Künstliche Intelligenz kann KMU bedeutende Vorteile bringen.
©shutterstockKÜNSTLICHE INTELLIGENZ kann KMU entlasten und besser machen, wenn sie an den richtigen Stellen eingesetzt wird. Fehlendes Fachwissen und rechtliche Unsicherheit lassen viele noch zögern. TIPPS und TOOLS für Büroorganisation, Verkauf und Marketing.
Der Flyer sieht interessanter aus als gewöhnlich, das Protokoll haben die Teilnehmenden sofort nach dem Sitzungsende, und so mancher Kopf im Team scheint seit Monaten vor Ideen zu sprühen. Werden Aufgaben plötzlich schneller und andere Resultate vorgelegt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ChatGPT mitgearbeitet hat. Das populäre Sprachmodell machen sich Wissensarbeiter zunutze und nutzen diese künstliche Intelligenz für den Job - auch wenn die Vorgesetzten das oft nicht wissen. Diesen Schluss legen zumindest die offiziellen Zahlen zum KI-Einsatz in heimischen Unternehmen nahe, denn die sind noch recht niedrig.
Gerade einmal elf Prozent aller heimischen Unternehmen setzen künstliche Intelligenz ein, hat die Statistik Austria bei einer Befragung von 7.000 Unternehmen im Frühsommer erhoben. Neun Prozent sind es bei Kleinfirmen mit zehn bis 49 Mitarbeitenden, 17 Prozent bei den mit bis zu 249 Beschäftigen. Bei den Großen mit mehr als 250 Mitarbeitenden ist es doch schon jedes dritte Unternehmen.
In jedem zweiten Anwendungsfall werden dabei Texte erkannt und verarbeitet, bei 43 Prozent werden Daten analysiert, und ein Drittel automatisiert damit Arbeitsabläufe. Stärker im Einsatz ist die künstliche Intelligenz im Dienstleistungssektor; im produzierenden Bereich ist sie hingegen noch nicht wirklich angekommen. Viele Unternehmen haben in der aktuellen Wirtschaftslage offenbar dringlichere Probleme im Tagesgeschäft, als KI-Projekte aufzusetzen.
Die angegebenen Gründe gegen den Einsatz sind unter anderen fehlendes internes Fachwissen, rechtliche Unklarheiten und fehlende Datenverfügbarkeit bzw. -qualität. Als Hürde benannt wurden auch die Kosten. Künstliche Intelligenz kostet, bevor sie etwas bringt, und das bedeutet im ersten Schritt vor allem ein Investment in Form von Softwarelizenzen, Rechnerkapazitäten oder Schulungen.
Der Staat lässt die Unternehmer hier nicht im Stich: Wer Projekte angeht, kann mit einschlägigen Förderungen und Zuschüssen rechnen (siehe Kasten).
Die Produktivitätsgewinne durch künstliche Intelligenz lassen sich unabhängig von der Firmengröße erzielen. Mit den richtigen Werkzeugen können gerade Kleinfirmen Effekte erzielen, die für sie bislang kaum erreichbar waren. Vorher muss die Einführung von KI-Programmen durchdacht und sauber aufgesetzt werden. Sie ist auch in kleinen Unternehmen ein Change-Projekt, das die Zusammenarbeit stark verändert.
Unterstützend kann die KI in allen Abteilungen wirken: Brauchen die Verkäufer mehr Unterstützung? Ist es die Kundenbetreuung, die verbessert werden sollte? Können Dienste von Zulieferern damit günstiger oder besser gemacht werden?
Bevor Lizenzen im großen Stil eingekauft werden, sollte nach der Bedarfsanalyse mit einem kleinen Projekt und einzelnen Mitarbeitenden gestartet werden. So wird das Team nicht überfordert. Digital fittere Mitarbeitende können als KI-Ansprechpartner nominiert werden.
Kohle für KI
Der Staat fördert KI-Projekte mit vielen Millionen, das Interesse daran ist überwältigend.
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ kostet, und der österreichische Staat unterstützt Unternehmen auch bei dieser Art von Digitalisierungsprojekten: Über den Austria Wirtschaftsservice (aws) läuft eine ganze Reihe von Förderprogrammen, die Mittel für KI-Projekte freigibt. Die Programme AI Start und AI Adoption sind mit 1,5 Millionen Euro dotiert und laufen bereits. Bei AI Start könnten für erstmalige KI-Projekte bis zu 15.000 Euro abgerufen werden. 15 Projekte wurden bereits ausgewählt, weitere 15 Unternehmen können sich noch bis 4. Dezember bewerben. Bei AI Adoption gibt es bis zu 150.000 Euro für Wachstumsprojekte. Die erste Runde ist bereits abgeschlossen, eine zweite startet am 1. Jänner 2024, in der weitere 1,5 Millionen Euro verteilt werden.
Ebenfalls am 1. Jänner 2024 startet das Programm AI Start Green, bei den in zwei Runden bis zu 15.000 Euro für Konzepte ausgelobt sind, die Nachhaltigkeitsziele adressieren. Hier sind vier Millionen Euro vorgesehen. Das Klimaschutzministerium fördert seit 2021 einschlägige KI-Projekte. Zum neuen Jahr gibt es auch Mittel unter dem Titel AI Wissen Humankapital. Noch bis 31. Dezember werden KI-Fortbildungen und -Coachings unter dem Titel AI Wissen mit bis zu 80 Prozent gefördert (max. 20.000 Euro).
Einzubringen sind alle Anträge über den aws Fördermanager. Auf dem KI-Marktplatz sind aktuell knapp 200 Dienstleister gelistet, die bei Projekten unterstützen können. Der Marktplatz dient auch als Netzwerkplattform: awsconnect.at.
Bei der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) wurden mit AI for Green und AIM AT heuer bereits zwei einschlägige Calls abgewickelt. Anfang 2024 gibt es Informationen zu weiteren Runden.
Neben Bundesmitteln sind auch lokale Fördermittel zu lukrieren: In Wien etwa werden aus dem Innovationsfonds auch KI-Projekte gefördert. Hier kann noch bis Ende des Jahres eingereicht werden. Die Mindestprojektgröße beträgt 30.000 Euro.
Auf der Website der Wirtschaftskammer gibt es einen guten Überblick zu Förderungen unter folgendem Link: wko.at/foerderungen
Noch sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Ausarbeitung. Die gelebte Praxis ist schneller als die Regulierung. Richtlinien, was die Mitarbeitenden mit den Programmen machen dürfen, sollten Unternehmen aber heute schon ausgeben.
Im Firmenumfeld kostenlose Produkte zu verwenden, bei denen die Anbieter im Gegenzug Firmeninformationen als Trainingsmaterial und zu Marketingzwecken verwenden, ist jedenfalls ein Nogo. Auch EPU oder Kleinstfirmen sollten bei ChatGPT ausschließlich die kostenpflichtigen Accounts nutzen, allein aus Performancegründen.
Auf der populären Plattform wird sich viel tun, wenn die Ankündigungen von Gründer Sam Altman von Anfang November Wirkung entfalten: OpenAI zieht nach Vorbild von Appstores einen GPT-Store auf, über den Entwickler ihre Programme anbieten können.
Parallel dazu werden Preise gesenkt und neueres Datenmaterial (bis April 2023) verwendet. Unabhängig vom Abgang Altmans, der möglicherweise zu Microsoft wechselt, wird OpenAI trachten, sich einen größtmöglichen Anteil am KI-Markt zu sichern.
Heimischen KMU stehen mittlerweile aber auch eine Reihe von KI-Dienstleistern zur Verfügung, die dabei helfen, eigene Systeme aufzusetzen. Das Grazer Unternehmen Leftshift One etwa berät Unternehmen dabei, KI quasi als neuen Mitarbeiter einzuschulen. "Wir extrahieren Wissen aus allen Quellen im Unternehmen, integrieren das in ein KI-Modell, das allen Mitarbeitenden in Echtzeit Auskunft gibt", sagt Geschäftsführer Patrick Ratheiser.
Der Markt für KI-Lösungen abseits von ChatGPT ist zuletzt geradezu explodiert. Der Auftritt großer und kleiner Mitbewerber macht sich mittlerweile auch im Nutzungsverhalten von ChatGPT bemerkbar.
Betreiber OpenAI meldete im Sommer 180 Millionen Nutzer, diese bleiben aber weniger lange als früher auf der Website. Denn die Konkurrenz ist groß, und sie kommt immer öfter in Form von Zusatzfunktionen auf großen, gut eingeführten Plattformen daher.
Das Backoffice alter Prägung ist wohl bald Geschichte
Der weltgrößte Lieferant von Bürosoftware brachte am 1. November offiziell seinen KI-Assistenz Copilot an den Start. Nutzer der jüngsten Version von Windows 11 können damit eine Art "Office auf Steroiden" nutzen, das aber mit den Daten aus dem eigenen Unternehmen arbeitet. Geben die Nutzer Befehle ein, wird in Outlook, Word, Excel, Teams & Co. nach Bezügen gesucht.
Mit wenigen Prompts lässt sich die Information verwandeln: aus Mailkorrespondenzen direkt Angebote generieren, aus einer Excel-Tabelle ad hoc eine Präsentation bauen und die Ergebnisse einer Teams-Konferenz direkt als Mitschrift ausgeben, auf Wunsch gleich übersetzt. Inoffiziell kann Copilot über eine Verknüpfung bereits genutzt werden. Im März 2024 soll er offiziell in der EU starten, noch gibt es "Konflikte mit dem EU-Wettbewerbsregeln", lässt Microsoft wissen.
An der richtigen Stelle eingesetzt, wird Copilot ein unglaublicher Produktivitätsturbo sein. Zwei Stunden an einer Powerpoint-Präsentation zu sitzen, ist Geschichte.
Der Rechen- und Ressourcenaufwand dahinter kostet allerdings auch einiges: rund 30 Dollar pro Nutzer und Monat. Es empfiehlt sich, nicht gleich im ersten Schritt alle Mitarbeitenden damit zu versorgen, sondern jene im Team herauszusuchen, die die richtige Mischung aus hoher Arbeitslast und digitaler Fitness haben. Jene mit vielen Meetings und Mails werden mehr entlastet.
Mit fünf Dollar pro Monat und Nutzer günstiger bzw. in einer Microsoft 365-Lizenz automatisch schon dabei ist Bing Chat Enterprise, das im kommerziellen Umfeld bedenkenlos verwendet werden kann. Der Bing Chat funktioniert wie ChatGPT, teilweise sogar besser und ist ein Sparringspartner für Anfragen aller Art, für kreativen Input und hat seit Kurzem auch die Bild-KI Dall-E mit an Bord.
Voller Werkzeugkoffer für die Kreativen
Am meisten Aufsehen erregten heuer bislang die Möglichkeiten der KI-gestützten Bildgenerierung und -gestaltung. Mit ein paar Prompts lassen sich aus dem digitalen Nichts Bilderwelten kreieren.
Wie bei Schreibarbeiten werden auch hier Arbeitsschritte an die KI übergeben, und die Ergebnisse sind, wenn es sich um Gebrauchsgrafik handelt, recht schnell überzeugend: Bildrecherchen erübrigen sich, wenn die KI das gewünschte Motiv anhand der Beschreibung einfach "errechnen" kann.
In den letzten Monaten haben sich vor allem drei Anbieter beim Bildthema positioniert: Midjourney, das sich in der Kunst- und Kreativeszene viele Fans gemacht hat, DALL-E, das Schwesterprogramm von ChatGPT, und für Unternehmen, die im Tagesgeschäft auch öfter selbst analog und digital publizieren, empfiehlt sich Adobe Firefly. Die generierten Bilder sehen hier besonders lebensnah aus. Der Anbieter kann auf viel gutes Bildmaterial zurückgreifen, mit dem die KI dann arbeitet. Adobe Firefly bringt laufend Unterstützungsfunktionen für die Kreativproduktion, die selbst Laien zu Regisseuren macht.
Mit einem Smooth Operator rechnet die KI etwa Videos mit Querformat automatisch auf Hochformat um, ohne den Fokus zu verlieren.
Die Multimediaproduktion macht mit den KI-Tools unglaubliche Sprünge. Für kurze Produkt- oder Trainingsvideos muss kein Kreativteam mehr anrücken (siehe Bild, oben).
Marketing und Vertrieb: KI kann beim Verkaufen helfen
Beeindruckend stark ist die Maschinenintelligenz bei der Automatisierung von Abläufen, wie sie in der Onlinevermarktung und im E-Commerce gebraucht werden. Google hat seine Werbenetzwerke seit längerer Zeit extrem optimiert.
Markus Giesswein, Geschäftsführer des gleichnamigen Tiroler Familienunternehmens, erklärt das System: "Früher hat unsere Agentur die Onlinekampagnen manuell aufgesetzt. Heute gibt sie Fotos und Videos ins System, und die KI steuert selbst aus, wo sie Werbung platziert. Was ist der beste Text dafür? Was ist die beste Anzeige?"
Giesswein bzw. seine Agentur geben nur mehr das Budgetlimit vor. "Wir waren anfangs skeptisch, aber die KI wird mit jedem Verkauf besser und steuert die Kampagnen klar besser als der Mensch."
Die Zahlen überzeugten den Unternehmer rasch vom KI-Turbo namens Google Performance Max: 19 Prozent mehr Umsatz im Testzeitraum und acht Prozent weniger Kosten für neu gewonnene Kunden. "Die Zeit, die wir uns bei der Kampagnensteuerung sparen, investieren wir in Erstellung besserer Anzeigen."
Mit automatisierter Onlinevermarktung hat sich zuletzt auch das österreichische Unternehmen Shopstory.AI einen Namen gemacht, das einfach und benutzerfreundlich Suchmaschinenoptimierung und Anzeigenbuchung anbietet. Google Performance Max ist auch hier auf Wunsch dabei.
Vom Belegturbo zum smarten Spesenmanagement
Eine perfekte Entlastung für wenig geliebte Tätigkeiten bietet die KI in der Buchhaltung. Mit der systematischen digitalen Erfassung von Belegen lassen sich Produktivitätssteigerungen erzielen, auf die in Zeiten akuter Personalnot in dem Bereich niemand verzichten sollte.
Produkte wie Finmatics aus Österreich sparen bis zur Hälfte der Zeit für die Belegerfassung, können für die Freigabe von Rechnungen genutzt werden, haben Schnittstellen zu den gängigsten Buchhaltungs-und ERP-Systemen und können von Steuerberatungskanzleien direkt übernommen werden.
Yokoy ist eine ähnliche Lösung aus der Schweiz und hat in Österreich schon etliche Firmenkunden überzeugt. Seit Kurzem wird sie den Geschäftskunden der Erste Bank direkt angeboten. Der kleinste Kunde von Yokoy hat sieben Mitarbeiter, im Schnitt sind es aber an die 50 Personen, die Reisekosten- und Spesenmanagement darüber abwickeln.
Vorsicht und Verantwortung
Wer Geschäftsprozesse und Kommunikation mit KI unterstützt, hat besondere Verantwortung. Sind die Ergebnisse plausibel? Sind sie auch ethisch korrekt? Die Nutzer bleiben in der Rolle eines Supervisors. Texte und kreative Einfälle lassen sich beliebig und in unbegrenzter Menge erzeugen, können bei falscher Verwendung aber handfesten Schaden anrichten. Transparenz den Kunden gegenüber ist zwar noch keine Verpflichtung, aber eine Sache der Fairness.
Täglich werden Fälle von Betrug offenbar, etwa wenn KI-generierte Inhalte oder Rezensionen als authentisch, menschengemacht verkauft werden.
Tarnen und Täuschen sind angesichts der neuen Möglichkeiten verlockender denn je. KI-generierte Inhalte sollten daher gekennzeichnet und den Urhebern mit sogenannten "Content Credentials" zuordenbar sein. Microsoft, Adobe, Leica, Nikon oder große Werbeagenturnetzwerke haben sich in einer Initiative bereits auf eine neue Art der "Herkunftsgarantie" geeinigt: contentcredentials.org.
Das Produktuniversum wird täglich größer, doch gibt es Orientierungspunkte: Die WKO hat mittlerweile eine ganze Webinar-Serie zu KI-Themen im Programm. Über ki-suche.io können Programme nach Einsatzgebiet (z. B. Video to Text, Health & Wellness) gefiltert werden.
Auf capterra.com werden Produkte bewertet. Und für das Marketing in allen Facetten ist die deutsche Plattform omr.com ein Tipp, auf der Anwender authentische Bewertungen zu verschiedenen KI-Produkten abgeben.
Der Artikel ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 24.11.2023 erschienen.