WKO-Präsident Harald Mahrer im Interview zur "Innovation Map", dem neuen digitales Tool, das 105 Zukunftstechnologien definiert und den heimischen Unternehmen als Wegweiser bei Digitalisierung und Vernetzung dienen soll.
trend: Sie sind heuer mit einem "Technologieradar" im Gepäck nach Alpbach gereist, einem Online-Tool, das Chancen bis ins Jahr 2035 aufzeigt.
Harald Mahrer: Initial bin ich auf das Projekt schon zu meiner Zeit als Staatssekretär Mitte der Zehnerjahre über einen brasilianischen Thinktank gestoßen. Damals gab es ein Poster mit über 80 Zukunftstechnologien. In der Pandemie haben wir die Brasilianer gefragt, ob sie mit uns nicht nur das Radar aktualisieren, sondern es vor allem auch digital und global zugänglich machen wollen. Gesagt, getan. Wir haben seit Jahren Kooperationen und stehen im Austausch mit vielen internationalen Forschungsinstituten vom MIT über Stanford und King's College bis zum Weizmann-Institut. Experten dieser Forschungsstätten und der österreichischen Institutionen haben in der Folge 105 Technologien identifiziert, die Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig beeinflussen können, aber nicht müssen. Viele davon werden Österreich betreffen, manche früher, manche später, manche mehr, manche weniger.
Das Radar ist auch als Orientierungshilfe für WKO-Mitglieder gedacht. Welche Sparten sollen wie davon profitieren?
Unsere Idee war, kein Technologielexikon, sondern ein Werkzeug anzubieten, das Zukunftsperspektiven aufzeigt. Da es ein interaktives digitales Tool ist, macht man sich am besten ein Lesezeichen im Browser. Profitieren werden vor allem Betriebe, die sich keine hauseigene Strategieabteilung leisten können. Mit dem Radar können sie über die Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen neuer Technologien in der eigenen Branche nachdenken.
In welchen der fünf Themenfeldern werden österreichische Unternehmen am meisten punkten können?
Wir arbeiten mit dem Radar seit Jahresbeginn in vielen kleinen Runden. Nach einem halben Jahr stellen wir fest, dass es nicht nur jüngere Betriebe aus der Digitalwirtschaft nutzen, sondern gerade auch aus dem Gewerbe und der Industrie. Sie glauben gar nicht, was für spannende und innovative Projekte und Unternehmen es in den aufgezeigten Technologiefeldern in Österreich gibt. Beispielsweise viele Ideen für zukünftige Ernährung aus dem Umfeld der Universität für Bodenkultur. Bei den Technologien zur nachhaltigen Energieerzeugung ist Österreich unter den Weltmarktführern, vom medizinischen Bereich ganz zu schweigen. Wir haben biomedizinische Firmen, die extrem innovativ sind und sich gerade um Zulassung in aller Welt bemühen. Knochen und Gewebe aus dem 3D-Drucker sind keine Fiktion mehr. Auch im Tourismus haben wir längst intelligente Kreislaufwirtschaftsansätze für Unterbringung, Mobilität und Verpflegung integriert. All diese Innovatoren nennen wir das Netzwerk der "Freunde der Zukunft", die neue Technologien weniger als Bedrohung, sondern viel mehr als Geschäftschance sehen. Die Digitalisierung macht die Vernetzung aller Beteiligten untereinander leichter.
Innovation Map
Die interaktive INNOVATION MAP der WKO stellt 105 Zukunftsmärkte und aktuelle Informationen dazu dar. Gehen sie auf Erkundungsreise!
Klicken Sie hier oder auf die obige Abbildung, um zur INNOVATION MAP der WKO zu gelangen
Technologien schieben Paradigmenwechsel an: Was hilft uns in der aktuellen Krisenlage am meisten? Künstliche Intelligenz ist eine Art Generalschlüssel für vieles, oder?
Sicher eine Schlüsseltechnologie, keine Frage. Und die wird uns auch noch viele Jahre beschäftigen. Die Maschinen können noch lange nicht das, was die Erfinder sich wünschen würden. Viele Datenseen sind noch gar nicht vernetzt miteinander. Neben der künstlichen Intelligenz rechne ich jedenfalls der Biomedizin großes Potenzial zu. Die Life Sciences haben gerade durch Covid mehr Priorität bekommen, und hier haben wir in Europa und vor allem in Österreich gute Voraussetzungen und viel Potenzial, das wir nutzen können. Es ist ein positives Thema, Krankheiten zu heilen, Menschenleben zu verlängern oder beschwerdefreier zu machen. Und dieser Bereich bietet auch sehr gute Geschäftschancen.
In welchen Forschungsbereichen sollte die Politik mehr Geld locker machen? Die Forschungsquote ist an sich nicht so schlecht.
Als ehemaliger Wissenschaftsminister wird es Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dafür kann man nie genug Geld ausgeben, weil es mannigfaltig zurückkommt.
Geld, dass in den aktuellen Krisenlagen allerorten abgerufen wird ...
Netto zahlt sich das immer aus. Ein Euro in Forschung und Entwicklung erhöht das BIP um sechs Euro. Bei der Forschungsprämie für die Großbetriebe sind wir in Österreich international sehr gut aufgestellt. Nachlegen müsste man bei den mittleren und kleinen Unternehmen. Und auch bei der Verwertung von Erkenntnissen: Es gibt zu wenige Spin-offs von Universitäten. Betriebe und Forschung sind besser zu vernetzen, dann wird der Output höher. Ein gutes Beispiel ist das Thema Quantencomputing. Rund um die Universität Innsbruck sind mehrere Start-ups entstanden, die unter anderem auch mit dem Quantum Valley in München kooperieren. Solche Projekte funktionieren nur grenzüberschreitend, wenn sie skalieren sollen. Wir müssen einfach schauen, wo wir als Österreich eigene Duftmarken setzen können. Gerade in der Prozesstechnik der Industrie, etwa Robotik, sind wir führend.
Die Duftmarken riechen nach Metall ...
Ja, aber auch nach Holz. Gemeinsam mit den Schweden sind wir insbesondere bei innovativen Holzverarbeitungen führend. Da kommen Delegationen aus Japan, um sich das anzusehen.
Welche Brückenfunktionen erfüllt die Außenwirtschaft im Zusammenhang mit dem Radar?
Die Außenwirtschaft ist wie ein Pfadfinder in diesem Lotsensystem. Unsere Außenstellen helfen beim Updaten des Radars. Sie präsentieren unseren Betrieben Möglichkeiten im Ausland für technologiebasierte Geschäfte. Wie schauen die Ausschreibungen im Post-Covid-Zeitalter aus? Wie können asiatische Märkte wie Indien oder Südkorea besser bewirtschaftet werden?
Was sind Ihre persönlichen Favoriten unter den 105 Technologien?
Es gibt so viele spannende Ansätze, aber die Ideen der Medizintechnik beeindrucken mich besonders. Und gibt natürlich auch Technologien, die man sehr kontroversiell diskutieren kann und auch muss, etwa das Social-Credit-System aus China.
Die ethischen Debatten sollen auch darüber geführt werden?
Natürlich. Das ist kein Schönwettertool, es ist ein Vorhersageinstrument, das alles aufzeigen soll. Die Fachleute listen Technologien neutral nach Potenzial und Umsetzungsgrad. Das individuelle Bild muss sich schon jeder selbst machen.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 26. August 2022 entnommen.