Digital Realty Marseille
©Digital RealtyKeine Immobilie boomt wie der Bau von Rechenzentren. Digitalisierung und künstliche Intelligenz schaffen weltweit immense Nachfrage. Die Energieversorgung aber wird zur ultimativen Nagelprobe für Leistungsfähigkeit und Klimaschutz.
DATENKATHEDRALEN.
DIE TRENDS VON RECHENZENTREN.
NACHHALTIGKEIT. Mit Grünstrom und neuen Abwärmekonzepten versuchen die Betreiber, gesteckte CO2-Ziele zu erreichen. Die KI macht das immer schwieriger.
INVESTMENT. Rechenzentren versprechen langfristig stabiles Wachstum. 2024 werden M&A erstmals die Marke von 40 Milliarden Dollar weltweit überschritten haben.
SICHERHEIT. Attacken auf die Infrastrukturen sind zuletzt stark gestiegen, geopolitische Spannungen machen die Lage kritisch.
AUTOMATISIERUNG. Im operativen Betrieb werden Prozesse weiter automatisiert und das Monitoring damit erleichtert.
AUFLAGEN. Richtlinien wie NIS2 betreffen nun auch Anbieter kritischer digitaler Infrastruktur.
DER BAUBOOM.
Allzu prominente Firmenlogos an der Fassade fehlen meist, und die Sicherheitsvorkehrungen sind auf Fort-Knox-Niveau. Von außen soll niemand erkennen, was drinnen passiert, Camouflage ist das maßgebliche architektonische Prinzip: Rechenzentren sind das Herz der Digitalisierung, der Betrieb muss 24/7 laufen, und störende Einflüsse gilt es fernzuhalten. Rechenzentrumsbetreiber besiedeln mit ihrer Infrastruktur bevorzugt aufgelassene Industrieareale oder gehen tief in Berge hinein, wo die Natur gleich einen Teil des Objektschutzes mit abdeckt.
Der Bauboom bei diesen digitalen Immobilien ist historisch: Cloudcomputing, soziale Netzwerke und die Nachfrage durch KI-Anwendungen treiben ihn.
Marktforscher Synergy Research rechnet für das laufende Jahrzehnt mit 49 Milliarden Dollar in dieser Immobilienklasse, investiert zu mehr als zwei Dritteln von Hunderten Infrastrukturanbietern, die als sogenannte Colocation-Betreiber diese Infrastruktur vermieten. Den Rest errichten bekannte Tech- und Telekomkonzerne, die sogenannten Hyperscaler wie Amazon, Microsoft und Google. Bis auf China sind das weltweit betrachtet auch die drei größten Anbieter von Clouddiensten. Nur in China sind die top drei in lokaler Hand: Alibaba, Tencent und China Telecom. Dominiert wird der Weltmarkt mit 51 Prozent von den US-amerikanischen Anbietern. 2024 werden erstmals 1.000 Hyperscale-Standorte weltweit gezählt.
Zwei Drittel des Colocation-Markts konzentrieren sich rund um 20 Metropolregionen. In Europa sind das London, Frankfurt, Paris und Amsterdam. Digital Realty, einer der größten Colocation-Anbieter weltweit und in Österreich der Marktführer, entwickelt in Wien gerade einen zweiten Standort (siehe untenstehendes Interview).
Selbst große Unternehmen, die die Infrastruktur früher oft noch unter eigenem Dach betrieben, greifen vermehrt auf diese externen Standorte zurück: Dort ist die aufwendige technische Ausstattung mit Kühlung und ausfallssicherer Stromversorgung und Sicherheit garantiert und die Steuerung der Kapazitäten flexibler möglich. Zur Anbindung ans digitale Verkehrsnetz stehen eine Reihe von Anbietern, sogenannten Carriern, zur Auswahl, die Bandbreiten im hohen Gigabitbereich anbieten.
FURCHT VOR STÖRAKTIONEN.
Einen beträchtlichen Unsicherheitsfaktor für Anbieter dieser digitalen Infrastruktur stellt mittlerweile die geopolitische Lage dar. Rechenzentren können nicht isoliert betrachtet und betrieben werden, ohne Anbindung an die weltweiten Verkehrswege sind sie nicht funktionstüchtig. Akte der hybriden Kriegsführung machen Störaktionen an dieser Infrastruktur – sei es in Form von Hackerangriffen oder Sabotage von submarinen Kabelsträngen – leider attraktiv und folgenschwer. Sicherheitsstrategien müssen permanent angepasst und laufend digitale Bypässe für einen Ernstfall gelegt werden. Die Angriffe auf kritische Infrastrukturen haben 2024 um ein Drittel zugelegt. Sicherheitsexperten sprechen von neuen geopolitischen Waffen. Anfang Dezember hat die EU weitere 142 Millionen Euro freigemacht für Backbones und submarine Datenkabel. „Die Investitionen in die Absicherung unserer Connectivity stärken die technische Resilienz in der EU“, sagte Henna Virkkunen, in der Kommission von der Leyen II zuständig für Technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie.
BIG, BIGGER UND NOCH MEHR.
Neben der angespannten Sicherheitslage lässt sich in den USA exemplarisch studieren, mit welchen Herausforderungen dieser Bauboom einhergeht. Der exponentiell wachsende Energiebedarf von KI-Anwendungen führt dazu, dass Atomkraftwerke wieder hochgefahren oder sogar neu errichtet werden. Unter Big Tech läuft ein Wettstreit, diese Ressourcen zu sichern: Three Mile Island, der bekannte stillgelegte Unglücksmeiler, soll für Microsoft hochgefahren werden und ab 2028 zwei Jahrzehnte exklusiv für den Konzern Strom liefern.
Amazon musste im Herbst eine Niederlage einstecken: Die US-amerikanische Energieaufsicht verhinderte die Zusammenschaltung mit der von Amazon gekauften Atomanlage Susquehanna, weil es die Stromrechnungen für die Öffentlichkeit erhöhen würde. Meta sucht mittlerweile Ingenieure, um ab 2030 eigene Minireaktoren hochfahren zu können. Sogar IT-Pionier Bill Gates ist neben seiner Philanthropie ins Energiegeschäft eingestiegen und will mit seinem Start-up Terrapower eine neue Generation an Minireaktoren designen.
Selbst wenn die Atomkraft prominenter denn als „grüne“ Energieerzeugung wieder am Spielfeld stehen dürfte, wird der absehbare Energiehunger kurzfristig zum limitierenden Faktor werden. Marktforscher Gartner prognostiziert für 2027, dass sich der fehlende Strombedarf negativ auf die Kapazitäten auswirken wird. Allein bis dahin soll sich der Bedarf für KI-Rechenzentren auf 500 Terawattstunden verdreifachen (siehe Grafik).
„Das explosionsartige Wachstum schafft eine Energienachfrage, die von Stromanbietern kurzfristig nicht zu decken sein wird, weil die ihre Kapazitäten nicht so schnell ausbauen können“, warnte Gartner-Analyst Bob Johnson im November. Die Konsequenzen sind steigende Strompreise und damit auch Kosten für das Training von KI-Modellen. Und, so Johnson weiter: „Das wird das Erreichen ambitionierter CO2-Ziele immer schwieriger machen.“
Mit dem Boom bei KI-Servern wird das Engagement der großen US-Unternehmen auch in Europa forciert. Microsoft, einer der Frontrunner im KI-Markt, hat bis Ende 2025 allein für Deutschland 3,2 Milliarden Euro Investments budgetiert, um lokal Kapazitäten aufzubauen, in Norditalien soll um 4,3 Milliarden eines des größten Rechenzentren in Europa entstehen. Die US-Firmen siedeln sich bevorzugt in der Nähe von wichtigen Firmenstandorten und Ballungszentren an. Microsoft Österreich will bis Ende 2026 ebenfalls ein lokales Rechenzentren fertig haben, um dem Bedarf vor Ort besser abdecken zu können, wenn er so richtig anzieht.
Einer der wichtigsten Standorte für Hyperscaler in Europa war in der Vergangenheit Irland. Ausbauambitionen von Microsoft oder Amazon in Dublin wurden zuletzt durch den staatlichen Netzbetreiber beendet – bis 2028 dürfen dort keine neuen Rechenzentren mehr angeschlossen werden. Das Netz sei nicht dafür ausgelegt, der Bevölkerung ginge der Strom aus.
Regionen, deren Stromnetze leistungsfähig genug sind, werden in den kommenden Jahren absehbar Standortvorteile haben. Digital-Realty-Manager Martin Madlo sieht hier Nachholbedarf in Österreich: „Es gibt einiges an KI-Projekten in Österreich, die aktuell wegen mangelnder Rechenzentrumskapazitäten nicht realisiert werden können. Unser neuer Standort wird der erste sein, der auch für große KI-Installationen die nötige Infrastruktur bieten wird, etwa Liquid-to-Chip-Cooling, sodass die Abwärmeenergie direkt vom Chip abgeholt wird.“
Berechnungen für die künstliche Intelligenz stoßen in neue Dimensionen vor. „Die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen wird sich alle sechs Monate verdoppeln“, prognostiziert Microsoft-CEO Satya Nadella. Es wird im Wortsinne brennheiß – wie stark, lässt bei KI-Chip-Marktführer Nvidia studieren. Deren jüngste Chipgeneration wird so heiß, dass der Hersteller die Lieferanten der Server-Racks dazu auffordern musste, ihr Design zu ändern. Die Entwicklungen laufen in einem solchen Tempo, dass sich die Zulieferer noch nicht auf Standards einigen konnte. Madlo: „Die Hersteller von Kühlsystemen entwickeln alle ihre eigenen Lösungen.“ Von den Rechenzentrumserrichtern ist gerade maximale Flexibilität gefordert. Viele der Blaupausen für KI-Rechenzentren werden wohl erst nach Bauabschluss fertig gezeichnet sein.
„Landmarks der digitalen Landschaft“
Digital-Realty-Geschäftsführer MARTIN MADLO über Sicherheit, Stromhunger und Österreichs ausbaufähige digitale Standortqualitäten.
Ihre Sicherheitsvorkehrungen sind beeindruckend. Haben Sie die seit unserem letzten Besuch verstärkt?
Physische Sicherheit ist ein wesentlicher Baustein unserer Services. Wer seine kritische IT-Infrastruktur zu uns auslagert, erwartet nicht nur verlässliche Energie- und Kältetechnik, sondern auch, dass nur die berechtigen Personen Zutritt zum IT-Equipment haben. Tatsächlich haben wir erst kürzlich ein neues Zutrittskontrollsystem implementiert, mit dem wir über 1.000 Türen elektronisch überwachen und den Zutritt ganz genau regeln können.
Was sind die Motive dafür? Neue Auflagen oder geänderte Bedrohungsszenarien?
Zertifizierungen sind seit Langem Routine für uns, und das haben wir stets auch als Dienstleistung für unsere Kunden gesehen. Vor 15 Jahren sind schon Auditoren von Kunden aus Industrie, Versicherungen oder Bankenbereich gekommen und sagten: Interxion? Passt! Die haben alle Zertifizierungen. Was in den letzten Jahren aber tatsächlich eine Herausforderung geworden ist, sind unterschiedliche Regularien.
Kundennamen dürfen Sie nicht nennen, doch können Sie uns sagen, welche Dienste sie nutzen?
Wir sehen, dass fast alle Unternehmen in irgendeiner Form hybride IT-Lösungen einsetzen. Man geht weg von eigener Hardware am eigenen Standort. Colocation hat auch den Vorteil, dass man den Bedarf den jeweiligen Anforderungen anpassen kann. Ich hatte unlängst ein Gespräch mit einem großen österreichischen Unternehmen: Sie meinten, dass sie unmöglich abschätzen können, wie hoch der Bedarf in drei Jahren sein wird. Die KI macht diese Einschätzungen noch schwieriger. Mit Colocation kann man flexibler darauf reagieren.
Rechenzentren stehen unter wachsender kritischer Beobachtung, der Energiehunger steigt, auch Ihre Stromkosten steigen. Wie bekommen Sie das in den Griff?
Strom hat direkten Einfluss auf unsere Betriebskosten. Wir haben über die letzten Jahre kontinuierlich in die Erneuerung unserer technischen Ausstattung investiert. Eine Stellschraube ist die Kältetechnik, eine Stellschraube unsere Photovoltaikanlage am Dach. Wir nehmen seit zehn Jahren auch nur Energie aus CO2-neutraler Produktion. Unser Konzern hat klare ESG-Ziele.
Digital Realty ist weltweit tätig: Welche Rolle spielen Standorte in Österreich und Europa?
Wir gehen dorthin, wo die Kunden Colocation-Services benötigen. Unseren europäischen Footprint haben wir in den letzten zwei Jahren über den Balkan hinaus ergänzt, nach Zagreb und Athen. Wir errichten ein Rechenzentrum in Thessaloniki. Vor wenigen Wochen haben wir einen Campus für Rom angekündigt. Wir expandieren stark in Europa. Aber auch die Emerging Markets in Afrika und Asien sind wichtig.
Rechenzentren sind eine spezielle Immobilie. Optimalfall ist die grüne Wiese mit guter Carrier-Anbindung?
Nein, besser als die grüne Wiese ist das Brownfield Development, unsere bevorzugte Strategie in Europa. Auch hier in Wien haben wir aufgelassene Industrieliegenschaften besiedelt (SGP-Werke, Elin, VAtech, Anm.). Brownfield ist besser, um die Nachhaltigkeit bereits bei der Errichtung zu erreichen. In Marseille nutzen wir ehemalige Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg und haben aus einem heruntergekommenen Stadtteil einen pulsierenden gemacht. Es gibt einige Projekte, die Landmarks geworden sind. Das sind nicht nur architektonische Landmarks, sondern Landmarks der digitalen Landschaft.
Sie haben in Wien rund 80 Mitarbeitende: Wie leicht tun Sie sich, die zu finden?
Arbeitskräftemangel macht auch vor der Data-Center-Branche nicht schafft. Wir konnten uns über die Jahre aber als Arbeitgeber mit gutem Ruf etablieren. Herausfordernd ist der Umstand, dass es den Beruf Data Science Engineer in der Form nicht gibt. Die Leute müssen in Sicherheits-, Elektro-, Kälte- und IT-Technik kundig sein. Wir bilden qualifizierte Kollegen mit technischen Grundausbildungen meist selbst aus und weiter.
Ist Österreich eigentlich ein guter Standort für Rechenzentren?
Theoretisch wäre er das, weil er im Herzen Europas liegt. Über viele Jahre war Wien eine digitale Drehscheibe. Derzeit laufen wir Gefahr, ins Hintertreffen zu gelangen, weil es in Wien nicht genug elektrotechnische Infrastruktur für neue Rechenzentrumsprojekte gibt. Wir haben uns schon die Zugänge zu den Netzen gesichert, aber ich höre immer wieder von Projekten, die nicht realisiert werden können, weil es die Energie im Netz nicht gibt. Das ist für Wien als digitalen Wirtschaftsstandort katastrophal. Rechenzentren sind Basis der digitalen Infrastrukturso wie Breitbandnetze. Das hat sich, anders als beim Breitband, noch nicht überall durchgesprochen. Das brauchen österreichische Unternehmen für ihre Digitalisierung und Innovation.
ZUM UNTERNEHMEN.
DIGITAL REALTY ist größter lokaler Rechenzentrumsanbieter. Das Vorgängerunternehmen Interxion wurde 2020 von US-Konzern Digital Realty übernommen, der weltweit 400 Standorte betreibt und 2023 einen Umsatz 5.477,06 Milliarden Dollar machte.