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Interview: "Erstmals können wir direkt in die Evolution eingreifen“

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Aktualisiert
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6 min

STEFAN WÖHRER (l.) ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie. 2015 gründete er Permedio, das Zentrum für personalisierte Medizin.

JOHANNES HUBER studierte Theologie und Medizin und ist in Wien als Arzt tätig. Von 1992 bis 2011 war er Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie im Wiener AKH.

©ALEX HALADA, VERLAG
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Die Mediziner JOHANNES HUBER und STEFAN WÖHRER erklären, warum die personalisierte Medizin eine neue Ära einläutet.

trend.

In welchen Bereichen der Medizin sehen Sie das größte Potenzial für personalisierte Ansätze?

STEFAN WÖHRER

Der größte medizinische Nutzen liegt immer in der Prävention von Krankheiten. Das Gleiche gilt für die personalisierte Medizin. Wenn ich mein persönliches Risiko für eine bestimmte Erkrankung kenne, kann ich eine aktive Vorsorge betreiben, damit diese Erkrankung am besten gar nicht auftritt oder frühzeitig behandelt wird. Was die Behandlung betrifft, so hat die Pharmakogenetik, das heißt die Auswahl von Medikamenten basierend auf genetischen Untersuchungen, derzeit das größte Potenzial. Wenn jeder Österreicher einen pharmakogenetischen Test machen würde, so könnte man jährlich circa 100.000 Spitalsaufenthalte vermeiden und dadurch 500 Millionen Euro einsparen.

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Wo wird personalisierte Medizin aktuell schon eingesetzt?

Uni. Prof. DDr. JOHANNES HUBER

In der Neurologie und Psychiatrie, beim Verschreiben von Psychopharmaka. Es gibt Menschen, die das gleiche Psychopharmakon schnell oder langsam ausscheiden. Und wenn sie es langsam ausscheiden, dann brauchen sie natürlich weniger. Wenn sie es schneller ausscheiden, dann brauchen sie mehr. Mit der personalisierten Medizin findet man hier die richtige Dosis. Denn wenn Sie zu wenig anbieten, dann wirkt es nicht. Und wenn Sie zu viel anbieten, dann schläft der Patient den ganzen Tag.

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Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Integration der personalisierten Medizin in die Standardversorgung?

STEFAN WÖHRER

Viele Personen, die derzeit im Gesundheits- und Medizinbereich arbeiten, sind jetzt schon überlastet und empfinden den zusätzlichen Aufwand durch die personalisierte Medizin als Belastung bzw. Störung der Routine. Deshalb muss einerseits eine breite Aufklärung erfolgen, und andererseits muss sich die personalisierte Medizin in die derzeitigen Strukturen integrieren. Beides passiert im Moment noch viel zu wenig, weil viele Verantwortliche noch davon ausgehen, dass es sich bei der personalisierten Medizin um Zukunftsmusik handelt und vergessen, dass diese im Moment schon großflächig angeboten wird.

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Sie sprechen im Buch vom biologischen Alter, das der Mensch selbst beeinflussen kann. Wie ist das möglich?

Uni. Prof. DDr. JOHANNES HUBER

Früher hat man immer gedacht, unser Genom, quasi die Hardware der Zelle, präjudiziert auch unsere Lebenszeit. Dann ist man darauf gekommen, dass es hinter dieser Hardware eigentlich eine Software gibt. Das sind einerseits die elektrischen Ladungen dieser Hardware, also die Epigenetik, und andererseits die Milliarden von kleinen RNA-Stücken, die in unserem Körper kursieren. Und die programmieren die Hardware, unser Genom. Und die sind eigentlich das Entscheidende, denn die sind auch veränderbar. Mit der Veränderung der Software, mit einer Reprogrammierung, kann man sehr viel beeinflussen.

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Wie funktioniert diese Reprogrammierung?

Uni. Prof. DDr. JOHANNES HUBER

Es gibt ein Grundgesetz in der Biologie, das für alle Spezies gilt: Wenn eine Gattung in Lebensgefahr

ist, dann reprogrammiert sie die Software. Dieses Umprogrammieren ist dafür verantwortlich, dass sie der Gefahr widerstehen kann, also das Leben sich nicht verkürzt, sondern manchmal sogar verlängert. Und auch bei Menschen gibt es diese Gefahrensituationen, die eine Reprogrammierung möglich machen. Die größte Gefahr des Menschen aus der Steinzeit ist, dass er verhungert. Und das erklärt auch, dass diese berühmte Restriction of Calories, nämlich das Nichts essen, eine enorme Reprogrammierungsmöglichkeit dieser Software ist. Und auch ein Anti-Aging-Mittel.

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Welche weiteren Anti-Aging-Mittel gibt es?

Uni. Prof. DDr. JOHANNES HUBER

Die zweite Gefahrensituation stammt auch aus der Steinzeit und betrifft das Davonlaufen vom Feind. Das ist eine Erklärung dafür, warum Bewegung in vielen Facetten das Epigenom ändern und verbessern kann. Die dritte Gefahr ist, dass man erfriert. Auch die Körpertemperatur hat auf diese Software einen gewissen Einfluss. Kälte kann manchmal auch wirklich gut sein. Auch das kann man aus der Evolution herleiten. Und dann gibt es noch pflanzliche Substanzen, von denen man weiß, dass sie auch bei Menschen einerseits die RNA-Biologie verbessern und andererseits die Codierung, das Epigenom, positiv verändern. Die Medizin hat daraus die Epigenetic Drugs entwickelt, wie zum Beispiel das Rapamycin. Das ist ein völlig neues Areal in der Medizin, das

uns auch die Möglichkeit gibt, erstmals in die Evolution direkt einzugreifen. In der Vergangenheit haben wir gewartet, was die Evolution durch Zufall mit uns vorhat. Jetzt kann man tatsächlich mit diesen Strategien direkt eingreifen.

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