Hermann Hauser
©Elisabeth MandlHermann Hauser, Tiroler Computerpionier, Tech-Investor und Serienunternehmer, hat 1978 das Unternehmen Acorn mitgegründet. Daraus ging ARM Inc. hervor, das jetzt wieder an der Börse durchstartet. Mit dem trend sprach Hauser über die Produktivitätsrevolution durch ChatGPT, das potenziell schädliche Vorpreschen der EU bei der Regulierung und die gefährliche Anti-China-Hysterie.
Der ARM Börsengang
Nach sieben Jahren Pause ist der Chip- und IT-Konzern ARM mit 14. September an die Börse zurückgekehrt. Die Erstnotiz der Aktien an der Technologiebörse Nasdaq lag bei 56,10 Dollar, 10 Prozent über dem Ausgabepreis.
Auf den Entwürfen des Unternehmens basieren praktisch sämtliche Smartphone-Chips. Aber auch bei Prozessoren für Rechenzentren und im Umfeld der Künstlichen Intelligenz (KI) kommen sie immer häufiger zum Einsatz. Entsprechend begehrt waren die Aktien bei der Ausgabe. Insidern zufolge war die Emission zwölffach überzeichnet und hätte einen höheren Zuteilungspreis gerechtfertigt. Experten der begleitenden Banken hätten Softbank-Chef Masayoshi Son aber davon abgeraten, um die Chancen auf kräftige Zeichnungsgewinne zu erhöhen. Softbank habe sich außerdem dagegen entschieden, einen größeren als den bisher angebotenen 9,4-prozentigen Anteil an dem Chip-Designer zu verkaufen.
ARM hatte 95,5 Millionen Papiere zu je 51 Dollar zugeteilt und lag damit am oberen Ende der Angebotsspanne von 47 bis 51 Dollar. Mit einem Emissionsvolumen von 4,87 Mrd. Dollar (4,54 Mrd. Euro) ist der IPO der bisher größte Börsengang des Jahres. Zum Ausgabepreis wurde Arm mit 54,5 Mrd. Dollar bewertet.
Gegründet wurde ARM vor 33 Jahren als Joint Venture von Acorn Computers, Apple und VLSI Technology. Die Abkürzung stand ursprünglich für "Acorn Risc Machines". Das Unternehmen, das im britischen Cambridge seinen Sitz hat, war bereits von 1998 bis 2016 an der Börse notiert – damals in London und an der Nasdaq – bevor Softbank es für 32 Mrd. Dollar übernahm. Im vergangenen Jahr scheiterte der geplante, 40 Mrd. Dollar schwere Verkauf an den Chip-Konzern Nvidia wegen eines Vetos der Wettbewerbsbehörden.
Arm kann auf stabile Gewinne verweisen: Im Ende März abgeschlossenen Geschäftsjahr wurden 524 Millionen Dollar Gewinn bei 2,68 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaftet. Zu Redaktionsschluss war der Preis noch nicht festgesetzt. Das japanische Softbank-Konglomerat will rund zehn Prozent seiner Arm-Anteile abgeben, erwartet wird eine Gesamtbewertung von über 50 Milliarden Dollar. Als potenzielle Ankerinvestoren für den Börsengang werden Tech-Größen wie Nvidia, Apple und Amazon genannt.
Hermann Hauser: "Das ist unerhört"
Oh, Sie studieren in Cambridge?", fragt der freundliche Herr im weißen Strickpullover den jungen Stipendiaten aus Indien im sattgelben Poloshirt, der ihm nachgeeilt ist. Auf der vom Energieunternehmen Verbund organisierten Wanderung zum "Gasthof Roßmoos" gibt es eine kurze Verschnaufpause. Ein junger Teilnehmer des Forums Alpbach nutzt sie, um mit dem von Cambridge aus zu Ruhm gekommenen Österreicher Hermann Hauser ins Gespräch zu kommen.
In den Kitzbüheler Alpen ist Hauser, der im Oktober 75 wird, in seinem Element. Schon als junger Mann ist der in Wörgl Aufgewachsene auf den Gratlspitz gestiegen, den Hausberg der Alpbacher. Er ist Stammgast beim Forum und schätzt hier den Austausch mit US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz oder Hannes Androsch.
Dieses Jahr ist er aber in extraguter Laune, denn die internationalen Wirtschaftsmedien sind voll mit Berichten zum Börsengang der britischen Chipfirma Arm, die der studierte Physiker mitgegründet hat, an der er aber nicht mehr beteiligt ist. Der Stolz auf "sein Baby" schwingt in jedem seiner Sätze mit: Es ist der global größte Börsengang des Jahres:
Das Timing ist perfekt, denn die Chips von Arm sind essenzielle Bauteile in der künstlichen Intelligenz (KI) und damit wohl des größten technologischen Umbruchs, den es in der Geschichte bisher gegeben hat, glaubt Hauser. Was den Mann, der sich seit fast 50 Jahren intensiv mit Computern beschäftigt, so in den Bann zieht, ist der Durchbruch sogenannter Large Language Models (LLMs), wie sie etwa in ChatGTP zur Anwendung kommen: "Das Tempo, mit dem das passiert, ist eine totale Überraschung."
Welt im Umbruch durch KI
Vor den Wandernden in der Stube des "Gasthofs Roßmoos" wiederholt er später jene Thesen, die er davor dem trend gesagt hat, häufig zwischen Englisch und Deutsch hin und her wechselnd.
"Noch nie" sei es der Fall gewesen, dass eine Technologie binnen zwei Monaten von null auf 100 Millionen Nutzer explodiert sei. "Noch nie" habe es eine Technologie gegeben, die auf alles trainiert wurde: "die gesamte Mathematik, die gesamte Physik, die gesamte Geschichte, die gesamte Biologie, die gesamte Geografie, die gesamte Philosophie usw." LLM habe auch enorme Auswirkungen auf praktisch alle Bereiche des Wirtschaftens. Sein Fazit: "Das ist unerhört. KI ist die erste Technologie, die die gesamte Wirtschaft produktiver macht."
In seinen eigenen Portfoliofirmen, erzählt der Co-Gründer von Amadeus Capital Partners, habe er den Turbo in den letzten Monaten hautnah miterlebt: Mit KI-Hilfe ist die Produktivität quer durch alle Bereiche um 30 Prozent gesteigert worden, von Kundenbetreuung bis zur Logistik. Bei Programmierern beträgt die Steigerung sogar 70 Prozent.
Müssen sich also 70 Prozent der Programmierer nun einen neuen Job suchen? Hauser will diese alte Angst zerstreuen. Es gebe ja viel zu wenige Programmierer, und die könnten jetzt ganz einfach mehr und größere Programme schreiben. ChatGPT könne inzwischen zwar sowohl einfache als auch sehr komplexe Arbeiten erledigen, aber zum Ausbessern der Fehler brauche es noch immer Menschen.
Auch wenn er es launig erzählt, die Veränderungen in seinem eigenen Arbeitsalltag sind furchteinflößend. Hauser arbeitet gerade an einem Buch über Technologiesouveränität, das 2024 erscheinen soll. Als er ChatGPT aufforderte, ihm einen Absatz zu einem Spezialaspekt zu schreiben, kam die KI auf ebenjene drei Kernfragen, die Hauser selbst in einem früheren Artikel formuliert hatte.
Aber was, wenn die Maschine plötzlich eigene Gedanken – oder solche ohne klar zuordenbare Urheberschaft – zum Ausdruck bringt? Wie steht es mit dem Risiko, dass sich die rasant entwickelnde Technologie gegen den Menschen selbst richten kann, womöglich sogar ein eigenes Bewusstsein entwickelt?
Bremsklotz Technologieskepsis
Hauser ist beim Wandern die Entspanntheit pur. Dennoch nervt ihn die Technologieskepsis insbesondere in Deutschland und Österreich gehörig. Für falsch hält er etwa, dass die EU mit ihrem AI Act, dessen Grundzüge aus der Zeit vor dem ChatGPT-Durchbruch stammen, wieder einmal voranmarschieren will. "Wenn wir durch Gesetze künstlich daran gehindert werden, die neue Produktivitätstechnologie zu verwenden, kann das dazu führen, dass wir binnen weniger Jahre noch abhängiger von den USA und von China werden." Wenn das Gesetz in der jetzigen Form im EU-Parlament durchginge, werde es Europa schaden und "katastrophale Folgen" haben.
Aber wollen wir angesichts der Einsatzmöglichkeit etwa in Waffensystemen warten, bis jemand – im übertragenen Sinn – die KI-Bombe abwirft?
Hauser bestreitet die Notwendigkeit für Regulierung nicht. Es geht ihm schlicht um das synchrone Vorgehen: Wenn Europa vorpresche, würde es sich der möglichen wirtschaftlichen Vorteile berauben, glaubt er. Das sei im KI-Fall anders als etwa bei der Datenschutzgrundverordnung GDPR, mit der Europa "weise" und erfolgreich Standards gesetzt habe.
Zuschüsse machen Standorte
Er trägt diese These nicht nur in Tirol vor. Auch Brüssel hört auf ihn, der seit 2018 im Board des von der EU-Kommission geschaffenen European Innovation Council sitzt, das die Kommerzialisierung hoch riskanter Technologien vorantreiben soll. Und so hat er neulich "die Margrethe" angerufen. Gemeint ist keine Geringere als die mächtige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Sie habe ihm prompt versichert, bereits im Austausch mit OpenAI, der Firma hinter ChatGPT, zu stehen. Hauser ist optimistisch, alle großen Player noch auf eine gemeinsame Linie bringen zu können.
Ein wenig hört sich das danach an, als ob Europa schlechtgeredet werden müsse, um Regulierungen abzuwenden. Sind nicht die riesigen angekündigten Investments von nichteuropäischen Chipfirmen wie Intel und TSMC in Deutschland der Beweis, dass sie an den Standort Europa glauben? "Nein, diese Firmen glauben nicht an den europäischen Standort, sondern an die europäischen Zuschüsse", repliziert Hauser süffisant. Deutschland wird allein 15 Milliarden für die zwei Fabriken der Branchenriesen ausgeben.
Er selbst glaubt an den europäischen Spirit. Die Winter verbringt er auf seiner Rinderfarm in Neuseeland, in den Sommern versucht er, etwa mit seiner Summer School on Entrepreneurship in Wattens Unternehmergeist zu fördern. Sie ging eben zum neunten Mal über die Bühne.
Für seine eigenen Investments hofft der Risikokapitalgeber durch den technologischen Umbruch auch auf einen Boost für die Amadeus-Capital-Beteiligung PolyAI, eine Plattform zur Automatisierung von Callcentern. An seinem Schwerpunkt auf Quantencomputer -allein sieben seiner Start-ups beschäftigen sich mit dieser Zukunftstechnologie – ändert die KI-Revolution nichts.
Im Boot mit China
Nicht alle Pläne sind aufgegangen. Sein Investment Five AI – das Start-up hätte 2022 London mit autonom fahrenden Taxis bestücken sollen – wurde an Bosch verkauft, finanziell zwar ein Gewinn, aber dennoch "eine Enttäuschung". In den USA hätte eine vergleichbare Firma eine Milliardenbewertung erfahren, ist er überzeugt.
Der indische Alpbach-Stipendiat hat sich wieder weiter hinten eingereiht, die letzten Meter vor Roßmoos sind in Sicht. Eines will Hauser den europäischen Spitzenpolitikern unbedingt noch mitgeben: "Die Anti-China-Hysterie – das ist die falsche Richtung. Ohne China geht nichts, man muss mit ihnen zusammenarbeiten." Eine unbeabsichtigte Konsequenz der von den USA begonnenen, von Europa teilweise nachvollzogenen harten Abgrenzung von China könne sein, China "geradezu zu zwingen, alles selber zu machen". Dass die Volksrepublik das kann, daran hat er keine Zweifel. Das Land habe sowohl mehr Geld als auch mehr Ingenieure für die Chipindustrie zur Verfügung als die USA und Europa zusammen. "Und wenn sie dann alles selber haben, werden sie nicht besonders freundlich mit uns sein."
Artikel aus trend. PREMIUM vom 8.9.2023