Winter 2017: Auf den österreichischen Skipisten tummeln sich Skifahrer und Snowboarder selbstverständlich nebeneinander. Selbst in Gebieten, in denen traditionell nur Tourenskifahrer oder echte Alpinisten unterwegs waren, rücken immer mehr Snowboarder vor. Mit Split-Boards oder Schneeschuhen und auf den Rücken geschnallten Boards erklimmen sie Bergrücken, um dann durch unberührte Tiefschneehänge ins Tal zu gleiten.
Das war nicht immer so. 1988, vor knapp 30 Jahren, die Boarder-Szene in Österreich gerade erst im Entstehen. Der Schladminger Gerfried Schuller war einer der Stars im damals noch jungen Snowboardsport. Er fuhr als Profi im Rennteam des Snowboardpioniers Jake Burton und holte 1988 den Europameistertitel. Doch Schullers Leistung wurde in Österreich praktisch ignoriert.
Dem ehrgeizigen Athleten war klar, dass seine Karriere als Spitzensportler früher oder später zu Ende gehen würde und dass er dann nicht von dem in den wenigen Profijahren verdienten Geld leben können würde. Auch eine Karriere als Co-Kommentator beim Fernsehen war ausgeschlossen - und mit einer Tankstelle oder einer Trafik wurden damals bestenfalls Profifußballer belohnt. "Abgesehen davon hätte mich das nicht interessiert", erklärte Schuller seinerzeit dem trend.
Also konzentrierte er sich auf das, was er kannte und konnte. Er hatte als aktiver Sportler im Burton-Team beste Beziehungen zu dem Snowboard-Pionier. Und er erkannte, dass zwischen dem Angebot im Handel und der Nachfrage aus der Boarder-Szene eine große Kluft herrschte. Snowboards waren Ende der 1980er Jahre im Sportartikelhandel noch etwas sehr Exotisches. In Österreich fand man sie bestenfalls in den großen Sportgeschäften in den Städten, in anderen großen Märkten wie Deutschland, England oder Japan waren sie praktisch überhaupt nicht erhältlich.
Start in der Garage
Also beschloss Schuller, den jungen und modebewussten Aktiv-Sportlern Boards und die entsprechend stylische Ausrüstung anzubieten. 1989 eröffnete er eine Snowboardschule in Schladming und begann in einer kleinen Garage Snowboards zu verkaufen. Wobei die Anfänge sehr bescheiden waren. Verkauft wurden die Bretter damals ausschließlich an Touristen, die sich in seiner Snowboardschule eingeschrieben hatten, und an einige wenige Begeisterte aus der Umgebung.
Von Anfang an bot "Blue Tomato", wie Schuller seine Firma nannte, den Kunden aber nicht bloß irgendwelche Bretter an, sondern importierte die Geräte direkt von amerikanischen Herstellern wie Burton, Santa Cruz oder Deeluxe - die Boards, die auch die Profis fuhren.
Das Geschäft florierte, und die kleine Garage wurde bald zum Insidertipp. Auch, weil das Snowboardgeschäft anders funktioniert als der Skiverkauf: Snowboards galten von Anfang an auch als Lifestyle-Produkte. Trends, Designs und demzufolge auch die Modelle änderten sich wesentlich schneller als im Skisport. Darauf konnten die großen Skihersteller nicht reagieren und und der etablierte Handel wollte sich auf die schnell drehenden Produkte auch gar nicht wirklich einlassen.
Schuller hatte damit eine perfekte Nische gefunden. 1994 war die Garage endgültig zu klein geworden, und Schuller eröffnete seinen ersten richtigen Shop, das "Blue Tomato" in Schladming. Damals gab es zwar weder Internet noch e-Mail, aber Schuller verkaufte seine Boards sofort in alle Welt. Die Kunden bestellten telefonisch oder per Post.
Pionier im Online-Handel
Es dauerte drei weitere Jahre, bis die erste Blue Tomato Website im Jahr 1997 online ging. Produkte im Internet zu verkaufen oder zu kaufen war damals auch alles andere als selbstverständlich. Selbst das mittlerweile zum Handelsriesen gewachsene Amazon.com war erst kurz zuvor gegründet worden. Erst im Juli 1995 hatte Jeff Bezos seine Website für einen eingeschränkten Benutzerkreis geöffnet, im Oktober 1995 wurde die damals noch ausschließlich auf den Buchhandel fokussierte Plattform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Amazon Deutschland wurde überhaupt erst im Oktober 1995 aktiv - ein Jahr nach Blue Tomato.
Schuller gab später an, einfach Glück oder den richtigen Riecher gehabt zu haben. Es habe zu Beginn weder einen Businessplan noch eine professionelle Geschäftsidee gegeben. Man habe einfach begonnen, Produkte im Internet anzubieten. Und dass die Möglichkeit, Snowboards und Zubehör per E-Mail bestellen zu können derart einschlagen würde, hatte er auch nicht geahnt.
Bald war der Handel per E-Mail kaum mehr zu bewältigen. BlueTomato investierte in eine ausgefeilte Webshop-Lösung, begann Kataloge zu drucken und diese bei Events zu verteilen. Man arbeitete zu dritt im Shop, packte nachmittags die online bestellten Waren ein und brachte sie selbst zur Post.
Blue Tomato wuchs unaufhörlich weiter. Auch die große Krise nach dem Platzen der Internet-Blase zur Jahrtausendwende überstand Blue Tomato ohne Blessuren. Das Schladminger Unternehmen war bald mit über 40.000 Artikeln im Sortiment der weltweit größte Anbieter von Snowboards und Zubehör im Internet. 2005 lag der Umsatz bereits bei vier Millionen Euro und alleine im Versand waren bereits 25 Vollzeitmitarbeiter ganzjährig beschäftigt. Aktuell beschäftigt das Unternehmen laut Firmenbuch 250 Mitarbeiter, der Umsatz lag zuletzt bei 56,27 Millionen Euro.
Expansion und stationärer Handel
Blue Tomato expandierte in weitere Nischen. In Streetwear, Skater- und Boardermode und positionierte sich somit auch für trendige Sommer-Sportarten als Lifestyle-Anbieter für Kunden, die sich mit Durchschnittsware nicht zufrieden geben wollten.
Die Produktpalette wurde permanent erweitert. Aktuell befinden sich bereits über 450.000 Produkte von mehr als 650 Marken im Sortiment. Darunter bekannte wie Burton, Volcom, Roxy, Nikita, DC, Billabong, Quiksilver, adidas und Nike, aber auch aufstrebende Labels wie Somewear, Colourwear, Poler, Herschel, Naketano, HUF, Brixton und vielen andere. Der Webshop ist heute in 14 Sprachen verfügbar und die Ware wird weltweit an unsere Kunden verschickt.
Man erkannte aber auch wie wichtig stationäre Shops sind und begann dort zu expandieren. In Österreich und Deutschland wurden zahlreiche Shops in besten Lagen eröffnet. Die Vorzeigefiliale in der Wiener Rotenturmstraße mit rund 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche, nur einen Steinwurf vom Stephansdom entfernt, ist das beste Aushängeschild für den Erfolg des Unternehmens. Wobei es Blue Tomato aber auch verstanden hat, nahe an der Szene zu bleiben und dort einen ausgezeichneten Ruf zu bewahren. Unter anderen auch, weil man ein eigenes Blue Tomato Team aufgebaut hat, dessen "Teamrider" im Snoboard-, Freeski- und Skate-Zirkus zu den Big Shots zählen.
Exit auf Raten
Finanziert wurde die Filiale allerdings bereits vom amerikanischen Action Sports Retailer Zumiez, der in den USA und Kanada über 600 Filialen betreibt. An den hat Schuller das von ihm gegründete Unternehmen im Sommer 2012 verkauft. Und dafür die kolportierte Summe von 82 Millionen Euro erhalten.
Die Summe setzte sich laut der Mitteilung des börsennotierten US-Sporthändlers aus einem Kaufpreis von 59,5 Millionen Euro und weiteren 22,1 Millionen Euro in den drei Folgejahren fälligen Zahlungen zusammen, die allerdings an bestimmte Wachstums- und Performance-Bedingungen geknüpft waren.
Schuller blieb bis jetzt gemeinsam mit dem von Zumiez gestellten Miles Brooks Geschäftsführer. Nun gab der Firmengründer, der im Jahr 2017 seinen 50. Geburtstag feiert, bekannt, dass er sich aus der Geschäftsführung des Unternehmens zurückzieht. Seine Rolle als CEO übernimmt Adam Ellis, der seit mehr als zehn Jahren bei Zumiez arbeitet und dort bisher für die Internationalisierung und neue Konzepte verantwortlich war.
Schuller selbst wird in Zukunft nur noch als strategischer Berater tätig sein, sich aber hauptsächlich den angenehmen Seiten des Lebens widmen. "Für mich persönlich bedeutet dieser Schritt vor allem mehr Zeit für Reisen, Surfen, Snowboarden, Segeln, Berge, Meer - und vor allem meine Familie und Freunde”, erklärt er.