Jean-Claude Biver - The SpecialOne der Uhrenszene: „Es ist das Wesen der Zeit, das wir einfangen und in unseren Kreationen verkörpern wollen.“
©beigestellt74 Jahre und kein bisschen müde. JEAN-CLAUDE BIVER, „The Special One“ der Uhrenszene, im Gespräch über Geben und Nehmen sowie über reelle und spirituelle Werte der ersten eigenen Uhren, die er gemeinsam mit seinem Sohn Pierre entwickelt hat.
Was auch immer Sie tun, alle verfolgen es mit Neugier und hoher Erwartungshaltung. Wie erklären Sie sich dieses große Interesse, und wie gehen Sie damit um?
Ich gehe damit vollkommen problemlos um – ich denke auch nie daran. Ich verstehe aber, dass man nach 50 Jahren Präsenz in der Industrie die Dinge, die ich mache, beobachtet. Ich würde das auch so machen! Von Menschen, die so lange dabei sind, kann man vielleicht doch etwas lernen oder inspiriert werden. Nach fünf Jahrzehnten frage ich mich auch: „Was kannst du zurückgeben?“ Mir geht es heute nicht mehr ums Nehmen, sondern vielmehr ums Geben.
Sie sind als genialer Innovator bekannt, wurden aber bisher von Konventionen, Konzernen, Budgetvorgaben etc. gebremst und eingeschränkt. In diesem Kontext erscheint die Motivation, etwas völlig Eigenständiges zu machen, als logischer Schritt.
Genau so empfinde ich es auch. Ich gebe mir selbst die Möglichkeit, all das zu tun, was ich früher aus verschiedensten Gründen nicht realisieren konnte. Jetzt habe ich die Zeit, den Luxus und das Privileg, selber zu entscheiden, wie weit ich gehen möchte.
Sie haben an all Ihren bisherigen Stationen von Audemars Piguet über Omega und Blancpain bis Hublot Ihren persönlichen „Fingerprint“ hinterlassen. Wie viel von all dem fusioniert nun in Ihren ersten „eigenen“ Uhrenkreationen?
Alles. Ich kann nicht sagen, was konkret von welcher Etappe meines Lebens kommt oder aus welcher Epoche. Es ist die Verschmelzung aller Erfahrungen, die Quintessenz, sozusagen. Ich habe erkannt, dass ich versuchen muss, den Leuten mehr zuzuhören. Das habe ich in jüngeren Jahren selten gemacht. Meine Meinung war maßgebend. Ich bin weiser geworden, weil ich mehr zuhöre, lerne, zusehe als früher.
Gemeinhin sagt man ja, man könne die Uhr nicht mehr neu erfinden. Sie beweisen bestimmt das Gegenteil. Was ist das Neue, das noch nie Dagewesene an den JCB-Zeitmessern?
Die Kombination von Minutenrepetition mit Tourbillon und Mikrorotor für den automatischem Aufzug ist natürlich nicht neu, es gibt aber nur sehr wenige in der Uhrenindustrie. Eigenständig sind unsere ästhetischen Aspekte: Die Gehäuse unserer Uhren sind dreifach konkav. Man sieht es nur bei genauerer Betrachtung, aber es ist ein Charakteristikum, das es nur bei uns gibt. Außerdem ist es unsere Philosophie, das Unsichtbare so zu behandeln wie das Sichtbare.
Warum tun wir das? Man sieht es nicht, richtig? Aber man spürt es. Wenn jemand denkt, es wäre unnötig, Flächen zu bearbeiten, die man gar nicht sieht, zu satinieren, zu polieren etc., dann ist genau das unsere Rechtfertigung, es eben doch zu tun. Wir dekorieren alle Oberflächen, wirklich alle – die Unterseite der Brücken zum Beispiel, was sehr selten vorkommt. Für die Finissage bestimmter Teile, die ursprünglich nicht für eine Dekoration vorgesehen waren, mussten eigene Techniken entwickelt werden.
Offenbar fließen nicht nur handwerkliche, sondern auch philosophische Aspekte mit ein. Auf Ihrer Website steht „Eternity has no competition“.
Beginnen wir so: Kunst hat keine Grenze. Die einzige Grenze ist die Ewigkeit! Und Ewigkeit hat keine Konkurrenz – außer Gott vielleicht! Und das passt gut, denn man könnte sagen, wir haben beinahe einen religiösen Respekt vor unserer Arbeit. Das Spirituelle ist genauso wichtig für mich wie die Technik. Es wird mitverarbeitet, es strahlt aus dem Produkt heraus und berührt den Geist und das Herz des Betrachters. Ein Objekt ohne Seele ist ein totes Objekt. Wir wollen die Seele der Uhr zum Leben erwecken. Deshalb beginnen wir auch mit der Minutenrepetition, kombiniert mit einem Tourbillon, wo unsere Intention besonders gut sichtbar, hörbar und spürbar wird.
Die Exklusivität, die Sie beschreiben, impliziert eine kleine Stückzahl und klingt nach kleinem, handverlesenen Team.
Wir bauen dieses Jahr 20 Uhren, vielleicht schaffen wir 24. Mehr geht derzeit nicht. Wir haben die besten Leute geholt. Sie kommen aus den namhaftesten Manufakturen und bringen große Expertise mit – insgesamt fünf Uhrmachermeister und vier Spezialisten für die Dekoration. Wir haben ein tolles Team, aber – noch – nicht die personellen Möglichkeiten, mehr Uhren zu bauen. Wir beginnen mit zwei großen Komplikationen in einer Uhr – Tourbillon und Minutenrepetition – und erweitern in den nächsten Monaten und Jahren Schritt für Schritt die Kollektion. Wir beginnen sozusagen ganz oben und arbeiten uns dann weiter in die Breite. Es wird demnächst auch einfache Drei-Zeiger-Modelle geben.
Zwei Dutzend Uhren pro Jahr sprechen für einen handverlesenen Kundenkreis. Welche Rolle spielt in diesem Kontext die Kooperation mit Bucherer?
Natürlich sollten wir mittelfristig auch größere Stückzahlen fertigen können. Daher brauchen wir eine internationale Distribution. Bucherer ist eines von sieben exklusiven Juwelierhäusern weltweit, die unsere Uhren verkaufen werden. All diese Partner haben jeweils mehrere Standorte in verschiedenen Teilen der Welt. Wir arbeiten mit ausgewählten Spitzenjuwelieren, die unser Produkt einem erlesenen Kundenkreis präsentieren können.
Das Interview ist der trend. edition+ vom Juni 2024 entnommen.
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