
Die digitalen Champions bauen ihren Wachstumsvorsprung aus. Doch das Potenzial der Digital- und KI-Offensive ist längst nicht ausgereizt. Die heimische Wertschöpfung könnte um 70 Milliarden Euro zulegen.
Auf gute und – inklusive der anhaltenden, mittlerweile längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte Österreichs – mehr schlechte Zeiten im Laufe von vier Befragungswellen blickt die gemeinsame Erhebung von Accenture, IV und Economica zur „Digitalen Dividende“ zurück. Das ist der in dieser Studienreihe erstmals empirisch erwiesene Vorsprung der wirtschaftlichen Performance höher digitalisierter Unternehmen gegenüber Firmen niedrigeren digitalen Reifegrades.
„Die digitale Dividende ist deutlich sichtbar“, erklärt Michael Zettel, Country Managing Director von Accenture. „Mittel und hoch digitalisierte Unternehmen haben ein um 2,2 Prozentpunkte höheres Wachstum pro Jahr als Unternehmen mit niedrigem Digitalisierungsgrad.“ Und ihr Wachstumsvorsprung nimmt zu, zugleich erreichen immer mehr Firmen zumindest eine mittlere Digitalisierungsstufe. Dazu zählen mittlerweile knapp 40 Prozent der Unternehmen – die Gesamtheit der Befragten deckt sich etwa mit der Teilnehmergruppe der IV-Konjunkturumfrage –, wobei allerdings selbst in diesem hochwertigen Sample nur elitäre 3,9 Prozent zu den „digitalen Champions“ zählen.
Die Studie zeigt auch, dass der Fokus digitaler Transformation bisher auf Kernprozessen wie Produktionsplanung, Beschaffung und Produktion liegt. Auch Administration und HR werden verbreitet automatisiert unterstützt, deutlich weniger der Fall ist das im Marketing, aber auch in der Forschung sowie insbesondere in der Geschäftsführung selbst. Ein Großteil der Unternehmen setzt zudem vorhandene Daten und Systeme in weit geringerem Ausmaß als möglich für KI-Anwendungen ein.
Produktivitätsproblem & KI-Potenzial
Der Anteil höher digitalisierter Unternehmen reicht offenbar nicht, um das im internationalen Vergleich schwache Wachstum der österreichischen Volkswirtschaft in Schwung zu bringen. Laut Bericht des Produktivitätsrats verliert Österreich vor allem durch die schwache Entwicklung der Arbeitsproduktivität an Wettbewerbsfähigkeit. Eine Empfehlung des Berichts an ist daher die Förderung umfassender Digitalisierung von Unternehmen und Stärkung von Digitalkompetenzen ihrer Mitarbeiter.
Das volkswirtschaftliche Potenzial, das KI-Einsatz in Österreich freisetzen könnte, hat IV-Chefökonom und Economica-Leiter Christian Helmenstein für die Studie kalkuliert: Vollständig genutzt entspräche das erschließbare Produktivitätspotenzial 2,24 Milliarden Arbeitsstunden respektive einer Erhöhung der Wertschöpfung um bis zu 18 Prozent oder 70,9 Milliarden Euro.
Betriebsblindes Management
Im Gegensatz zu anderen Prozessen, wo KI-Potenziale laut Firmenangaben schon genutzt werden, es Pilotprojekte oder Pläne gibt, fällt auf, dass das in Geschäftsführung und Strategie praktisch kaum der Fall ist. Frage an Accenture-Experten Zettel: „Sind die befragten Führungskräfte, die in anderen und für andere Bereiche durchaus Projekte und Pläne vorantreiben, im eigenen Metier betriebsblind?“ Zettels Erklärung ist schlüssig und diplomatisch: „In anderen Prozessen gibt es positive Verstärkungen, die umso ausgeprägter sind, je mehr KI-Erfahrung es gibt. Doch Leitung und Entscheidungsfindung sind kaum delegierbar, und KI kann Letztverantwortung nicht ersetzen. Daher gibt es in diesem Bereich oft wenig Erfahrung, um vorhandene Chancen zu identifizieren.“
Fakt ist, dass laut Studie die Akzeptanz von KI-Einsatz bei den Managern mit Abstand höher ausfällt als bei ihren Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, während sich die Führungskräfte zu konkreten Anwendungen im eigenen Bereich deutlich reservierter verhalten. Dass belegt etwa eine globale Studie des IT-Dienstleisters Qualtrics. Vielleicht fehlt in Chefetagen einfach die in operativen Arbeitsbereichen vorhandene Erfahrung mit den Mühen der Ebene digitaler Transformation. Die ist nämlich oft nicht von so professioneller Expertise geprägt wie Accenture-Lösungen, sondern eher von interessanten, gewachsenen Systemarchitekturen, die Arbeitstage mit – gar nicht produktiven – Passwortslaloms durch diverse Anwendungen und Programme beginnen lassen. Oder Führungskräfte kennen die Studie von IESE Business School und KU Leuven, wonach höherer KI-Einsatz vor allem in einem Bereich mehr Posten mit sich bringt – im Management.