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Autozulieferer Polytec: Im Auge des Taifuns

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Suche nach neuen Umsatzquellen abseits des Autogeschäfts: Polytec CEO Markus Huemer.

©Michael Rausch-Schott/Trend
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Zwei Drittel ihres Geschäfts machte die oberösterreichische Polytec-Gruppe bisher mit Volkswagen und Mercedes. Nun muss der Autozulieferer umlenken – so wie eine ganze Branche. Die Neun-Monats-Zahlen verraten darüber noch wenig.

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Dichter Nebel hat sich an diesem Novembervormittag rund um die Polytec-Zentrale in Hörsching bei Linz gelegt. Die leicht gruselige Stimmung passt exakt zur Lage des börsennotierten Autozulieferers mit rund 660 Millionen Euro Umsatz. „Wir fahren auf Sicht“, fasst CEO Markus Huemer zusammen.

Die am Donnerstag präsentierten Zahlen lassen immerhin ein paar Lichtstrahlen durch die Nebelsuppe kommen. Das Betriebsergebnis (Ebit) hat in den ersten neun Monaten 2024 von minus 2,7 auf plus 1,4 Mio. Euro gedreht. Der Konzernumsatz lag bei 507,1 Mio. Euro und damit 4,5 Prozent über dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, das Ergebnis nach Steuern betrug minus 7,4 Mio. Euro nach zuvor minus 8,7 Mio. Euro.

Doch das ist nur eine Momentaufnahme. Seit Markus Huemer von seinem Vater 2019 das Steuerrad übernommen hat, hat eine beispiellose Serie von Krisen die Idee mittel- und langfristiger Planung zunichte gemacht: erst Corona mit den folgenden Lieferkettenproblemen, dann die Halbleiter-Krise, dann die Ukraine- und die Inflationskrise. Jetzt sieht man sich in der Hörschinger Kommandozentrale der auf Kunststoffteile spezialisierten Gruppe, nachdem eben der Einstieg in die Elektromobilität geglückt war, auch noch mit dem Umstand konfrontiert, dass weniger Stückzahlen bei den E-Autos abgerufen werden als gedacht – und dafür einige Verbrennermodelle wieder ziehen.

Wie seine Kundenstruktur in drei Jahren aussieht, kann Unternehmer Huemer deshalb schlicht nicht sagen: „Eine mehrjährige strategische Planung ist ein Ding der Unmöglichkeit.“

Zwei Drittel der Polytec-Umsätze hingen 2023 an zwei großen deutschen Herstellern: Volkswagen mit 244 Millionen Euro und Mercedes mit 179 Millionen Euro (siehe Grafik ). Mehr als 14 Millionen Euro betrug der Verlust nach Steuern im letzten Jahr.

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Von den drei größten Polytec-Einzelkunden scheint Jaguar Land Rover mit Sitz in Großbritannien derzeit der verlässlichste zu sein.

 © Trend

Das heimische Lieferkettenforschungsinstitut ASCII hat rund 150 von 900 österreichischen Zulieferbetrieben ausgemacht, die den Volkswagen-Konzern direkt beliefern – der Autoriese mit Sitz im niedersächsischen Wolfsburg steht derzeit wegen einbrechender Gewinne und drastischer Sparpläne im Mittelpunkt der deutschen Autokrise. Polytec ist einer der größeren heimischen VW-Lieferanten, zu denen auch Unternehmen wie Miba und Stiwa gehören.

Dass VW in Deutschland zumindest drei Standorte schließen könnte, bekümmert den CEO kaum. Im Gegenteil, er sieht es als notwendigen Schritt in einem Markt, der geschrumpft ist. Das Volumen von in Europa – in der EU, in den EFTA-Ländern und in Großbritannien – produzierten Pkw werde sich auf dem jetzigen Niveau von rund 16 Millionen pro Jahr einpendeln, meint er. Das bedeute Überkapazitäten von rund 20 Prozent. Der Plan des VW-Managements um CEO Oliver Blume sei die Konsequenz daraus. „Es ist logisch, dass Automobilhersteller Werke schließen. Ich habe höchsten Respekt vor Blume, der das jetzt mit Konsequenz angeht.“ Nachsatz: „Leider wird die Diskussion stark vom Betriebsrat und vom Land Niedersachsen dominiert.“

Neustart

Welche Optionen hat aber ein Zulieferer in so einer Situation? Die Neuaufstellung bei Polytec läuft seit Jahren. Die Gruppe hat 21 Werke und beschäftigt international 3.900 Mitarbeiter auf vier Kontinenten. Sechs Werke sind seit 2019 verschwunden, und ein Ende ist wohl noch nicht erreicht. „Ich werde sicher nicht verlustträchtige Teilbereiche in der Gruppe weiter querfinanzieren“, kündigt Huemer an.

Seine Investitionen fließen derzeit vorrangig nach Großbritannien, wo nach einem ersten Lackierwerk 2016 nun zwei ergänzende Assemblierwerke eröffnet werden und eine Spritzgussanlage entsteht. Das sei jedoch keinesfalls auf einen Auto-Boom im Post-Brexit-Land zurückzuführen, sondern habe mit einer absoluten „Sondersituation“ zu tun: Jaguar Land Rover und Bentley sind zwei wichtige Kunden auf der Insel.

Was die Stückzahlen betrifft, könnten da schon die chinesischen Hersteller interessanter werden, die derzeit ihre Elektroautos auf dem europäischen Markt pushen und, um die hohen EU-Zölle zu umgehen, eigene Fertigungen errichten. So baut etwa BYD, im Heimmarkt China soeben an VW vorbeigezogen und global in Sachen Ab- und Umsatz inzwischen vor dem US-Pionier Tesla, ein Werk für Elektroautos im ungarischen Szeged. Über den Standort für ein zweites Werk soll 2025 entschieden werden.

Polytec hat deshalb neben heimischen Größen wie AVL List und Voestalpine an einer BYD-Zuliefererkonferenz Ende Juli in Wien teilgenommen. Dort wurden Chancen ausgelotet, auf der einen Seite das aufzufangen, was auf der anderen Seite verloren geht. Denn ein Markterfolg von BYD, Nio & Co. bedeutet angesichts eines stagnierenden Markts de facto einen

Verdrängungswettbewerb mit bestehenden Herstellern. „Es hat sich noch nichts Konkretes ergeben“, rekapituliert Huemer die erste Tuchfühlung mit dem Autobauer aus Fernost. Nachteil ist in dieser Situation, dass man China und seine OEMs wenig kennt: „Wir haben dort nur einen kleinen Standort und bisher kaum Kontakte.“

Mehr Gärtner, weniger Autofahrer

Mindestens so wichtig ist für einen zu 85 Prozent vom Autogeschäft abhängigen Zulieferer deshalb, das Nicht-Automotive-Geschäft zu forcieren. Bei Polytec läuft dieser Diversifizierungsstrang in Richtung Smart Plastics. Darunter fallen etwa Mehrweg-Umlaufverpackungen für Lebensmittel oder Plastiktassen für Pflanzen, wie sie in Baumärkten angeboten werden. Dieses Geschäft wächst und sichert vor allem den zweiten österreichischen Standort in Ebensee gut ab. Fernziel ist, den Umsatzanteil des Non-Automotive-Bereichs auf 30 Prozent zu verdoppeln.

Friedrich Huemer, heute Aufsichtsratschef, hat in einer beeindruckenden Akquisitionstour Polytec zur jetzigen Größe geformt. Als er Anfang 2019 übergab, setzte die Gruppe 676 Millionen Euro um und beschäftigte 4.500 Mitarbeiter. Heute sind es bei ähnlichem Umsatz um 600 Mitarbeiter weniger – ein Spiegelbild der Industrie.

In seiner fast 40-jährigen Geschichte ist das Unternehmen dennoch aus jeder Krise gestärkt hervorgekommen. Nicht klar ist, ob es diesmal Treiber oder eher Getriebener der Konsolidierungswelle unter den Zulieferern sein wird. „Idealerweise sind wir aktiver Konsolidator, unsere aktuelle Ertragslage erlaubt dies jedoch nur unzureichend“, so der CEO.

Ebenso gut könnte Polytec auch Übernahmeziel werden. An der Börse nur noch mit knapp 60 Millionen Euro bewertet wären die Kunststoffspezialisten ein Schnäppchen für Mitbewerber. Doch es gibt kaum Käufer am Markt – wenn, dann sind es Private-Equity-Fonds, die aufgepäppelte Beteiligungen teurer weiterzuverkaufen versuchen. So hat der kanadische Zulieferriese Magna in Deutschland und Frankreich zuletzt mehrere Werke an den Fonds Mutares abgegeben.

Markus Huemer lässt sich derzeit vieles durch den Kopf gehen. Noch sucht er nach der richtigen Vorwärtsstrategie, um nicht immer reaktiv sein zu müssen. Dazu kommt die fast unlösbare Aufgabe, in Zeiten permanenter Bad News zu führen – und vor allem zu motivieren. Huemer: „Gerne würde ich vor die Belegschaft hintreten und sagen: ‚Das ist der Nordstern. Daran können sich alle orientieren.‘ Aber das kann ich nicht.“

Dieser leicht gekürzte, aktualisierte Artikel ist in voller Länge in der trend.PREMIUM Ausgabe vom 8. November 2024 erschienen.
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