Andreas Gerstenmayer, CEO AT&S
©Elke MayrAndreas Gerstenmayer, CEO des Leiterplatten-Herstellers AT&S, räumt im trend. Interview mit den Spekulationen rund um das Unternehmen und seine angekündigte Kapitalerhöhung auf. Und er skizziert die weitere Zukunft des steirischen Leitbetriebs.
Herr Gerstenmayer, es gab vergangene Woche eine überraschende und wenig konkrete Meldung aus der AT&S, das Unternehmen strebe eine Kapitalerhöhung an. Was war der Hintergrund dafür?
Wir sind in der Vorbereitung eines solchen Prozesses. Dabei gibt es bestimmte Kapitalmarkt-Regularien, nach denen eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich ist, wenn relevante Informationen in den Markt dringen. Es war für uns allerdings eine sehr unangenehme Situation, weil der Zeitpunkt der Kommunikation viel zu früh war. Wir sind erst in der Vorbereitung einer möglichen Transaktion und konnten eigentlich nur informieren, dass wir etwas vorhaben.
Der Aktienkurs hat heftig reagiert.
Er ist kurz eingebrochen, hat sich aber gleich am Tag darauf erholt und weitestgehend den Stand von davor erreicht. Wir sind seitdem in der normalen Marktvolatilität. Es blieb dennoch Unsicherheit, die wir möglichst schnell mit konkreten Informationen ausräumen müssen.
Stichwort Unsicherheit: Die Ad-hoc-Meldung hat eine Welle von Spekulationen ausgelöst, was denn nun mit und in der AT&S los ist. Von „AT&S ist in Finanznot“ über „sie muss Assets verkaufen“ bis hin zu „AT&S will einen Mitbewerber übernehmen“.
Eine so unkonkrete Mitteilung öffnet natürlich den Raum für Spekulationen. Die wesentlichen Botschaften, die wir daher versuchen, in den Markt zu bringen sind: Nein, wir sind kein Sanierungsfall. Wir haben 1,35 Milliarden Euro Cash und Finanzierungsinstrumente verfügbar. Unsere Liquidität ist kein Thema. Wir haben auch Projekte in Umsetzung, die gut laufen. Wir sind als Unternehmen nachhaltig auf die zukünftige Entwicklung vorbereitet. Genau deshalb überlegen wir uns auch, wie wir die Finanzierung des Unternehmens gestalten werden. Um uns längerfristig resilient aufzustellen, Technologieentwicklung zu betreiben und damit uns Marktschwankungen weniger treffen.
Es gab auch Stimmen und Berichte, in denen das Verhältnis von Aufsichtsrat und CEO und die interne Kommunikation infrage gestellt wurden.
Ich habe vollstes Verständnis, dass unsere Aktionäre eine Kapitalerhöhung im aktuellen Umfeld kritisch beurteilen. Der Kapitalmarkt mag weder solche Maßnahmen noch Überraschungen, die nun gleichzeitig eingetreten sind. Üblicherweise werden in der AT&S Herausforderungen intern diskutiert und erst kommuniziert, wenn es eine Lösung gibt.
Es gibt also keinen internen Infight Aufsichtsratschef gegen CEO?
Intern wird zur Lösungsfindung intensiv diskutiert. Das ist auch richtig und notwendig und die Rolle des Aufsichtsrats und die des Vorstands. Der Vorstand hat die Verantwortung, das Beste für das Unternehmen zu tun und im Sinne des Unternehmens zu agieren. Das tun wir, diese Verantwortung tragen wir, und wir haben seit vielen Jahren bewiesen, dass wir die auch sehr ernst nehmen.
Spekuliert wird auch über das Volumen einer möglichen Kapitalerhöhung. Es wurde kommuniziert, dass Sie mit der ÖBAG in Vorgesprächen über eine Beteiligung von mindestens 25 Prozent plus einer Aktie bis zu 50 Prozent seien. In welcher Höhe wird man denn landen, falls es tatsächlich zu einer Kapitalerhöhung kommt?
Das ist der unangenehme Teil der Situation, weil ich zum jetzigen Zeitpunkt dazu keine konkreten Informationen geben kann. Erstens sind wir sehr früh im Prozess. Ja, wir haben bestätigt, dass wir mit der ÖBAG sprechen, aber wir sprechen auch mit anderen. Wir haben aus Vorratsbeschlüssen der Hauptversammlung die Möglichkeit, eine 50-prozentigte Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital zu machen. Die anderen Variablen sind aber der Börsenkurs und final natürlich auch die weitere Geschäftsentwicklung, die momentan auch recht volatil ist. Daraus werden wir die Maßnahme am Ende komponieren. Diese Eckpfeiler sind noch unbestimmt, und deshalb ist es auch so schwer, darüber zu sprechen.
Sie sprechen von „anderen Gesprächspartnern neben der ÖBAG“. Können Sie dazu schon konkreter werden?
Nein, zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Das Signal ist einfach, dass es attraktive Alternativen gibt. Aber – um zu ergänzen, warum wir mit der ÖBAG sprechen: Wir sind in einem sehr investitionsgetriebenen Geschäft, hinsichtlich Technologieentwicklung, Produktionskapazitäten und vielem mehr. Da ist es wichtig, dass man eine stabile Kernaktionärsstruktur hat. Wir haben mit unseren beiden Kernaktionären über die Jahre erfolgreich bewiesen, dass wir eine solide Basis haben. Die hat uns durch zahlreiche Ups und Downs getragen und unterstützt. Das wollen wir auch beibehalten. Ich spreche hier für den Vorstand – ich kann nicht sagen, was die Stiftungen machen werden.
Warum die Gespräche mit der ÖBAG?
Sie würde meiner Meinung nach gut zu AT&S passen. Sie hat die Möglichkeit, langfristig zu investieren, hat ein Interesse am Wirtschaftsstandort, auch den Auftrag, in relevante Technologieunternehmen zu investieren. Da gibt es also kulturell und von der Grundausrichtung vieles, das uns gemeinsam stärker machen könnte. Es liegt einfach auf der Hand, dass man Gespräche über die möglichen Optionen führt. Was auch im internationalen Vergleich nichts Ungewöhnliches ist. Wir sind vielleicht in Mitteleuropa ein wenig sensibler, um nicht zu sagen übersensibel hinsichtlich „Staatsholdings“. Weltweit – ob in Singapur, Saudi-Arabien oder Norwegen – gibt es riesige Staatsfonds, die in wichtige, wirtschaftspolitisch relevante Unternehmen investieren. Dort ist das normal.
Eine Alternative wäre, einen großen internationalen Player an Bord zu holen. AT&S wäre dann vielleicht eine Subsidiary von Intel…
Wir haben dazu keine Aktivitäten. Es gibt dazu auch keine Signale. Das ist reine Spekulation.
Ihr Unternehmen ist in Zusammenhang mit dem European Chips Act und der IPCEI (Important Projects of Common European Interest) Strategie zur Stärkung strategisch wichtiger Wertschöpfungsketten von Interesse. Spielt das in Zusammenhang mit den Gesprächen mit der ÖBAG eine Rolle?
Europa will sich, besonders was den Bereich Mikroelektronik betrifft, besser und resilienter aufstellen. In Deutschland werden internationale große Spieler akquiriert, die dort investieren. Im Grunde ist das nichts Anderes als es eine Beteiligung der ÖBAG an der AT&S wäre. Auch wenn es dabei nicht um Beteiligungen, sondern um Zuschüsse oder Fördergelder geht – also auch um Steuergeld oder Staatsgeld. Man hat erkannt, dass Mikroelektronik aus vielerlei Gründen ein wichtiges Thema für die Zukunft ist und man neue wirtschaftspolitische Maßnahmen setzen muss, um eine gewisse Technologie- und Produktionsbasis in diesem Bereich in Europa zu etablieren. Man muss dabei gesamteuropäisch denken.
Ein Punkt, der in den letzten Tagen auch diskutiert wurde, ist, dass AT&S Assets verkaufen müsse. Sie haben auch schon kommuniziert, dass das Medizintechnikgeschäft in Korea auf dem Prüfstand stehe.
Das ist korrekt. Das geschieht aber nicht aus einer Not heraus. Das Medizintechnikgeschäft ist für uns eine Erfolgsgeschichte und hat sich sehr gut entwickelt. Es ist uns gelungen, uns im Markt als nennenswerten Spieler zu etablieren. Jetzt müssen wir überlegen, in welche Richtung das Geschäft weiterentwickelt werden kann: Entweder wir betreiben es weiter und investieren und entwickeln es weiter. Oder aber wir finden einen "Better Owner", der noch stärker im Bereich Medizintechnik ist, der Synergien entwickeln kann, einen Fokus darauf hat und weiter investiert. Diese beiden Varianten prüfen wir, um dem Geschäft so viele Möglichkeiten der Entwicklung und des Wachstums zu geben, wie es benötigt, um erfolgreich in die Zukunft zu gehen.
Eine Entscheidung diesbezüglich ist vermutlich auch noch nicht gefallen?
Nein. Aber wir haben das bewusst kommuniziert, weil es für uns relevant ist und beide Varianten durchaus attraktiv sind.
Sie haben die Chip-Technologie bereits als essenzielle Technologie für viele Zukunftsanwendungen angesprochen. Dazu gehören Mobilität, das autonome Fahren oder der Bereich der Künstlichen Intelligenz. Der Bedarf an Chips wird jedenfalls enorm sein. Welche Technologien sehen Sie denn als die herausforderndsten?
Grundsätzlich bestimmen zwei Megatrends die Entwicklungen, die für uns relevant sind. Der eine ist der Bereich Elektrifizierung. Unsere gesamte Gesellschaft wird in irgendeiner Form elektrifiziert, geht weg von fossiler Energie hin zu nachhaltiger, elektrischer Energie. Auf der anderen Seite steht die Digitalisierung. Beide Trends sind so weit entwickelt und so reif, dass man nicht mehr darüber diskutieren muss, ob sie kommen, sondern nur noch wie und wann. Daraus abgeleitet ergeben sich viele Anwendungen. Ob im Bereich E-Mobilität, Kommunikationstechnologien oder KI – dabei werden gigantische Datenmengen generiert, die übertragen werden müssen, die prozessiert werden müssen und vieles mehr. Wir alle haben Geräte mit und um uns herum, die miteinander und untereinander kommunizieren. Die werden nicht weniger, sondern ganz im Gegenteil immer mehr.
Und gleichzeitig steigen die Anforderungen.
Die Komponenten müssen enorm leistungsfähig sein, um die steigenden Datenmengen zu bewältigen. Und es wird auch die Energieversorgung benötigt, um die Digitalisierung zu ermöglichen und den Rest der Gesellschaft zu versorgen. Für uns gibt es vielfältigste Technologien im Computing-Bereich. Deshalb sind wir auch vor zehn Jahren in das Geschäft mit den IC-Substraten für Mikroprozessoren eingestiegen. Wir investieren hier nicht nur in Produktionskapazitäten, sondern in auch Technologieentwicklung. Die Leistungsfähigkeit der Komponenten entwickelt sich so rasant, dass sie immer komplexer und schwieriger zu designen werden. Alle Komponenten müssen hocheffizient sein. Ein Chip alleine spielt noch keine Musik. Er muss effizient nach außen verbunden werden. Dafür gibt es verschiedenste Verbindungstechnologien und Herausforderungen, und um die kümmern wir uns.
Das bedeutet wohl, dass auch in Zukunft große Investments nötig sein werden. Wie jüngst am Standort Leoben oder in Malaysia, wo ein Werk kurz vor der Eröffnung ist. Der Hintergrund für die Kapitalerhöhung?
Exakt. Wir sagen auch, dass wir uns mit der Kapitalerhöhung zukunftsfit machen wollen. Sie ist kein Notfallprogramm. Wir wollen unseren Umsatz mittelfristig, bis 2026/2027, bei entsprechender Profitabilität auf 3,5 Milliarden Euro steigern. Die Projekte dafür sind alle in Umsetzung. Dabei ist eines der Werke in Malaysia zurückgestellt und in der Umsatzprognose noch gar nicht enthalten. Das Gebäude ist fertiggestellt. Wir warten nun die Marktentwicklung ab und entscheiden dann, welche Technologie wir dort installieren. Dafür sind wieder Investitionen erforderlich. Und es warten weitere Herausforderungen. Wir wollen schließlich ein Technologie-Frontrunner bleiben.
Es wird vermutlich auch nicht das letzte Werk sein, das Sie benötigen.
Es gibt jetzt kein Projekt, das am Tisch läge. Aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering. Wir sprechen mit großen Kunden über deren Technologie-Roadmaps, über ihren zukünftigen Bedarf und über R&D, also Technologieentwicklung. Wir geben auch einen nennenswerten Betrag – ca. 8 bis 10 Prozent des Umsatzes – für Technologieentwicklung aus. Das ist für unsere Branche ein nennenswerter Betrag.
Zu den Herausforderungen gehört auch, dass man nicht nur ein Werk oder ein Forschungszentrum hinstellt, sondern auch Personal findet, das dort arbeitet und Technologien weiterentwickelt. Der Fachkräftemangel ist gerade am Technologiesektor eine europaweite, fast weltweite Herausforderung.
Das ist richtig. In Malaysia benötigen wir derzeit zum Beispiel 3.000 Mitarbeiter. Und es ist nicht damit getan, die zu rekrutieren. Man muss sie auch trainieren und einschulen, damit dort auch professionell gearbeitet werden kann. In Leoben, wo wir unser R&D-Center bauen und rund 700 Arbeitsplätze schaffen werden, gehen wir derzeit in die zweite Rekrutierungsphase. Dort suchen wir 300 Mitarbeiter. Das klingt vielleicht gegenüber den 3.000 Mitarbeitern, die wir in Malaysia benötigen nach nicht viel. Es ist aber mindestens die gleiche Herausforderung, 300 Mitarbeiter nach Leoben zu bringen. Aber wir sind zuversichtlich. Wir haben mittlerweile mehr als 60 Nationalitäten am Standort, sind dort ein buntes Volk geworden. Man muss sehr offen sein, qualifizierte Menschen nach Österreich, nach Europa zu holen und sie auch entsprechend zu integrieren.
Würden Sie sich da vielleicht auch seitens der Politik etwas mehr Unterstützung wünschen?
Man darf nicht immer nur auf die Politik schauen. Das Thema „Fachkräfteausbildung“ ist bereits 20, 30 Jahre alt. Die Industrie hat das seit vielen Jahren adressiert. Die demografische Kurve war bekannt. Jetzt sind wir alle überrascht, dass die Baby-Boomer langsam aus dem Arbeitsleben treten. Wir haben sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten an den Universitäten. Aber wir haben es nicht geschafft, die jetzt benötigte Quantität zu erreichen.
Hier setzt mein zweiter Punkt an. Ich verstehe die Problematik mit illegaler Migration. Aber man kann nicht darüber diskutieren, dass wir qualifizierte Leute aus dem Ausland brauchen, die nach Österreich kommen. Und wir reden dabei nicht über Fachkräfte aus Europa, denn hier gibt es überall einen Fachkräftemangel. Wir müssen daher weltweit denken, und dazu gibt es eine dringende Bitte an die Politik: Gewollte Zuwanderung von Fachkräften muss man auch entsprechend kommunizieren. Man müsste sich auch einmal hinstellen und klipp und klar sagen, dass wir qualifizierten Zuzug brauchen. Das muss im wahrsten Sinn des Wortes in die Welt getragen werden. Wir sehen, dass es international eine Verunsicherung gibt, ob man in Österreich überhaupt willkommen ist. Das macht es nicht leicht.
Über AT&S
Gegründet: 1987
Firmensitz: Fabriksgasse 13, 8700 Leoben
Mitarbeiter (2022/23): 14.000
Tätigkeit: Herstellung von Leiterplatten
Umsatz (2022/23): 1.79 Mrd. EUR
Eigentümer: Börsennotiert; Größte Anteilseigner: Androsch Privatstiftung (15,42%); Dörflinger Privatstiftung (12,09%); Dörflinger Management & Beteiligungs GmbH (5,94%); AIC Androsch International Management Consulting GmbH (2,13%); Streubesitz (64,42%)
Management: Andreas Gerstenmayer CEO, Petra Preining CFO, Peter Griehsnig CTO, Ingolf Schröder EVP BU ME, Peter Schneider EVP BU ES
Aufsichtsrat: Hannes Androsch (Vors.), Regina Prehofer (1. Vors. Stv), Georg Riedl (2. Vors Stv) plus 11 weitere Personen
Börse-Kennzahl: AT0000969985
Website: ats.net