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GEN-ANALYSEN machen individualisierte Medizin heute schon möglich. Nicht nur Krankheitsrisiken werden damit früher aufgespürt, sie sind auch der Schlüssel zum Jungbrunnen.
Das ewige Leben.
Das ewige Leben bleibt weiter ein alter Traum der Menschheit. Neue medizinische Erkenntnisse bringen den Menschen jedoch zumindest einen Schritt näher zu diesem Wunsch. Denn die Lebensuhr lässt sich tatsächlich beeinflussen. Klar ist: Der Mensch altert und baut stetig ab. Zellschäden häufen sich, Funktionen gehen verloren, und die Krankheitsanfälligkeit steigt. Das Tempo, in dem dieser Verfall abläuft, ist aber weitaus weniger gleichförmig, als lange angenommen wurde. Heute weiß man, dass das biologische und das chronologische Alter nicht unbedingt im Gleichschritt gehen. Die Lebensuhr tickt einmal schneller, dann wieder langsamer. „Jeder kann sein Leben und damit auch seine Lebenszeit ändern“, erklärt der Mediziner und Theologe Johannes Huber: „Nicht alles ist genetisch determiniert, wie man früher gedacht hat. Man kann vieles selbst in die Hand nehmen.“ Gemeinsam mit dem Mediziner und Gründer von Permedio, einem Zentrum für personalisierte Medizin, beschreibt Huber im Buch „Warum wir sind, wie wir sind – Die Medizin entdeckt das Individuum“ das Ende der „One-Size-Fits-All“-Therapien und die erstaunlichen Möglichkeiten der personalisierten Medizin.
Denn die Ära, in der Ärzte Patienten mit ähnlicher Diagnose immer gleich behandelt haben, ist laut den Autoren definitiv vorbei. „Was dem einen guttut, kann bei anderen wirkungslos sein oder ihnen sogar schaden“, stellt Huber fest. Und Wöhrer ergänzt: „Es beginnt eine Zeit, in der wir nicht mehr verstehen werden, warum wir Patientinnen und Patienten mit der gleichen Diagnose einfach die gleichen Medikamente verabreichen konnten.“ Diese Strategie produziere nicht nur unnötiges Leid, sondern auch sinnlose Ausgaben in Milliardenhöhe für die Gesundheitssysteme. Den entscheidenden Unterschied bei der Wirkung von Medikamenten, Nährstoffen oder Bewegung auf den Körper machen sogenannte Polymorphismen, also genetische Varianten, die dafür sorgen, dass jeder Mensch anders ist. Im Grunde sind es drei Faktoren, die in unserem Leben bestimmen, wie leicht wir an Gewicht zunehmen, wie gut oder schlecht wir Alkohol oder Kaffee vertragen, ob wir eher Langstreckenläufer oder Sprinter sind, oder welche Krankheitsrisiken wir haben.
Einer der drei Faktoren.
ist das Single Nucleotid Polymorphism (SNP), im Laborjargon als Snips bekannt. Die Abfolge der Nucleotide, der Grundbausteine unserer Gene, bestimmt die Funktion der Gene. Snips sind veränderte Varianten eines Gens. Die Veränderungen können große Auswirkungen auf alle unsere Seinsbereiche haben. Huber: „Elektrische Ladungen sind der zweite der Faktoren, die uns zu dem machen, was wir sind. Denn erst sie bestimmen, welches unserer Gene auf welche Weise aktiv wird und welche überhaupt aktiv werden. Ein Vorgang, den wir als epigenetische Codierung kennen.“ Der dritte Faktor ist die RNA, bekannt als Ribonukleinsäure. „Diese Molekülgruppen, die in jeder unserer Zellen existieren, sind für die Umsetzung des genetischen Codes verantwortlich und machen uns gemeinsam mit den SNP und den epigenetischen Codierungen zu dem, was wir als Individuen sind“, so der Mediziner.
Zeitmesser.
Die große Frage ist nun, wie sich dieses Wissen für die eigene Gesundheit und in der medizinischen Versorgung nutzen lässt. Der Schlüssel zur personalisierten Medizin liegt in Gentests. Wer sich einem solchen Test mit einer Speichelprobe unterzieht, erhält Zugang zu einer Datenbank, die unter anderem verrät, ob und wie ein Medikament wirkt, ob es womöglich mehr schadet als nutzt und was allenfalls die bessere Alternative wäre. Eine andere Methode ist der epigenetische Text, die Diagnostik der Software der Gene. Diese zeigt, wie die Gene arbeiten – schneller oder langsamer – und errechnet daraus die Lebenszeit. Der Bioinformatiker Steve Horvath gilt als Erfinder dieses Zeitmessers. Und genau hier, bei der Aktivität der Gene, kann der Mensch nun selbst eingreifen und seinen Alterungsprozess verlangsamen. „Jeder Mensch hat eine andere Programmiersprache und kann seine Software reprogrammietren“, erklärt Huber: „Genau das ist das Interessante. Denn durch die Epigenetik gelingt es dem Menschen zum ersten Mal, direkt in die Evolution einzugreifen“, sagt Huber.
Ein anschauliches Beispiel dafür sei das Kollagen. Wenn zu viel Methyl oder zu viele elektrische Ladungen an einem Gen hängen, dann werde dieses Gen nicht mehr abgelesen: „Wenn zum Beispiel das Gen für das Kollagen in der Haut methyliert ist, dann wird es nicht mehr aktiv und der Körper bildet zu wenig Kollagen. Die Folge ist, dass die Haut altert.“ Und wo liegen nun die Schlüssel zum Jungbrunnen? Hunger, Kälte und Bewegung sind beispielsweise drei Faktoren, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken, erklärt Huber (siehe Interview links): „Steve Horvath hat Berechnungen angestellt, wonach man durch die Reprogrammierung zwischen zwei und sechs Jahren an Lebenszeit gewinnen kann. Aber wir sind hier erst am Anfang. Und die Entwicklung geht rasant vor sich hin, rasanter als bei der Entwicklung des Handys oder des Autos.“
Ein interessanter Aspekt sind auch die genetischen Risikofaktoren, die jeder von uns in sich trägt und das individuelle genetische Erkrankungsrisiko determinieren. Die Forschung konnte zum Beispiel Gene identifizieren, die mit einer Störung der Blutfett-Regulation in Zusammenhang stehen. Das ermöglicht einen neuen Einblick in den Lipidstoffwechsel. Es hat sich gezeigt, dass eine Variante unseres Gens SORT1 in Zusammenhang mit einer Neigung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen steht und ein Risiko für erhöhtes LDL-Cholesterin mit sich bringt. Sind genetische Risikofaktoren wie diese durch Gentests bekannt, kann die Medizin auch hier eingreifen. „Sie können zum Beispiel testen, ob jemand das Krebsschutzgen P53 hat. Wenn das fehlt, ist der Mensch krebsanfälliger. Und da kommt jetzt die moderne Medizin ins Spiel. Und zwar nicht über die Epigenetik, sondern über die RNA-Programmierung“, erklärt Huber. Nach Verabreichung eines RNA-Moleküls beginnt der Körper, das fehlende P53-Molekül herzustellen. Huber: „Es kommt tatsächlich eine neue Medizin auf uns zu.“