 

Carbon Capture

Die Strategie des Unternehmens hat drei Stoßrichtungen. Erstens: Erhöhung der Recycling-Quote von 15 auf 25 Prozent, „um die Verschwendung unserer Produkte beim Kunden zu verringern“. Zweitens wird der extrem hohe Energiebedarf im ersten Schritt von Kohle auf Gas umgestellt werden. „Dazu braucht es die staatliche In­frastruktur.“ Das Werk im Tiroler Hochfilzen etwa kann erst 2026 umgerüstet werden, sobald die Gasleitung gelegt ist. Längerfristig heißt die Lösung laut Borgas Wasserstoff. Die dafür nötige „Umstellung der gesamten Energiewirtschaft werde kommen – „aber nicht bis 2030“.

Für die CO2-Emissionen, die sich aus dem Prozess von Magnesit zum Feuerfest-Produkt ergeben (in Summe 50 Prozent) existiert keine technische Lösung. Borgas: „Vor fünf Jahren haben unsere Leute gesagt: Die Welt wird damit leben müssen. Ich halte das aber für inakzeptabel.“ RHI Magnesita beteiligte sich am australischen Start-up MCi Carbon und baut dort jetzt eine Pilotanlage, die das CO2 aus der Abluft in Gestein wie Serpentinit bindet. Daraus sollen hochreines Magnesiumcarbonat für die Papierindustrie oder Siliziumoxyd für die Betonherstellung entstehen – „beide CO2-negative Minerale“.

Die erste großtechnische Anlage wird dann in Hochfilzen errichtet, u. a. weil das nötige Gestein in Österreich massenhaft vorkommt. Borgas schätzt die Erfolgschance der Technologie „deutlich über 50 Prozent. Die Regierung der chinesischen Provinz Liaoning war vor ein paar Wochen schon wegen einer Lizenz bei uns. Das bedeutet: Hier kann eine grüne Technologie made in Austria entstehen, die nicht nur unsere Fabriken, sondern die weltweite Feuerfestindustrie dekarbonisieren würde. Es wäre ein neues Geschäft für uns – gepusht durch den Green Deal.“

Green Tech made in Austria könnte weltweit die Feuerfestindustrie dekarbonisieren.

Stefan Borgas

Geld vom Staat

Der Konzern möchte für die Anlage in Tirol Mittel aus dem österreichischen Transformationsfonds: ca. die Hälfte der rund 80 Millionen Euro an Investitionen. Laut den Kriterien des Fonds wäre das Projekt damit zu klein. „In den Verbänden, mit denen die Brüsseler Gesetzgebung spricht, dominieren die großen Unternehmen, die dann von den Förderungen profitieren.“ Aber das Pro­blem sei erkannt, die Richtlinien würden so umgeschrieben, „dass innovative Projekte des Mittelstands ebenfalls Geld bekommen“, meint Borgas. Er zählt RHI Magnesita trotz fast 3,6 Milliarden Umsatz und weltweit 20.000 Mitarbeitern zum Mittelstand, „weil die Gruppe aus 60 Produktionsstandorten besteht, von denen jeder für sich Anträge stellen muss“.

Der CEO sieht auch Noch-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die viel Kritik seitens der Industrie einstecken musste, differenzierter als manche Kollegen: „Ich habe oft mit ihr diskutiert. Sie hört sehr gut zu. Aber sie hat auch unverrückbare ideologische Standpunkte. Bei der Abfallwirtschaft etwa ist sie uns entgegengekommen. Die Gesetzgebung dort entstand in den 1970ern unter dem Eindruck verbrecherischer Müll-Exporteure: Jedes Land soll sich um seinen eigenen Müll kümmern. Wir brauchen aber spezialisierte Industrieabfälle auch aus den umliegenden Ländern, wenn wir eine Recyclinganlage in Österreich auslasten wollen.“

Dogmatisch zeigte sich Gewessler hingegen beim Thema Carbon Storage und bei der Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas durch Pyrolyse. Wofür Borgas wenig Verständnis hat: „Im Vergleich zur Elektrolyse aus Wasser wird bei der Pyrolyse nur ein Viertel des Stroms benötigt, ohne dass CO2 anfällt. Anfänglich war Frau Gewessler strikt dagegen, weil Erdgas prinzipiell böse ist. Zuletzt hat sie sich aber geöffnet.“

Carbon Storage, die Speicherung von CO2 unter der Erde, ist hierzulande weiterhin verboten. „Das muss man aufgeben, damit diese anerkannte Technologie genutzt werden kann. Für uns wäre sie eine weitere Option zur Erreichung der Klimaziele.“

In Brasilien, wo RHI Magnesita Carbon Capture betreiben könnte, fehlt der Druck auf die Senkung der Emissionen. Borgas räumt auch ein, dass die Verschiebung CO2-intersiver Erzeugung aus der EU „nicht nur eine Vermutung, sondern Realität ist in der Industrie. Die Herausforderung ist, in Europa nicht so aggressiv vorzugehen, dass Unternehmen zu Verlagerungen verleitet werden. Dann muss man auch keine Werke schließen.“ Massenproduktionen würden sowieso nach Indien, Brasilien oder die Türkei abwandern. „Spezialitätenprodukte hier zu halten, kriegen wir hin.“

Der Produktionsstandort Österreich habe punkto Wettbewerbsfähigkeit einiges zu bieten: ausgebildete Fachkräfte und gute Universitäten, gute Behörden mit Leuten, die Technik verstehen, intakte Infrastruktur, Freihandel und eine stabile Steuerpolitik. Auf der Negativseite stehen für Stefan Borgas die hohen Energiekosten ganz oben.

Man investiere weiterhin in Österreich: „Die erwähnte Dekarbonisierungsanlage würden wir nirgendwo anders bauen als hier. Und in Radenthein haben wir für 50 Millionen Euro aus einem Gemischtwarenladen eine Spezialunternehmen gebaut, das 80 Prozent der weltweiten Kupferhersteller versorgt. Das Werk Trieben hingegen war nicht zu retten.“

Kritischer Rohstoff

Der Feuerfest-Konzern arbeitet daran, Brüssel zu bewegen, Magnesit auf die Liste der strategischen Rohstoffe zu setzen. Dort stehen z. B. Lithium oder Titan, für deren Herstellung Magnesit die Voraussetzung ist. Die Bürokratie solle darum stärker in Lieferketten denken. Borgas: „Wir müssten nicht aus China importieren. Österreich hat das Glück, über große Magnesitmengen zu verfügen. Wir könnten von hier aus die ganze EU versorgen.“

Den positiven Ausblick auf die Zukunft untermauert der deutsche Manager mit einem Rückblick auf die Geschichte: „Die Industrialisierung machte immer einen Sprung, wenn günstigere Energiequellen erschlossen wurden: von Muskelkraft auf Holz, dann zu Wasserdampf, Kohle, Öl und Gas. Ich glaube, dass in 20 oder 30 Jahren die dramatisch günstigere Energie aus nicht fossilen Brennstoffen eine neue Phase der globalen Industrialisierung mit sich bringen wird. Der technologische Vorsprung, den wir uns erarbeiten, wird sich dann bezahlt machen.“

Über die Autoren

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel