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Markus Hengstschläger: "Raus aus der Mitmachkrise"

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11 min
Markus Hengstschläger
Markus Hengstschläger©beigestellt / Michael Mazohl
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Der Genetiker Markus Hengstschläger über Lösungen für die Energiekrise, zu der hochkarätige Experten aus vielen Fachrichtungen im neuen Kongressformat "Impact Lech" diskutierten.

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trend: Herr Hengstschläger, Sie haben mit der Veranstaltung "Impact Lech" ein neues Kongress- und Veranstaltungsformat ins Leben gerufen. Was ist das Ziel der Veranstaltung?
Markus Hengstschläger: Das heurige Leitthema von Impact Lech war "Energiekompetenz" aus verschiedenen Blickwinkeln. Einerseits fragen wir uns, welchen Impact, welche Auswirkungen aktuellste Erkenntnisse und Entwicklungen haben, und andererseits wollen wir durch den Kongress Wirkung erzeugen. Fakten schaffen, Meinung bilden ist das Leitmotiv. Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegfahren, sollen ihnen jene Fakten zur Verfügung stehen - heuer eben betreffend Energiekompetenz -, die sie zum Mitmachen befähigen und motivieren. Unsere Herangehensweise ist es, das Thema an den Schnittflächen verschiedener Disziplinen zu diskutieren. Meine Rolle dabei ist ausschließlich das Entwerfen dieser Schnittstellen - ich bin natürlich kein Energieexperte. Wir bringen in Lech Menschen aus der Wirtschaft und der Wissenschaft zusammen, CEOs treffen auf Bildungsexpertinnen, Verhaltensökonomen, Energieexperten, Verhaltensbiologen, Psychiater, Start-up-Gründer, KI-Experten, Bio-Pioniere, Nachhaltigkeitsforscher, Klimaforscherinnen, Logistiker und viele mehr. Ich glaube daran, dass Energiewende und Klimatransformation nur durch die Zusammenarbeit vieler verschiedener Disziplinen möglich sind und eine unverzichtbare Komponente dafür entsprechende Energiekompetenz der Gesellschaft ist. Wir beschäftigen uns also mit der Frage, was getan werden kann und muss, um diese Kompetenz in der Gesellschaft zu verankern.

Impact bedeutet auf Englisch ja nicht nur, "Einfluss" auf etwas zu haben, sondern auch "Einschlag": Hat der Krieg in der Ukraine nicht alles verändert, vor allem auch die Energiepolitik?
Wir haben schon im Herbst vergangenen Jahres Energiekompetenz als Thema beschlossen, und wir alle haben ja schon vor diesem Krieg gewusst, dass uns das Energiethema auf allen Ebenen -gesellschaftlich, politisch, wissenschaftlich - beschäftigen wird. Mein Ziel ist, dass sich Besucher und Vortragende breit informieren können - etwa betreffend Quellen und Einsatz von Energie, Bedeutung von Faktoren wie digitale Transformation, künstliche Intelligenz, Bildung und Ethik oder den Aspekt des Mitmachens aus verhaltensbiologischer Sicht. Wir wollen Teil jenes Kreislaufes sein, den ich im Zusammenhang mit allen großen Herausforderungen unserer Zeit -Krieg, Klimawandel, Rassismus, Terrorismus, Flüchtlingskrisen etc. - für unverzichtbar halte: Die Wissenschaft erklärt den aktuellen Stand, die Medien übersetzen, die Bürgerinnen und Bürger eines Landes müssen sich eine faktenbasierte Meinung bilden können, und die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen.

Jede und jeder Einzelne, und insbesondere natürlich auch die Führungskräfte in Wirtschaft oder Politik, müssen an einem Strang ziehen.

Bei der Klimawende geht nur langsam etwas weiter, trotz vieler globaler Konferenzen und Absichtserklärungen.
Und deshalb geht es bei uns auch darum, wie die Menschen aus der Mitmachkrise aktiv ins Boot geholt werden können. Darum werden am Kongress Biologen, Psychologen oder Verhaltensökonomen etwa auch Fragen erläutern wie:"Wie funktioniert der Mensch, wenn er denkt, wenn er Entscheidungen fällt, wenn er handelt?"

Wie gehen Sie selbst mit Energie um? Fahren Sie Rad, ein Elektroauto, fliegen Sie nicht mehr, haben Sie ein Photovoltaik-Anlage?
Ich habe in der Pandemie etwa gelernt, genau zu prüfen, welcher Flug notwendig ist und welcher nicht. Ich werde auch in Zukunft viel weniger fliegen. Das ist eine Entscheidung, die ich bewusst getroffen habe. Wissenschaftliche Kongresse werden viel öfter in hybrider Form abgehalten werden. Und ja, die Anschaffung eines Elektroautos ist gerade geplant.

Wie können nun allgemeine Verhaltensänderungen der Menschen herbeigeführt werden?
Jede und jeder Einzelne, und insbesondere natürlich auch die Führungskräfte in Wirtschaft oder Politik, müssen an einem Strang ziehen. Grundlegende Verhaltensänderungen sind niemals einfach, und daher bedarf es auch eines multifaktoriellen Ansatzes. Deshalb auch unsere bunte Einladungsliste. Eine der wohl wichtigsten Voraussetzungen für Verhaltensänderungen ist immer das Wissen. Daher werden wir uns auch intensiv mit der Frage beschäftigen welche Konzepte wir in Bildung und Ausbildung brauchen, um eine höhere Energiekompetenz in der Gesellschaft zu erzielen. Das beginnt bei den Kindergärten, führt über die Schulen und Berufsausbildungen bis zu den Universitäten und lebenslangem Lernen.

Braucht es ein eigenes Fach "Energie" an den Schulen?
Da halte ich mich zurück. Wir haben genügend Schulfächer. Was es braucht, ist die Integration dieser Thematik in vielen verschiedene Fächern.

Technologien sind per se weder moralisch gut noch schlecht. es kommt darauf an, was man damit macht.

Welche Rolle kann dabei die Verhaltensökonomie spielen, eine gerade sehr populäre Wissenschaft?
Eine Podiumsdiskussion auf unserem Kongress trug den Titel "Wie kann es gelingen? Von global zu lokal, vom Nudging zur Bestrafung." Das ist die große Frage: Kann ich die Menschen zu einem bewussteren Energieverhalten "anstupsen", oder braucht es Vorschriften oder Steuern?

Am leichtesten wäre eine Verhaltensänderung doch über den Preis, also den Markt zu erreichen. Bleiben Benzin und Strom so teuer wie jetzt, wird das wohl oder übel zu einem bewussteren Verbrauch führen.
Diese Diskussion hat durch die jetzige Situation ohne Frage einen Drive bekommen, den sie vorher nicht hatte. Und bei der Energiewende, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, geht es um Geschwindigkeit.

Laut Bericht des UN-Weltklimarats bleiben nur noch 30 Monate, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Ja, wir haben wirklich nicht mehr viel Zeit. Mir persönlich wäre Nudging viel lieber als neue Vorschriften, derer wir ganz allgemein schon viel zu viele haben. Man muss aber ganz offen darüber diskutieren, ob sich das in der noch verbleibenden Zeit ausgehen kann.

Der Verhaltensökonom Gerhard Fehr war in der Schweiz Anfeindungen ausgesetzt, als er in der Hochzeit der Pandemie eine "systematische Diskriminierung der Nichtgeimpften", also eine Bestrafung konträr zu den Wissenschaftsthesen, vorgeschlagen hat.
Als Biologe weiß ich, dass der Mensch grundsätzlich ein vernunftbegabtes, soziales, lösungsbegabtes Wesen ist. Aber er muss sich eben auch darauf besinnen. Das ist die Riesenherausforderung.

Wird der technologische Fortschritt dazu beitragen, dass wir ohne Einbußen angepasst unseren Lebensstil beibehalten können?
Oder, schlichter: Werden wir, wenn wir das Weltklima retten wollen, alle ärmer? Fortschritt entsteht dann, wenn das bestehende Wissen von allen inklusive vor allem auch der nächsten Generation genutzt werden kann und wird, um darauf weiter aufzubauen. Sonst herrscht Stillstand. Und natürlich müssen wir ein Ranking vornehmen: Wenn unser Planet zerstört ist, brauchen wir über die neuesten technologischen Entwicklungen nicht mehr zu diskutieren. Ich vertrete aber auch die Ansicht, dass Technologien per se weder moralisch gut noch schlecht sind, es kommt darauf an, was man damit macht. Der wirkliche Fortschritts-Impact entsteht dann, wenn man die Vorteile nutzt und gleichzeitig die möglichen Nachteile vermeidet. Daher brauchen wir eine permanent laufende ethische Diskussion. Gerade in Zeiten einer digitalen Revolution und dem rasant zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz müssen wir uns auch mit digitaler Ethik auseinandersetzen, um all diese so wertvollen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Wohle des Menschen einsetzen zu können. Und natürlich wird der Mensch in der Lage sein, die neueste technologische Errungenschaften auch im Zusammenhang mit der Energiewende zu nutzen. Aber das eigenverantwortliche Verabschieden aus der Mitmachkrise jedes Einzelnen wird immer eine unverzichtbare Komponente einer hohen kollektiven gesellschaftlichen Lösungsbegabung bleiben.

ZUR PERSON

Markus Hengstschläger, geb. 1968, studierte Genetik, forschte an der Yale University in den USA und ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler und Bestsellerautor unterrichtet, leitet den Thinktank Academia Superior und ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission.

Das Interview ist ursprünglich in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 25.5.2022 erschienen.

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