trend: Sie sprechen offen darüber, dass Sie süchtig nach Schlafmittel waren. Welche Reaktionen hat das nach sich gezogen?
Carsten Maschmeyer: Am Wochenende, bevor mein Buch erschien, in dem ich das auch thematisiere, informierte ich Freunde und Geschäftspartner. Sofort kam enorm positives Feedback. Viele bedankten sich dafür, dass ich offen darüber berichte. Einige erzählten von ihren eigenen Suchterfahrungen. Das Echo reißt bisher nicht ab.
Ihre Suchterfahrung liegt über zehn Jahre zurück. Warum wollten Sie jetzt darüber berichten?
Diese Erfahrung war mit Abstand der größte Rückschlag meines Lebens. Ich war aus einer Arbeitssucht in ein Burn-out und daraufhin in eine Tablettensucht geraten. Eine Sucht übrigens, die auch damit zu tun hat, dass es sehr wenig Aufklärung über Wirkung und Nebeneffekte dieser unzähligen Präparate gibt, die wir lapidar Schlafmittel nennen. Ich möchte, dass diese Erkrankung kein Stigma mehr ist.
Warum?
Weil psychische Erkrankungen so viele Menschen betreffen. Es wird geschätzt, dass weltweit rund 300 Millionen Menschen an Angsterkrankungen leiden. Das ist ein Problem, das sich nicht ignorieren lässt. Ich habe es erst viel zu spät gemerkt. Am Anfang konnte ich einfach nicht einschlafen.
Ihr Hausarzt hat Ihnen daraufhin Schlafmittel verschrieben?
Statt verstehen zu wollen, was eigentlich bei mir los ist, sagte er: "Kein Problem, wenn du nicht einschlafen kannst, nimmst du eben eine Schlaftablette." Er hat davor gewarnt, nicht zu viele zu nehmen, aber das war es dann auch. Doch dein Körper gewöhnt sich daran. Du musst die Dosis erhöhen, um die Wirkung zu bekommen, die du brauchst. Ich geriet in diesen Teufelskreis, der als Nebenwirkung übrigens Depressionen hat.
Sie leiteten damals den Finanzdienstleister AWD. War Stress der Auslöser des Ganzen?
Ich machte damals viele Fehler, wie sie ganz typisch für Firmengründer sind. Ich arbeitete 18 Stunden am Tag. Ich delegierte nicht klug , priorisierte nicht mehr. Wenn aber alles wichtig ist, bist du es selbst nicht mehr, und dann kannst du irgendwann nicht mehr schlafen.
Führte das auch zu falschen Entscheidungen?
Nein, denn während meiner Zeit bei AWD nahm ich die Schlafmittel nur zum Einschlafen. In die wirklich schwere Sucht schlitterte ich viel später, als ich nicht mehr im Unternehmen tätig war. Das ist ja das Traurige: Ich hatte AWD verkauft und dachte, jetzt ist der Termindruck weg, jetzt sind die Erwartungen der Aktionäre weg, jetzt kann ich entspannter sein.
Warum war das nicht so?
Weil ich keinen Plan für dieses Danach hatte, und das ist auch etwas, das ich den Start-up-Gründern rate: Wenn ihr es auf einen Exit anlegt, dann braucht ihr auch einen Plan für die Zeit danach. Sonst lauert da ein gigantisches Loch. Bei mir kam hinzu, dass sich damals meine Frau von mir trennte und mit den Kindern wegzog. Ohne diese private Krise wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.
Kann man eine Unternehmensgründung ohne die komplette Selbstaufgabe angehen?
Es ist völlig klar, dass es Phasen gibt, in denen man mal wochenlang durcharbeitet. Doch als Dauerzustand ist das falsch. Gerade in der Start-up-Welt werden deshalb aber auch aufputschende Mittel genommen.
Sie sprechen von Drogen?
Die gibt es sicher auch, allerdings nicht dort, wo ich Einblick habe. Ich meine eher aufputschende Getränke, die morgens und tagsüber die Leistungsfähigkeit erhöhen sollen. Abends braucht es dann etwas zum Runterkommen. Das ist alles falsch.
Was empfehlen Sie stattdessen?
Die beste Lösung liegt darin, das richtige Team einzustellen und dann zu delegieren. Zeitmanagement und Prioritätensetzung sind jene Dinge, die Gründer sehr schnell lernen müssen. Wer alles selbst machen will, macht alles immer nur schlimmer, weil er selbst dann noch, wenn alles schiefgeht, glaubt, er müsse halt einfach nur noch mehr arbeiten.
Sie waren Ende vierzig, als Sie ins Burnout schlitterten. Haben Sie gewusst, dass es anderen Managern auch so geht?
Ich habe es geahnt, und die Reaktionen, die ich jetzt bekomme, geben mir recht. Ich habe daraufhin auch einigen Menschen empfohlen, sich professionelle psychiatrische Hilfe zu holen. Ich habe auch Gründerinnen und Gründern, in deren Firmen wir investiert haben, einen längeren Urlaub nahegelegt.
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Und die haben nicht beleidigt noch mehr gearbeitet?
Meine eigene Geschichte verschafft in solchen Situationen nun eine andere Vertrauensbasis. Ich schule Gründerinnen und Gründer heute nicht nur darin, wie sie zu besseren Innovationen kommen und ihre Teams gut und motivierend führen, sondern auch darin, wie sie sich selbst schützen. Sie brauchen Pausen, Zeit mit Familie und Freunden, genug Schlaf, eine gesunde Ernährung und vielleicht auch Sport.
Was hätten Sie als 30-Jähriger geantwortet, wenn Ihnen das ein über 60-Jähriger empfohlen hätte?
Wäre ich heute 30, wäre ich offener, weil ich vieles über Mental Health zu lesen bekommen würde, weil das Thema präsenter ist. Vor 30 Jahren hätte ich wohl gesagt: "Mach du es dir ruhig gemütlich, aber ich lebe mein Powerleben." Es ist einfach eine andere Zeit. Als ich mit circa 40 zum ersten Mal vom Konzept Work-Life-Balance hörte, dachte ich mir:"Was für Weicheier." Ich merkte nicht, dass ich geschäftlich erfolgreich war, aber persönlich auf einem sehr unerfolgreichen Weg.
Deshalb leben Sie heute selbst anders?
Ich achte auf etwas, das man Schlafhygiene nennt. Es geht ja darum, ausgeschlafen aufzuwachen, und das Aufwachen beginnt mit dem Einschlafen. Ich mache abends Sport zum Runterkommen, esse nicht mehr spät abends und trinke nur selten Alkohol. Eine Stunde vor dem Einschlafen drehe ich alles Digitale ab, auch wenn das manchmal hart ist. Dann lese ich einen Roman, gehe also in eine ganz andere Welt, um dann bei 18 Grad und in völliger Dunkelheit einzuschlafen.
Das passt so gar nicht zu Ihrer Aufstiegsgeschichte, zum ehemaligen Leistungssportler, der sich immer weiter pushte.
Ich war Mittel- und Langstreckenläufer und konnte nur besser werden, wenn ich öfter und härter trainierte. Als Jugendlicher saß ich an der Supermarktkasse, da bekam ich dann mehr Geld, wenn ich den ganzen Tag und auch am Samstag dort saß. Während meines Medizinstudiums war ich Versicherungsverkäufer: Je öfter man Kunden trifft und erfolgreich berät, umso mehr verdient man. Noch heute herrscht oft das Missverständnis, dass es um den Einsatz von Zeit geht und nicht um das Ergebnis. Es ist genau andersherum. Im Fußball geht es ja auch um Tore und nicht um gelaufene Kilometer.
Wie kann man lernen, das zu erkennen?
Man muss es einfach verstehen und darf auch nicht dem alten Irrtum unterliegen, zu glauben, dass genau die zehn Stunden am Sonntag jene sind, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Haben die Pandemie und in ihrer Folge das Homeoffice da nicht einiges in Bewegung gebracht?
Einerseits ja, denn wir kommen mehr in die Richtung, dass die Ergebnisse zählen und nicht der Zeiteinsatz. Aber durch all die neuen Möglichkeiten, wie man seine Arbeitszeit einteilt, kommt es auch zu einer Vermischung, die zu neuen Problemen und Überlastungen führen kann, wenn sich alles vermischt und man überhaupt nicht mehr abschalten kann.
Auch Sie haben das Abschalten erst lernen müssen?
Ich checke am Sonntag keine Nachrichten. Seit ich das so handhabe, bekomme ich sonntags auch nur mehr ein, zwei Nachrichten, die kann ich dann locker am Montag beantworten.
Raten Sie das auch in Ihrer Funktion als Investor?
Ich rate ihnen zu Auszeiten. Ich schau mir Gründungsteams mittlerweile übrigens auch mental an.
Inwiefern?
Ich glaube, dass die Qualität eines Geschäftsmodells wesentlich mit der Qualität der Geschäftsführer zusammenhängt. Natürlich muss das Produkt gut sein, es muss Bedürfnisse von Menschen erreichen und gut funktionieren. Aber mir geht es auch darum, ob bei den Gründern Mut da ist, Optimismus, Aufbruchstimmung, aber eben auch Selbstreflexion und das Bewusstsein dafür, dass man einen guten Ausgleich braucht. Ich habe die Geisteshaltung und Lebenseinstellung von Gründungsteams oft schon viel besser verstanden, nachdem ich sie gemeinsam mit ihrem jeweiligen Partner oder Partnerin zum Essen eingeladen hatte.
Weil man in einem nicht rein beruflichen Zusammenhang besser versteht, wie jemand tickt?
Weil ich glaube, dass sich das Private auf das Geschäftliche überträgt und umgekehrt. Deshalb ist mir auch eine gute Arbeitskultur, ein gutes Klima sehr wichtig. Das ist immer auch gesundheitsfördernd.
Nach wie vor ist es in Unternehmen aber sehr selten, dass Menschen offen über psychische Erkrankungen sprechen. Muss sich das ändern?
Wenn eine Führungskraft einen Mitarbeiter, der unter einer psychischen Erkrankung leidet, nicht einfühlsam behandelt, ist das ein Alarmsignal. Es muss ja klar sein, dass das gerade für Firmen sehr gefährliche Erkrankungen sind. Ein Armbruch heilt schnell wieder, aber jemand, der psychisch erkrankt, fällt oft über Monate aus. Es ist also im Interesse von Unternehmen, diese Krankheiten als solche schnell ernst zu nehmen. Das Management ist gefordert, aktiv zu beobachten, ob und wie Menschen gefährdet sind, und dann gut zu reagieren.
Gerade in Unternehmenskulturen, wo es vor allem um Leistung und Wettbewerb geht, ist das doch schwierig?
Wir müssen lernen, zu erkennen, dass so jemand krank ist und nicht faul oder schwach. Unternehmen und Manager müssen sich darauf einstellen und dem vorbeugen. Da herrscht heute übrigens schon sehr viel mehr Offenheit und Wissen vor, als das 2010, zum Höhepunkt meiner Suchterkrankung, der Fall war.
Was hilft bei diesem Prozess?
Wenn Prinz Harrys Depressionen in die Medien geraten und der Sportdirektor von Mönchengladbach mit seiner Erkrankung Fußballbegeisterte erreicht, dann tut sich schon etwas. Es hilft, wenn prominente Menschen diese vermeintlichen Schwächen eingestehen.
Unter Managern kommt das dennoch so gut wie gar nicht vor, dabei zeigen einige Umfragen, dass auch sie während der Pandemie psychisch stark belastet waren. Einige fühlten sich mit ihren Entscheidungen noch einsamer als sonst.
Dann müssen sie umdenken. Die meisten Menschen in einem Unternehmen freuen sich, wenn die Geschäftsführer sie um Rat fragen. Das eigene Team ist oft der beste Berater. Wenn es aufgrund von Homeoffice und anderen Verschiebungen nicht mehr leicht möglich ist, die Leute zu erreichen, dann muss ich mir eben etwas anderes überlegen und dafür sorgen, dass das Umfeld für gute, kreative Prozesse erhalten bleibt.
Hat die Pandemie uns eigentlich alle risikoaverser gemacht?
In Krisenzeiten suchen Menschen nach Sicherheit, aber hier entsteht immer auch Neues. Nach der Finanzkrise wurde viel erfunden, um etwas dazuzuverdienen, zum Beispiel mit Airbnb oder Uber. Zum Glück wollen ja viele junge Menschen auch heute noch etwas Tolles gründen.
ZUR PERSON
Carsten Maschmeyer, geb. 1959, baute den Finanzdienstleister AWD auf, aus dem er 2009 ausstieg. Heute ist er als Investor aktiv und in Deutschland in der Start-up-Show "Höhle der Löwen" präsent. Zu seinen Investitionen zählen auch Brain Health in München und Modern Health in San Francisco, die sich beide mit dem Thema mentale Gesundheit befassen.
BUCHTIPP
Carsten Maschmeyer über den ultimativen Weg zum Erfolg: Die meisten Menschen streben nach Erfolg. Doch wie erlangt man persönliches Glück, energievolle Gesundheit, finanzielle Unabhängigkeit und ein erfülltes Leben in einer Welt, die sich in einem radikalen Umbruch befindet? Die Antwort ist - so Maschmeyer - einfach: indem man sich auf die Veränderung einlässt. Und ein Teil von ihr wird!
In seinem Buch zeigt Maschmeyer auf, wie es jedem Menschen mithilfe der »Philosophie der Veränderung« gelingen kann, seine Träume endlich zu verwirklichen. Wie aus jeder Krise auch eine Chance werden kann. Dabei gibt Maschmeyer auch tiefe Einblicke in sein eigenes Leben und macht erstmalig öffentlich, mit welchen schweren Rück- und Schicksalsschlägen er selbst zu kämpfen hatte. Er zeigt auf, wie jeder alles ändern kann.
- CARSTEN MASCHMEYER
- Die sechs Elemente des Erfolgs
- Finanzbuch, 304 Seiten, 22,70 Euro.
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Das Interview mit Carsten Maschmeyer zuerst in der trend. EDITION vom April 2022 veröffentlicht.
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