In vielen Unternehmen laufen zurzeit Change- bzw. Transformationsprojekte, bei denen außer dem Weg zum Ziel, auch das Ziel selbst unter Vorbehalt steht. Deshalb ist aktuell die Nachfrage nach Agile Coaches groß, die die Betroffenen in diesem Prozess unterstützen und begleiten.
„Wir müssen schneller und agiler auf Marktveränderungen reagieren.“ Nicht nur diese Erkenntnis reifte in den zurückliegenden Jahren in vielen Unternehmen. Hinzu kam die oft schmerzhafte Erfahrung: Wir sind im Betriebsalltag immer häufiger mit nicht selten unerwarteten Ereignissen – wie der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg usw. – konfrontiert,
deren Folgen die bisherigen Maximen unseres Handelns obsolet werden lassen und
bei denen wir selbst noch nicht wissen, was die richtige Problemlösung sein könnte
Sei es, weil wir noch nicht absehen können, wie sich in einigen Jahren unser Markt gestaltet und/oder weil wir heute nur erahnen können, welche technischen Problemlösungen dann möglich oder nötig sind.
Entsprechend viele Change- und Transformationsprojekte laufen aktuell bereits in den Unternehmen, bei denen nicht nur der Weg zum Ziel, sondern auch das Ziel selbst unter Vorbehalt steht; also zumindest die Projektverantwortlichen heute bereits wissen: Das Projektziel muss im Projektverlauf vermutlich noch häufig den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden, weshalb auch das aktuelle Projektdesign geändert werden muss. Und davon gilt es dann auch alle Beteiligten zu überzeugen, damit diese sozusagen bei der Stange bleiben.
Das Mindset muss sich bereichsübergreifend ändern
Bei diesen Projekten sammelten viele Unternehmen die Erfahrung: Um diese zum Erfolg zu führen, genügt es nicht, in der Organisation agile Projektmanagement-Methoden einzuführen und die Strukturen zu verändern.
Vielmehr ist bereichs- und funktionsübergreifend ein agiles Mindset nötig, damit die Kultur in unserem Unternehmen in Bewegung kommt und sich die Strategie mit Leben füllt.
Ein solches Mindset lässt sich nicht per Dekret verordnen. Es entwickelt sich allmählich in einem Changeprozess, bei dem die Mitarbeiter und Führungskräfte meist eine aktive Unterstützung brauchen – zum Beispiel durch Agile Coaches.
Darüber sind sich die Unternehmen inzwischen weitgehend einig, weshalb aktuell unter anderem eine große Nachfrage nach Agile Coaches besteht. Unklar ist aber oft noch:
Was ist genau die Rolle/Funktion der Agile Coaches?
Welches Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil sollten diese haben?
Die künftigen Agile Coaches mit System auswählen
Nicht selten werden deshalb im Betriebsalltag noch Projektmanager, Scrum Master oder Organisationsentwickler ohne eine spezielle Vorbereitung zu Agile Coaches ernannt.
Die Praxis zeigt jedoch: Eine hohe persönliche Affinität zu diesem Thema und eine mehr oder minder solide Methodenkenntnis allein genügen in der Regel nicht, um diese Funktion adäquat wahrzunehmen. Deshalb haben inzwischen viele Unternehmen für ihre angehenden Agile Coaches Fortbildungen organisiert, die ihnen das erforderliche Know-how und Können vermitteln.
Bei deren Konzeption sollte bedacht werden: Eine Agile-Coach-Ausbildung muss den Teilnehmern auch das Mindset vermitteln, das Agile Coaches für ihre Arbeit brauchen, denn dieses entscheidet letztlich darüber,
was die Agile Coaches ihren Kollegen vermitteln und
ob die Methoden adäquat eingesetzt werden.
Agile Coaches sind letztlich
Ermutiger neue Wege zu beschreiten oder auszuprobieren,
Motivatoren auch bei Widerständen und Rückschlägen am Ball zu bleiben und
Multiplikatoren von Ideen, Wissen und Erfahrung.
Also lautet eine zentrale Frage: Was multiplizieren sie?
Nur Methoden-Know-how oder auch die für ein agiles Arbeiten nötige Einstellung und Haltung?
Die Antwort hängt vom Konzept ihrer Ausbildung und von der Auswahl der künftigen Agile Coaches ab.
Das Anforderungsprofil für die Agile Coaches
Die Praxis zeigt, dass für die Arbeit als Agile Coach unter anderem folgende Kompetenzen bzw. Fähigkeiten wichtig sind:
beziehungsgestaltende Kompetenzen (z.B. ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten inkl. der Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu gestalten; Team- und Kooperationsfähigkeit, ein Agile Leadership-Verständnis),
kognitive und (selbst-/emotions-)regulatorische Fähigkeiten (u.a. geistige Wendigkeit, Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz),
Fähigkeit zur Selbststeuerung (z.B. das eigene Verhalten beobachten, differenziert bewerten und nachjustieren können).
Diese Fähigkeiten bzw. Kompetenzen erleichtern es unter anderem
Ambiguitäten, also Mehrdeutigkeiten, souverän zu begegnen,
Veränderungen offen anzugehen und
sich schnell in einen volatilen Rahmen einzufinden, der durch wechselnde Rollen statt durch starre Strukturen und Hierarchien geprägt ist.
Den Entwicklungsbedarf mehrstufig ermitteln
Grundsätzlich können sich alle Mitarbeiter und Führungskräfte auf die „Agile Reise“ begeben. Wichtig ist es aber, den Ausgangspunkt der Teilnehmer zu kennen, um eine individuelle Förderung und Entwicklung zu ermöglichen.
Deshalb empfiehlt sich in der Praxis oft folgendes mehrstufige Vorgehen. Vor dem Start der Agil-Coach-Ausbildung führt das Unternehmen mit den potenziellen Teilnehmern zunächst einen „Agile Awareness Workshop“ durch – also einen Workshop, der ein Grundverständnis dafür schafft, was
agile Transformation überhaupt bedeutet,
welche Dimensionen dieser (Change-)Prozess berührt
was die Aufgaben und Rollen eines Agile Coaches im Unternehmensalltag sind.
So vorbereitet und informiert, erhalten die Interessenten gegen Ende des Workshops eine „Hausaufgabe“, die der nochmaligen Reflektion ihrer Motivation für die Ausbildung dient.
Zudem werden sie gebeten, einen Persönlichkeitstest auszufüllen, der der Ermittlung ihrer Stärken und Lernfelder beim Wahrnehmen der Aufgaben eines Agile Coaches dient.
Danach werden die Kandidaten zu einem „Agile Attitude Development Day“ eingeladen. Dort reflektieren sie im Kollegenkreis nochmals, was sie dazu motiviert, eventuell ein Agile Coach zu werden, und mit welcher Haltung sie sich den Themen Transformation sowie Change und Agilität nähern. Dabei werden sie spielerisch auch mit den agilen Prinzipien vertraut gemacht und setzen sich in verschiedenen Settings mit ihren künftigen Aufgaben und sich selbst auseinander.
Gegen Ende des Workshops erhalten alle Teilnehmer ein individuelles Feedback und die Auswertung des Persönlichkeitstests, um fundiert entscheiden zu können:
„Ja, ich will ein Agile Coach werden“ oder
„Ich kann in einer anderen Funktion mehr zur Transformation unserer Organisation beitragen“
Die Reifung von Agile Coaches
Der Vorteil eines solchen mehrstufigen Auswahlvorfahrens ist: Die Teilnehmer setzen sich schon vor Beginn der Agile-Coach-Ausbildung intensiv mit dem für die Themen Agilität und Transformation nötigen Mindset auseinander. Zudem wird von Anfang an deutlich, wie wichtig eine hohe Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe sind, damit Menschen
ihre Einstellungen und ihr gewohntes Agieren reflektieren und
zu einer Änderung ihrer Haltung und ihres Verhaltens bereit sind.
Denn dies zu erreichen, ist eine ihrer Kernaufgaben als künftige Agile Coaches.
Die Ausbildung zum Agile Coach selbst sollte modular aufgebaut, damit bei den künftigen Agile Coaches mit der Zeit die für ihre Arbeit nötige Einstellung und Haltung reifen können. Deshalb sollten in der Ausbildung neben der Methodenvermittlung auch die Themen
Selbstreflexion und Reflexion der gemachten Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen. Denn nur so entwickeln sich die angehenden Coaches weiter, und es entsteht bei ihnen allmählich die Haltung und Verhaltenssicherheit, die sie für ihre Arbeit in einem von Veränderung geprägten Umfeld brauchen.
Die Ausbildung der Coaches: „Klassisch“ oder online?
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 werden in vielen Agile-Coach-Ausbildungen, die ursprünglich reine Präsenzveranstaltungen waren, zumindest einige Module online durchgeführt. Dies hat oft Vorteile.
So signalisieren zum Beispiel die Teilnehmer an Online-Ausbildungen, die bereits herausfordernde Jobs in ihren Unternehmen haben, sie könnten das Online-Lernen besser in ihren Arbeitsalltag integrieren.
Außerdem betonen sie nahezu übereinstimmend: Das Online-Lernen und -Trainieren sowie dessen Reflexion in der Ausbildungsgruppe erhöht unsere Digitalkompetenz.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht wichtig. Zum einen spielt bei den meisten Change- und Transformationsprojekten in den Unternehmen auch das Thema Digitalisierung eine zentrale Rolle – und dies wird sich in den kommenden Jahren vermutlich noch verstärken, zumindest wenn das Thema „Künstliche Intelligenz“ zu einem wichtigen Change-Treiber wird. Deshalb müssen Agile Coaches in Regel auch eine gewisse Digitalkompetenz und -reife haben.
Die Digitalkompetenz
Hinzu kommt, speziell bei bereichs-, standort- oder gar unternehmensübergreifenden Projekten: In ihnen erfolgen die Koordination der Zusammenarbeit und zumindest die Alltagskommunikation meist digital.
Deshalb ist es ein Plus, wenn die künftigen Agile Coaches in ihrer Agile-Coach-Ausbildung den professionellen Umgang mit den dabei genutzten Kollaboration- und Kommunikationstools bereits einüben.
Außerdem wenn sie im Kollegenkreis aufgrund der gemachten Erfahrungen zum Beispiel Fragen reflektieren wie: Worauf sollte ich als Agile Coach, wenn die Kommunikation weitgehend online erfolgt, besonders achten, wenn ich
Diskussionsprozesse über heikle Themen anregen oder
ein Commitment auf ein Vorgehen herbeiführen möchte?
Verfügen die Agile Coaches in diesem Bereich bereits über eine fundierte Erfahrung, hilft dies viele Irritationen zu vermeiden, die bei der Online-Kommunikation und digitalen Zusammenarbeit schnell entstehen.
Deshalb sollten Unternehmen beim Planen ihrer Agile-Coach-Ausbildung auch reflektieren: Inwieweit sollte diese online stattfinden, unter anderem weil dies eher der alltäglichen Zusammenarbeit in unserer Organisation im sogenannten digitalen Zeitalter entspricht?
In der Praxis werden sie sich dann nicht selten auch für hybride Ausbildungskonzepte entscheiden, die sowohl die Vorteile des Präsenz-, als auch Online-Lernens nutzen.