Kollege KI im Karosseriebau bei BMW.
©BMW GroupNach dem Hype die Ernüchterung: Um die Produktivitätsversprechen der KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ einzulösen, braucht es die richtige Strategie, gute Führung – und realistischere Erwartungen.
Seine Bewerbung ging nicht durch die Personalabteilung, seine Probezeit hat er aber bravourös absolviert: Der humanoide Roboter 02 des US-Herstellers Figure hat im BMW-Werk in Spartanburg am Fließband völlig autonom Blechteile eingesetzt. Industrieroboter stehen zwar schon lange an den Fertigungsstraßen, aber Figure 02 ist anders: Er wird von einem OpenAI-Sprachmodell angetrieben, sieht seine Umgebung durch sechs RGB-Kameras und hat Hände mit einer dem Menschen vergleichbaren Kraft.
Das Vision Language Model von OpenAI lässt ihn die richtigen Schlussfolgerungen aus den Kamerabildern ziehen: Figure 02 agiert gefühlvoll, ohne Gefühle zu haben. BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic ist begeistert und sucht bereits nach neuen Einsatzmöglichkeiten: „Die sind vielversprechend“, sagt er in einer Stellungnahme.
Während die einen bereits mit Riesenschritten in eine Zukunft eilen, in der Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, sind andere unsicher, ob das, was heute salopp unter künstlicher Intelligenz gefasst wird, denn wirklich Sinn macht. „Die KI hält nicht, was sie verspricht!“ Solche Sätze fallen derzeit in Diskussionen öfter.
KI baut Auto
Nach dem Hype um die generative KI macht sich Ernüchterung breit, die jüngst auch zu Korrekturen bei Tech-Aktien führte.
Für Jim Covello, Analyst der Investmentbank Goldman Sachs, kommt das nicht überraschend: „Die Technologie ist teuer, aber nicht im Geringsten auch nur entsprechend so nützlich.“ Der Wall-Street-Veteran warnt sogar vor einem Overbuild – also einem zu großen Ausbau von KI-Rechenkapazitäten. „Das endet typischerweise nicht gut.“ Käme es so, müsste sich auch der KI-Gigant Nvidia mit einem Rückgang der Nachfrage nach seinen Chips auseinandersetzen.
Hype Cycle
Doch sind die Zweifel berechtigt und woher kommen sie? Ein Blick auf die jüngere Technologiegeschichte hilft. Hochflüge und Katzenjammer gehören zu Innovationen. Das ist normal. Jackie Fenn, Analystin beim Technologieberater Gartner, hat diese Phänomene 1995 erstmals beschrieben und diesen „Hype Cycle“ zu einem Modell gemacht, das heute weit über die Techbranche hinaus Verwendung findet: Die Markteinführung eines bahnbrechenden Produkts weckt riesige Erwartungen.
Lösen die ersten Projekte diese nicht ein, macht sich Ernüchterung breit, die Begeisterungs- und damit die Umsetzungskurve fällt ab, bis sie sich nach einem Zeitraum stabilisiert und die Innovation im Mainstream ankommt. Fenn: „Anfangs glauben die Menschen oft, das Neue löse alle ihre Probleme, auch die Erwartungen zur Produktivität müssen sich erst einpendeln.“
Genau an diesem Punkt befinden sich auch Entwicklung und Einsatz der KI. Immer mehr Unternehmen wird klar, dass Chatbots, die seit bald zwei Jahren vielerorts als ultimative KI gelten, alleine wohl nicht das Schweizermesser für Produktivitätsprobleme sind.
Dieses Phänomen beobachtet auch Isabella Mader, Vorstand des Institute for Excellence Research: „Es sind viele Use Cases gemacht worden, aber wenig davon wurde ausgerollt. Mit ein Grund ist eine fehlende oder falsche KI-Strategie. Mit ein Grund ist eine fehlende oder falsche KI-Strategie.“
In ihrem neuen Buch „Next Generation Digital. Digitalisierung und KI strategisch einsetzen“ gibt die Dozentin für IT-Strategie eine praxisnahe Handlungsanleitung, wo der Produktivitätszuwachs tatsächlich liegen könnte. „Viele Unternehmen schätzen Produktivitätsfallen nicht richtig ein“, sagt Mader.
Statistisch gesehen fließt nämlich mehr als die Hälfte der Tagesarbeitszeit bei Wissensarbeitenden nicht ins Produkt, sondern in die Suche nach Informationen, in die Rückkonzentration Unterbrechungen, unproduktiven Sitzungen und die Orientierung in einer unbewältigbaren Menge an Kommunikationsanfragen und ausufernden Reportingverpflichtungen nach innen und außen. So weit, so bekannt.
Produktive KI
Dabei gibt es so etwas wie Google für das Unternehmen, die sogenannte Enterprise Search – basierend auf KI-Technologie –, längst. „Informationen können mit einer einfachen Chatanfrage schneller durchsucht werden als im Explorer.“ Selbst für steigende Reportingverpflichtungen gibt es mittlerweile Programme, die – sind sie einmal aufgesetzt – Daten automatisch aus dem System ziehen. „Einem sich im Schnitt jährlich verdoppelnden Kommunikationsaufkommen können wir nicht mit doppelt so schnellem Arbeiten begegnen“, analysiert Mader. „Wir müssen anders arbeiten.“
In der zunehmenden Komplexität bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel fühlen sich viele unter Druck gesetzt. Erst im April befragte PwC im Rahmen der „Hopes & Fears Survey“ 56.600 Personen weltweit, über 1.000 davon in Österreich, zu diesem Thema. 42 Prozent der heimischen Arbeitskräfte gaben an, dass die Arbeitsbelastung zugenommen habe.
Spannend: Mit 78 Prozent waren mehr als drei Viertel der Befragten bereit, „sich an neue Gegebenheiten in der Arbeitswelt anzupassen“. Die Bereitschaft für Neues ist also gegeben. Alarmierend: Gerade einmal 51 Prozent der abgewickelten Verwaltungstätigkeiten wurden von den Mitarbeitenden als „effizient“ wahrgenommen.
Andreas Hladky, Partner bei PwC Österreich und Leiter des Bereichs Digital Consulting, rät daher, mit den eigenen Leuten zu reden: „Einige Unternehmen fragen ihre Mitarbeiter nach den Problemen und bekommen jede Menge Vorschläge. Der Grundtenor lautet: ‚Bitte automatisiert, was nur irgendwie geht, damit wir ordentlich arbeiten können und nachkommen.‘“
Und in der Automatisierung geht viel, richtig viel. Lange bevor sich die ChatGPT-Welle aufgebaut hat, wurden schon Automatisierungen eingesetzt. Robotische Prozessautomatisierung (RPA) sorgt seit Jahren dafür, dass Formulare automatisch gelesen und verarbeitet werden. Machine Learning ist in der Mustererkennung in der Industrie wie im Dienstleistungssektor vielerorts Standard.
Wer die Automatisierungsmethoden – dazu gehört auch generative KI – richtig einsetzt, hat ein Automatisierungspotenzial von 40 bis 50 Prozent, rechnet Technologieberater Accenture vor: „Automatisierungstechnologien sind in österreichischen Unternehmen seit Jahren im Einsatz, sie werden jetzt allerdings eigenständiger und für komplexere Aufgaben einsetzbar“, sagt Christian Winkelhofer, Managing Director für neue Technologien bei Accenture. Denn Vorgänge, die sich massenhaft wiederholen, gibt es massenhaft.
Beim Telekomkonzern A1 werden die Teams im Kundenservice längst von Assistenzsystemen unterstützt. Für Elke Schaffer, Director Customer Service & Sales, wäre das Arbeiten anders nicht mehr vorstellbar, um der gestiegenen Anspruchshaltung von Kunden und Mitarbeitenden gerecht zu werden: „Durch die Automatisierung fallen viele einfache Dinge bei den Mitarbeitern weg. Es bleibt ihnen mehr Zeit für andere und komplexere.“ (siehe Kasten, unten)
KI unterstützt HR
Im Idealzustand ist die Arbeit zwischen Mensch und Maschine auf die jeweiligen Stärken abgestimmt: Ermüdende Wiederholungen übernimmt die Maschine, Aufsicht, Strategie und Kommunikation der Mensch. Neben dem Kundenservice ist diese Arbeitsteilung exemplarisch in vielen HR-Abteilungen zu beobachten.
Beim Vorarlberger Seilbahnbauer Doppelmayr etwa laufen nicht nur die Seilbahnen autonom, auch beim Onboarding sorgt das System dafür, dass nichts übersehen wird, und erinnert etwa den neuen Mitarbeiter an den Probiertermin für die Sicherheitsschuhe.
„Wenn ein Schritt nicht erledigt wurde, gibt’s Erinnerungen an die Verantwortlichen. Es gibt durchgängige Prozesssicherheit“, sagt Martin Sandholzer, Stabsstellenleiter HR und Administration. Das spielt Kapazitäten frei für Gespräche. „Der persönliche Kontakt ist wichtig. Mir ist es wichtig, zu wissen, was im Haus und extern passiert.“
HR-Abteilungen sind durch die rasanten Entwicklung der generativen KI an mehreren Fronten gefordert. Wie in Schulen und Universitäten müssen sie genuine Fähigkeiten anders evaluieren, weil die KI-Assistenten Fallstudien in wenigen Minuten „prompt“ zuliefern. Personalverantwortliche richten ihren Blick weniger auf Lebensläufe oder Arbeitsproben, die abgegeben werden, sondern auf das Feststellen von Kompetenzen und wo sich die Kandidaten hin entwickeln lassen.
A1-Managerin Elke Schaffer sieht in der KI-Unterstützung durch Programme wie „Agent Assist“ andererseits einen Grund, warum sich der Telekomanbieter relativ leichttut, Servicemitarbeitende zu finden: „Das dadurch komfortablere Arbeiten ist sicher ein Motiv, bei uns zu arbeiten.“
Generell scheint der Einsatz von KI Unternehmen attraktiver zu machen. Das zeigt auch die erwähnte PwC-Umfrage, in der mehr als zwei Drittel der befragten Arbeitnehmer überzeugt sind, dass KI ihnen helfen wird, neue Fähigkeiten zu erlernen.
Das Gros der Arbeitnehmer ist der KI gegenüber sehr aufgeschlossen, und das ist der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung einer KI-Strategie, weiß IT-Strategin Mader, die für einen Community-Ansatz plädiert: „Führungskräfte müssen den Wandel gut kommunizieren, nur dann gelingt es, ein Unternehmen produktiver zu machen.“
Entscheider müssen als eine Art Technologie-Coach fungieren, rät sie: „Konflikte verschleißen unproduktiv Energie, wodurch letztlich die Organisation verlangsamt und Ressourcen vergeudet werden. Die erfolgreichste Strategie ist die der Gemeinsamkeit und der Kommunikation. In einer Zeit zunehmender Technologisierung wird der Erfolg jenen gehören, die mit Menschen umgehen können.“
PwC-Experte Andreas Hladky ist in der Rückschau auf die jüngere Technologiegeschichte optimistisch, dass der KI-Kater, den manche haben, schnell überwunden wird: „Viele Unternehmen werden die Hypekurve gut in Richtung Produktivität nehmen. Jene, die es nur wegen der Mode machen, hören in der Ernüchterungsphase auf. Die, die es ernst nehmen, haben den mittelfristigen Benefit.“
Hladky führt zwei weitere Momente ins Treffen: „Anders als damals beim Aufkommen des Internets hat die revolutionären Dimensionen der künstlichen Intelligenz jeder sofort verstanden. Und die Einstellung zu Technologie ist heute auf eine positive Weise anders.“
"Beste Prozesse fürs Personal"
Mit nur zehn Personen werden 1.700 Mitarbeitende betreut, berichtet Doppelmayer-Stabsstellenleiter MARTIN SANDHOLZER.
NOCH NIE IN DER FIRMENGESCHICHTE wurde der Lohn bei Doppelmayr zu spät ausbezahlt. Dass es dennoch nur einen Mitarbeiter in der Lohnverrechnung braucht, um 1.700 Menschen pünktlich auszuzahlen, ist das Ergebnis langjähriger Erfahrung, durchdachter Schnittstellen und des Einsatzes von künstlicher Intelligenz.
Komplizierte Urlaubs- oder Reiseanträge gibt es nicht, die Mitarbeiter tragen das selbst ins System ein. Die flache Hierarchie ermöglicht kurze und schnelle Entscheidungen. „Für die HR-Abteilung wird die Administration zum Beispiel aufgrund der verstärkten internationalen Aufgaben immer herausfordernder und komplexer“, sagt Martin Sandholzer, Stabsstellenleiter HR und Administration.
Die zum Einsatz kommende Lohnsoftware von Sage ist mit der „hochkomplexen Abrechnung in der österreichischen Metallindustrie und dem KV vertraut und immer up to date“, so Sandholzer. Für Bewerbungs- und Einstellungsprozesse lassen sich die Vorarlberger vom Spezialisten d.vinci unterstützen. „Mit diesem Programm können wir auf unterschiedlichsten Plattformen mit einem Klick Stellenanzeigen ausspielen und im Falle der Einstellung die Nutzerdaten direkt im gleichen Programm fürs Onboarding verwenden“, so Sandholzer.
Das Programm erinnert in der Folge interne wie externe Beteiligte automatisch an die nächsten Schritte, den neuen Mitarbeiter etwa ans Hochladen der Passkopie oder an den Probiertermin für die Sicherheitsschuhe. „Wenn ein Schritt nicht erledigt wurde, gibt’s Erinnerungen an die Verantwortlichen. Es gibt durchgängige Prozesssicherheit“, sagt Sandholzer, der dafür mehr Zeit für persönliche Gespräche gewinnt.
„Unsere Kunden sind mit dem Chatbot zufrieden“
Guter Kundenservice stellt Kunden und Mitarbeiter zufrieden, weiß ELKE SCHAFFER.
FRÜHER GAB ES EINE MAPPE zu allen Produkten und Themen. Bei Änderungen wurden „die Zettel ausgetauscht“, erzählt Elke Schaffer von Zeiten, die in vielen Branchen noch nicht so lange her sind. „Unvorstellbar, heute noch so zu arbeiten, im Schichtbetrieb und Mobile Working“, sagt die Chefin von 1.000 Kundenservicemitarbeitenden, die 24 Stunden auf allen Kanälen – von der Hotline bis zu sozialen Netzwerken – Dienst tun, im Hintergrund unterstützt von vielfältigen Automatisierungs- und KI-Prozessen.
„Mitarbeitende können während des Servicevorgangs auf viel mehr Informationen zugreifen als früher, und das System schlägt ihnen auch direkt Lösungen vor. Die Konzentration liegt auf dem Gespräch, nicht mehr auf der Informationsbeschaffung im System“, erzählt sie. „Früher taten sich manche schwer mit dem vielen Lernen. Das ist heute cooler, weil ich nicht mehr alles auswendig wissen muss.“
Mit der Unterstützung im Hintergrund reduziert sich auch die Einarbeitungszeit massiv. „Für Agents, die im Consumermarkt arbeiten, hat sich die fachliche Ausbildungszeit auf vier bis sechs Wochen halbiert.“
Seit über zwei Jahren bietet A1 auch automatisierten Service. Über Chatbot „Kara“ werden Standardanfragen abgewickelt: Fragen zu Störungen, gesperrten Anschlüssen oder Geschwindigkeiten. „Die Erfahrung zeigt: Kundinnen und Kunden, die sich entscheiden, mit dem Chatbot zu ‚sprechen‘, greifen auch in Zukunft vermehrt auf diese Art des Service zurück. Wir gehen also davon aus, dass sie sehr zufrieden sind.“
Die Geschichte ist trend. PREMIUM vom 23. August 2024 entnommen.
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