Michael Zettel - Country Managing Director des Technologiedienstleisters und Beraters Accenture in Österreich.
©trend/Wolfgang WolakWarum die digitale Transformation in Unternehmen Voraussetzung ist, um alle Nachhaltigkeitsanforderungen zu erfüllen, und heimische Betriebe bei der Nutzung von Daten noch Luft nach oben haben. Michael Zettel, Country Managing Director Accenture Österreich, klärt auf.
Sie definieren digitale Transformation und Nachhaltigkeitstransformation als die größten strategischen Themen für Unternehmen und explizit als Twin Transformation. Was ist der Hintergrund dieser Verknüpfung?
Beide sind untrennbar verknüpft, und digitale Transformation ist die Voraussetzung für Nachhaltigkeitstransformation. Denn um nachhaltig zu sein, muss ich dramatisch mehr Daten erheben und steuern können als in der Vergangenheit: vom Rohstoff bis zum Endprodukt inklusive dem in jeder Bearbeitungsstufe anfallenden Abfall und CO2-Fußabdruck muss ich jeden Parameter im Produktionsprozess unter Kontrolle haben. Allein um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, benötigen Unternehmen nun 500 bis 700 zusätzliche KPIs, die sie jetzt erstmals sowie künftig laufend automatisiert erheben und steuern müssen. Das geht nur mit einem hohen technologischen Reifegrad. Dazu kommt, dass aus Organisationssicht beide Querschnittmaterien sind, die ich über das gesamte Unternehmen denken und einsetzen muss, damit sie wirken. Daher ist es notwendig und sinnvoll, diese Transformationen parallel anzugehen.
Abgesehen von Regulatorikerfüllung: Was bringt das den Unternehmen?
Es kann etwa in der Papierindustrie schon ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn man in der Lage ist, den CO2-Abdruck auf Produktebene anzugeben. Für die Kreislaufwirtschaft mit Ziel Abfallvermeidung ist es notwendig, mehr Daten zu haben, was mein Abfall ist und wie er entsteht, um Hebel zu finden, ihn zu vermeiden.
Accenture und die IV haben Stand und Konnex dieser Transformationen in einer Studie untersucht. Was kommt da heraus?
Im Hinblick auf die Twin Transformation eine Reihe von Erkenntnissen: Beide werden von den Unternehmen als strategische Themen erkannt, wobei aber der Zusammenhang, der Nutzen der Digitalisierung für die Nachhaltigkeit, noch nicht in dem Maß gesehen wird. Nach den digitalen Reifegraden haben wir erstmalig Nachhaltigkeitsreifegrade erhoben, also den Umsetzungsstand messbar gemacht, und festgestellt, dass Österreichs Unternehmen in der Nachhaltigkeit weiter sind als in der digitalen Transformation. Dort sind wir mit dem Fortschritt eher unzufrieden, weil wir zu wenige digitale Champions haben und deren Zahl stagniert. Das spiegelt sich auch volkswirtschaftlich wider: Im SDG-Report zählt Österreich weltweit zu den Top-fünf-Nationen, während wir in Digitalisierungsindizes wie DESI (Digital Economy & Society Index, Anm.) nur im Mittelfeld liegen, teilweise sogar auf hinteren Plätzen so wie beim wichtigen Thema Cloud Adoption.
Tatsächlich, wo Cloud doch seit Corona im Fokus steht wie kaum ein anderes Technologiethema?
Man kann es leider nicht schöner sagen, als dass wir da auf unzureichendem Niveau stagnieren. Die großen Themen sind unverändert -da werde ich mich wohl auch in den kommenden fünf Jahren wiederholen: Cloud, Data und AI sind die entscheidenden Technologien der Dekade, und wir stehen da immer noch am Anfang des Einsatzes! Nur elf Prozent der Unternehmen verwenden ihre Daten tatsächlich für KI-Systeme, der Großteil setzt die vorhandenen Daten nur zur digitalen Abbildung ein, vereinfacht gesagt, zur Speicherung der Ergebnisse, anstatt sie auszuwerten, zu interpretieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Es krankt also an der Anwendung?
Das ist das große Manko. Die technologische Basis ist da, Technologien sind da und ausgereift, wir müssen sie aber einsetzen, nutzen und anwenden. Wir haben kein Technologiedefizit, sondern ein Nutzungsdefizit. Dabei würde es in Österreich genau unserer Ingenieursstärke entsprechen, tatsächlich ein Anwendungschampion zu werden. Wir müssten uns das nur trauen.
Wer zählt denn zu den wie erwähnt zu wenigen Champions?
Wir haben an der Spitze Unternehmen wie Infineon, die sowohl digitale als auch Nachhaltigkeitschampions sind, also in beiden Bereichen führend. Nicht so bekannt ist, dass Wien Energie Anwendungsfälle für KI hat, die so weit gehen, dass sie auch als Forschungsprojekte anerkannt sind. Da geht es etwa um den Einsatz von Cloud Computing, um Monitoring, Managing und Wartung von PV-Anlagen zu ermöglichen.
Statt vier großer Kraftwerke künftig Hunderte einzelne PV-Anlagen zu steuern, dreht ein Geschäftsmodell um. Infrastruktur- und Produktionsunternehmen sind generell weit im Verständnis, Daten richtig einzusetzen, was wohl aus dem Verständnis dafür kommt, dass man auch Dateninfrastruktur braucht.
Auch die ÖBB-Infrastruktur zählt dazu. Diese Unternehmen sind sehr weit, und die gute Nachricht für sie aus der Studie ist, dass sich das auch in den Geschäftsergebnissen lohnt.
Hat der Gesamtbefund mit Österreichs B2B-lastiger Struktur zu tun?
AI ist bislang vorwiegend im B2C-Bereich angesiedelt, bei Maps oder Suchen, viel zu wenig im B2B-Bereich, wo Österreichs Stärke liegt. Typisch für B2B ist, dass Markt- und Vertriebsbereich den geringsten Digitalisierungsgrad aufweisen.
Während in B2C klar ist, dass man Marketing automatisiert, wird B2B noch stark mit persönlicher Betreuung verknüpft. Vergessen wird, dass B2B- Einkäufer selbst Konsumenten sind und dieselben Ansprüche entwickelt haben, aber auch der Rattenschwanz an Bürokratie und Administration. Vertriebs-Backoffices in Industriebetrieben sind oft erschreckend groß. Dort ist das Automatisierungspotenzial richtig groß.
Unsere Studie belegt, dass sich digitale Transformation sehr viel nach innen gerichtet und um die eigene Administration und Produktion gekümmert hat und eher wenig über Unternehmensgrenzen nach außen ins Ökosystem automatisiert wurde. Wohl weil das schwieriger ist, weil es Schnittstellen gibt. Für Österreichs Betriebe erfreulich ist, dass es dort noch viel Potenzial gibt. Das ist auch konsistent mit unserem Bild aus der Beratung, wonach vertriebs- und kundenorientierte Projekte bisher vor allem im Dienstleistungsbereich und im öffentlichen Sektor vorgenommen wurden.
Stichwort öffentlicher Sektor. Wie fällt da Ihr Digitalisierungsresümee aus?
Positiv sind Verbesserungen in wesentlichen Indizes in den vergangenen Jahren. Österreich zählt aber nicht zu den Top-zehn-Nationen und weist große Distanz zu führenden Ländern auf. Dabei hätten wir Voraussetzungen dafür geschaffen, doch bei Elga, Handysignatur oder digitalem Amt ist nach ambitioniertem Start die Luft ausgegangen. Die Themensetzung ist einfach: Wir brauchen alle Amtswege für Bürger und Unternehmen digitalisiert, ein Gesundheits-und ein Bildungsportal, darunter eine Basis-IT, die E-Government-Anwendungen ermöglicht. Erfolgskriterien für digitale Anwendungen sind wie überall Relevanz und Benutzbarkeit. Beides schaffen wir nicht im erforderlichen Ausmaß. 80 verschiedene Apps sind für Bürger eine Überforderung. Ich will eine App, in der ich 80 Anwendungen an einer Stelle habe.
Und wie sieht Ihre Einschätzung der Effekte und Auswirkungen von Generative AI in der Praxis aus?
Gen AI ist das nächste ganz große Thema. Ich habe zuletzt selbst eine Woche investiert, um mein Verständnis von Gen AI zu erhöhen. Diese Technologie wird in kurzer Zeit massive Wirkung auf Unternehmen entfalten und Produktivitätssprünge von 20 bis 30 Prozent auf einzelne Aktivitäten bringen, etwa in der Softwareentwicklung oder der Erstellung von Aktienanalysen.
Steckbrief
Michael Zettel
MICHAEL ZETTEL, geb. 1976, ist Country Managing Director des Technologiedienstleisters und Beraters Accenture in Österreich. Zettel studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Wien und in Leeds. Nach Karrierestart bei Accenture war er unter anderem bei einem US-Technologieunternehmen tätig. Seit 2016 ist er Country Managing Director Accenture Österreich und seit Mai 2022 auch Präsident der American Chamber of Commerce in Austria.
Das Interview ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.
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