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„Tu felix Austria, reguliere!“

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BUSINESS-TALK beim fünften CEO-Panel von Schindler Attorneys und trend: Robert Zadrazil (UniCredit), Iris Ortner (IGO Industries, Porr), Andreas Lampl (trend), Patricia Neumann (Siemens), Hartwig Löger (VIG), Reinhard Wolf (RWA) und Anwalt Clemens Schindler (v.l.n.r.).

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Unternehmenslenker:innen fanden beim CEO-PANEL von Schindler Attorneys und trend klare Worte zu Chancen und Problemen des Wirtschaftsstandorts. Eine Debatte über Leistung, Produktivität, Innovation, Staatsfinanzen, grüne Technologien und Regulierung.

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Nach der Rezession im Jahr 2023 erwarten die Experten für Österreich heuer ein reales Wirtschaftswachstum von lediglich 0,2 Prozent. Gemeinsam mit Deutschland liegen wir damit sogar in der EU am untersten Ende. Ganz zu schweigen vom Vergleich mit Asien oder den USA.

Noch mehr Grund zu Sorge gibt, dass die Produktivität hierzulande in den letzten Quartalen gesunken ist, besonders stark in der Industrie. Laut dem Index der Statistik Austria fiel die Produktivität je geleistete Arbeitsstunde zwischen Anfang 2023 und Jänner 2024 um sechs Prozent. Österreich verzeichnete mit die höchsten Lohnabschlüsse in Europa – und hat bei den Arbeitskosten mittlerweile Deutschland überholt. Die Inflation ist noch immer fast doppelt so hoch wie im Eurozonenschnitt. In der Folge verlagern heimische Unternehmen Investitionen in zunehmendem Maße ins Ausland. Umgekehrt gehen die ausländischen Nettoinvestitionen in Österreich spürbar zurück. Was dem Standort kein gutes Zeugnis ausstellt.

Ob Anzeichen für eine Erholung der Wirtschaft wenigstens absehbar sind und wie sich ein Aufwärtstrend beschleunigen ließe, stand deshalb im Mittelpunkt des fünften CEO-Panels, das die Wirtschaftsanwaltskanzlei Schindler Attorneys zusammen mit dem trend Ende April veranstaltete. Fünf heimische Unternehmenslenker:innen aus unterschiedlichen Branchen stellten sich der Diskussion.

Man war um einen einigermaßen positiven Blick bemüht – jedoch nicht ohne auch handfeste Kritik an diversen Entwicklungen im eigenen Land und in Europa zu üben.

Wird zu wenig gearbeitet?

Am Beginn stand die Frage der 41-Stunden-Woche in Österreich. „Der Vorschlag der Industriellenvereinigung stößt eine wichtige Debatte an“, meint dazu Iris Ortner, Miteigentümerin der IGO-Industries-Gruppe und Aufsichtsratspräsidentin des Baukonzerns Porr. „Denn Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit lassen sich nur bewahren, wenn wir die Produktivität steigern und den Leistungsgedanken stärken. Ich sehe die Herausforderung aber eher darin, die Mitarbeitenden zur Aufstockung auf Vollzeitarbeit zu motivieren.“ Die Politik ist gefragt: „In Österreich wird Vollzeit kaum belohnt, während Teilzeitarbeit begünstigt ist.“

Der frühere Finanzminister und jetzige CEO der Vienna Insurance Group Hartwig Löger merkt an, „dass die Menschen immer mehr Leistung beziehen wollen. Wir müssen stärker darauf hinweisen, dass Leistung auch etwas ist, das erbracht werden muss. Der Staat ist halt kein Bankomat, wo man ewig nur abhebt. Dahinter muss es ein Konto geben, auf das eingezahlt wird.“ Da seien auch die Medien in der Pflicht. „Wenn ich auf Ö3 Montagfrüh höre, dass der Frei-Tag nur mehr vier Tage entfernt ist, halte ich das nicht für förderlich.“

Löger: „Wenn man durch wenig Arbeit trotzdem viel beziehen kann und das noch politisch unterstützt wird, führt das à la longue zu einer Schieflage. Klarerweise sind die Menschen leichter motivierbar für die Story einer 32-Stunden-Woche bei gleichem Lohn als in die andere Richtung. Diese populistische Diskussion ist allerdings brandgefährlich.“

Reportingpflichten erinnern mich an Helmut Qualtinger: Ich weiß nicht, wo ich hinfahre, dafür bin ich schneller dort.

Iris OrtnerGeschäftsführerin IGO Industries
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Iris Ortner, Gesellschafterin IGO Industries

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Gegen ein Bashing der angeblich zu faulen jungen Generation wendet sich der Chef der Raiffeisen Ware Austria (RWA), Reinhard Wolf: „Wir haben auch unglaublich engagierte, toll ausgebildete und hoch leistungsbereite junge Leute. Also bitte schauen wir eher auf die Älteren, die nicht bereit sind, die längere Lebenserwartung mit mehr Arbeit zu kompensieren.“ Auch jene, die bereit wären, tun es oft nicht, ergänzt Löger: „Ich habe Bekannte, die in Pension sind und gerne noch arbeiten würden. Nur haben wir leider ein System, das es ihnen verleidet, weil auf Netto-Basis wenig übrig bleibt.“

Dass gut ausgebildete Facharbeiter schwer zu finden sind, ist für Wolf nicht nur eine Frage der Bereitschaft zu arbeiten, „sondern auch ein Resultat unseres Bildungssystems. Wir haben viele Menschen durch ein fragwürdiges Matura-System getrieben. Jene, die sich in das Sozialsystem zurückfallen lassen, gehören üblicherweise nicht zu den gut ausgebildeten Handwerkern.“

Für Siemens-Generaldirektorin Patricia Neumann geht es auch darum, „den Zuzug und eine gesunde Migration zu fördern. Bei Siemens sind die über 9.000 Arbeitsplätze in Österreich mit Leuten aus 37 Nationen besetzt. Mir ist bewusst, dass wir uns da leichter tun als kleinere Betriebe, selbstverständlich ist es trotzdem nicht. Die Rot-Weiß-Rot-Karte könnte besser und unbürokratischer funktionieren. Aber Unternehmen sollten auch vor der eigenen Tür kehren. Sie haben ein Stück weit Vorbildfunktion.“ Und: Für Zukunftsthemen wie E-Mobilität seien die Jungen sehr wohl zu begeistern.

Der vielerorts ausgedrückten Sorge, dass Österreich zu wenig attraktiv für junge Talente ist, widersprich Robert Zadrazil, bis vor Kurzem Bank-Austria-CEO und jetzt für die UniCredit der Country Manager in Österreich: „Es stimmt nicht, dass alle nach London, Lissabon oder Berlin gehen. In der UniCredit-Gruppe ist es eher so, dass viele nach Wien wollen und keiner mehr wegwill. Nicht nur wegen der Lebensqualität, sondern auch weil wir frühzeitig ein Vorreiter in Sachen Flexibilität waren. Wir haben z. B. eine Art Taskforce mit jungen Leuten, die sich von Artificial Intelligence bis zum Metaverse alles anschauen, was in der Welt so passiert – und die Märkte nach Use Cases für das Unternehmen screenen.“

Wir müssen gesunde Migration fördern. Da haben Unternehmen auch vor der eigenen Tür zu kehren.

Patricia NeumannVorstandsvorsitzende Siemens AG Österreich
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Patricia Neumann, Generaldirektorin Siemens

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Investitionsbremsen

Die Beurteilung der Entwicklung in der produzierenden Wirtschaft fällt verhalten aus. „Was kostet die Ressource Arbeitskraft, was kostet die Energie an unseren Standorten?“, stellt Neumann Fragen, „die wehtun – und auf die wir Antworten brauchen. Ein Unternehmen kann nicht dafür sorgen, die Inflation in Österreich oder die Energiepreise runterzukriegen. Da kann ich nur an die Stakeholder appellieren, dass sie etwas ändern.“ Versöhnlicher Nachsatz: „Sehr wohl können wir aber technologisch viel vorantreiben.“

Darüber hinaus plädiert die Siemens-Chefin dafür, mehr Awareness für die Relevanz der Industrie im Land zu schaffen: „Und das fängt bei der Schulbildung an, wo Unternehmertum und Wirtschaft nicht in dem Ausmaß eine Rolle spielen, wie es sein sollte. Von der nächsten Regierung würde ich mir dahingehend etwas wünschen.“

Besonders unerfreulich ist die Lage der Baubranche, wie Iris Ortner einräumt: „Der Bausektor steckt aufgrund hoher Kredit- und gestiegener Materialkosten in einer Krise. Besonders der Wohnbau liegt dramatisch am Boden. Im Industrie- und Anlagenbau verlangsamen sich die Auftragseingänge, die massiven Kostensteigerungen bremsen die Investitionen der Wirtschaft. Unsere Industriegruppe ist in der Gebäudetechnik jedoch vor allem auf technisch sehr anspruchsvolle, große Projekte spezialisiert, die weiterhin realisiert werden. In Branchen wie Pharma, Mikroelektronik und E-Mobilität entstehen immer noch spannende Projekte.“

Davon profitiert seine RWA nicht, bedauert RWA-Manager Wolf: „Wir als mit Abstand Österreichs größter Baustoffhändler liegen derzeit nominell um etwa 20 Prozent unter 2019, trotz Inflation. Im Unterschied zum großvolumigen Bau sind der Einfamilienhausbau und andere kleinere Projekte in Richtung null gewandert. Das hat zum einen sachliche Gründe. Es liegt aber auch an der Stimmung. Es wäre wichtig, den Leuten in diesem Land wieder mehr Mut zu machen. Und wir brauchen dringend das angekündigte Förderpaket der Regierung für den Wohnbau. Egal, ob das über die Zinsen geht, über den Wegfall von Gebühren oder sonst was – es muss nur schnell gehen.“

Bei den Banken hat sich das normale Volumen an privaten Hypothekarkrediten laut Zadrazil auf „weit unter eine Milliarde Euro pro Monat mehr als halbiert. Die KIM-Verordnung der FMA hat sich da schon sehr massiv ausgewirkt. Auch aufseiten der Firmenkunden ist die Dynamik bei Bauinvestitionen vollkommen weg.“ In Summe sei die Qualität im Bereich Kommerzkredite trotz schwacher Entwicklung der Volkswirtschaft allerdings immer noch hoch und kein Grund zur Sorge.

Banken müssen die Industrie bei der Transformation begleiten. Wird das verboten, machen es chinesische Institute.

Robert ZadrazilCountry Manager UniCredit Bank Austria
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Robert Zadrazil, Topmanager UniCredit

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Weniger ausgeben

Für die Erhöhung der Standortqualität werden unisono Entlastungen für Unternehmen und für den Faktor Arbeit gefordert. „Wir sollten weniger über neue Steuern und deren Verteilung reden. Wir haben in Österreich kein Einnahmenthema“, betont Hartwig Löger. „Reden sollten wir über Ausgaben. In meiner Amtszeit haben wir eine Finanzverwaltungsreform gemacht, die substanzielle Effizienzsteigerung gebracht hat. Meine damals naive Idee war, das könnte ein Vorbild für andere Verwaltungsbereiche werden. Aber die haben sich alle weggeduckt. Dabei wäre ausgabenmäßig noch viel zu holen, um mehr Mittel konstruktiv für Innovation und Infrastruktur einsetzen zu können. Ich sehe genug Handlungsspielraum für weitere Entlastungselemente.

Ein zentraler Punkt in diesem Zusammenhang ist für Löger das Rentensystem. „Im Jahr 2030 wird ein Drittel des Budgets für die Pensionen aufgewendet. Das schreit nach Reformen, auch wenn es politisch noch so schwer ist, sie umzusetzen, zumal die Zielgruppe der Pensionistinnen und Pensionisten durch die Demografie immer breiter wird. So entsteht eine systemische Blockade. Die Politik hat vor diesem Thema mehr Angst als vor jedem anderen. Derzeit sehe ich keine Partei in Österreich, die Kraft und den Willen hat, das ernsthaft anzugehen. Aber wir fahren da im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Wand.“

Die oft in Analysen vertretene Ansicht, dass Europa auch den Anschluss bei Schlüsseltechnologien verliert, sieht man in heimischen Führungsebenen differenziert. „Künstliche Intelligenz z. B. ist in den USA auf die Konsumenten ausgerichtet“, sagt Patricia Neumann. „Sie hilft, die Suche nach Reisen, Kleidung, Essen etc. zu optimieren. In Asien wird KI u. a. für Social Scoring eingesetzt, was wir nicht wollen. KI in Europa hat hingegen die Chance, dass wir damit unsere Industrie stärken und unsere Forschung. Bei der generativen KI haben wir wahrscheinlich den Anschluss verloren, auf den großen Datenmengen sitzen die Amerikaner. Aber ich halte Anwendungen, die ich auf die KI draufsetze, für wichtiger. Für mich ist sie eine Art Betriebssystem, auf dem Europäer industrielle Innovationen entwickeln können. Darum sehe ich kein verlorenes Rennen, sondern echte Chancen.“

UniCredit-Mann Zadrazil pflichtet bei: „Europa ist nicht weniger innovativ als Amerika oder andere. Wir haben einen gewissen Digitalisierungsrückstand, und bei manchen Schlüsseltechnologien sind die USA besser. Aber die österreichische Wirtschaftsstruktur ist trotzdem gut aufgestellt, wenn man sich ansieht, wie diversifiziert wir sind, wie viele Champions wir haben.“

Die Politik hat vor dem Thema Pensionen mehr Angst als vor jedem anderen. Wir fahren da gegen die Wand.

Hartwig LögerCEO Vienna Insurance Group
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VIG-CEO Hartwig Löger

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Dilemma des Green Deals

Wie schon bei vergangenen CEO-Panels nahmen grüne Transformation und (Über-)Regulierung auch in diesem Jahr breiten Raum ein – die beiden Materien treiben die Debatten innerhalb der Business-Community.

Reinhard Wolf äußert sich besonders dezidiert: „Ich glaube, dass man in der Energiewende dringend eine Korrekturschleife braucht. Die vermeintliche Vorreiterrolle Europas wird uns am Ende des Tages sehr, sehr teuer kommen. In einigen Bereichen werden dramatische Weichenstellungen gesetzt, die unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig belasten. Alle reden vom Netzausbau, aber die Netzkosten werden sich verdoppeln – und 20 oder 30 Milliarden an Investitionen über 25 Jahre abzubezahlen sein. Man müsste ein wenig Tempo herausnehmen. Wir können die Welt nicht in drei Tagen retten. Das klingt vielleicht nicht so sympathisch, aber die Diskussion über wirtschaftspolitische Strategien sollte man zügig führen.“

Familienunternehmerin Ortner stößt sich mehr am Regulatorischen: „Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr grüne Transformation. Der europäischen Industrie wird durch immer komplexere Auflagen sowie Reportingpflichten die Lebensader abgeschnitten. Aus den vier Grundfreiheiten sind 40.000 Regulierungen geworden. Europa sollte das Ziel vorgeben, sich aber nicht zu sehr in Details einmischen. Börsennotierte Unternehmen sind ab 2024 dazu verpflichtet, über 1.000 Datenpunkte zu berichten. Die Prüfer werden an der Sache gut verdienen, die Gebäude werden dadurch nicht grüner. Außerdem weiß noch keiner, was wir eigentlich liefern sollen. Das erinnert an Helmut Qualtinger: Ich weiß zwar nicht, wo ich hinfahre, aber dafür bin ich schneller dort.

Ortner würde den Ansatz der USA bevorzugen: „Dort wird mit enormen Investitionsanreizen die grüne Transformation vorangetrieben. Keiner schreibt vor, wann und wie welche Heizung getauscht werden muss. Es wird aber so gefördert, dass sich Bürger und Unternehmen für eine grüne Energieform entscheiden. Auch bei uns setzt der Markt bereits die richtigen Akzente. Ein Gebäude, das nachhaltig gebaut ist und im Betrieb Energie spart, lässt sich deutlich leichter vermieten, unabhängig von politischen Grundsatzdiskussionen oder Zertifikaten. Wir kamen etwa beim größten Mediencampus Europas, dem von Sat.1/Pro7 in München, zum Zug, weil wir mit einer technischen Lösung für die Energierückgewinnung in der Lüftungstechnik sorgen.“

VIG-CEO Löger nimmt die oft kontraproduktive Verbotskultur der EU aufs Korn und nennt die Kohlekraftwerke, die vor allem in Zentral- und Osteuropa noch immer notwendig seien, bis die völlige Transformation gelingt. Für die Zwischenphase müssten sie technisch aufgerüstet werden. „Wir Versicherer können diese Verbesserungen wegen der auferlegten Verbote aber nicht aktiv unterstützen – mit der Konsequenz, dass chinesische Anbieter jetzt die Kohlekraftwerke ohne jede Auflage versichern, weil es ihnen egal ist und weil sie auch kein Verbot aus Brüssel haben. Damit verkehrt sich das, was erreicht werden soll, ins genaue Gegenteil.Lögers Fazit: „Wir brauchen auf breiter Basis Investitionen in Innovation und Infrastruktur. Modelle wie Innovationsprämien und auch Steueranreize halte ich für die besten Impulse, um das zu erreichen.

Das Argument, dass sich die USA durch ihren starken Kapitalmarkt dabei leichter tun als die Europäer, lässt Robert Zadrazil nicht gelten: „Am Geld liegt es nicht. Laut offiziellen Zahlen brauchen wir bis 2030 knapp 145 Milliarden Euro, um unsere Klimaziele zu erreichen. Dieses Volumen würden die österreichischen Banken schon verkraften. Trotzdem wäre ein stärkerer Mix in der Finanzierung wie in den USA sicher kein Fehler.“

Der Banker beklagt ebenfalls, dass sein Unternehmen kritisiert wird, wenn es die Aufrüstung von mit Braunkohle betriebenen Anlagen in Bosnien finanziert. „Wir sollten ein bisschen mehr Logik einsetzen. Es dauert halt manchmal länger, aus Braun Grün zu machen. Genau diesen Prozess der Energiewende muss die Finanzindustrie begleiten, indem sie Gelder systematisch lenkt. Aber wenn wir einfach den Stecker ziehen, dann macht es wer anderer.“ Meistens eine chinesische Bank.

Der Mittelständler kann nicht einfach zusammenpacken und mit Teilen seines Unternehmens woandershin gehen.

Reinhard WolfGeneraldirektor Raiffeisen Ware Austria
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Rainhard Wolf, Generaldirektor Raiffeisen Ware Austria

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Strangulierung

Dass speziell Österreich häufig auch noch oft übers Ziel hinausschießt, merkt Siemens-Topmanagerin Neumann an: „Am Beispiel der NIS2-Richtlinie zu Cybersicherheit lässt sich gut erkennen, dass die Gesetzgeber in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich damit umgehen. Unsere Aufgabe wäre, zu sagen, auch wenn Brüssel was falsch macht, dann machen wir zumindest das Richtige in Österreich. Leider sehe ich manchmal das Gegenteil – Stichwort Gold Plating.“ 71 Prozent der heimischen Unternehmer würden deswegen die Regulierung durch die EU als besonders belastend empfinden, berichtet Robert Zadrazil: „In Dänemark sehen das weniger als 30 Prozent so, obwohl das Regelwerk das gleiche ist. Es hängt also auch davon ab, wie man damit umgeht. Und in Österreich sind wir da oft ein bisschen überpenibel. ‚Tu felix Austria, reguliere!‘ wäre die passende Abwandlung eines berühmten Zitats.

Regulierung ist notwendig. Wir haben jedoch in Europa inzwischen nahezu eine Strangulierung“, lautet ein Resümee von Hartwig Löger, das er mit einem Beispiel untermauert: Es brauchte drei ECOFIN-Sitzungen mit 27 Finanz- und Wirtschaftsminister:innen Europas, eine Diskussion im EU-Parlament und eine anschließende Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten, bevor man sich auf erlaubte 50 Liter Hausbrand (eigenproduzierter Schnaps, Anm.) pro Jahr einigte. Dass Europa nicht realisiere, um welche Prioritäten es wirklich geht, sei „teilweise ein Irrsinn“.

Mit Blick auf Österreich schießt sich der Ex-Politiker Löger auf den Streit über die Inflationstreiber ein: „Die Diskussion, ob es eine Lohn-Preis- oder die Preis-Lohn-Spirale ist, halte ich für sinnlos. Beides geht in dieselbe Richtung. Die Sozialpartnerschaft muss einen Weg finden, wie man das in den Griff bekommt. Die Erhöhungen auf Beamtenebene und bei den Pensionen waren fatale Signale. Das kostet die Volkswirtschaft Substanz, die langfristig fehlt. Wenn wir keinen Weg finden, wie man gemeinsam aus dem Dilemma herauskommt, und stattdessen aufeinander losgehen, wird das nicht gut enden.

Eine mögliche Folge: „Ich kenne einige Fälle großer und namhafter österreichischer Firmen, großteils Hidden Champions, die jetzt ihre Investitionsentscheidungen außerhalb Österreichs setzen. Beispielhaft in Kroatien oder in Ungarn, das sind leider die Fakten.“ Die Wahrnehmung von Robert Zadrazil bestätigt das: „Auch wir sehen in den Diskussionen mit Unternehmern, dass genau das passiert. Seit 2019 verliert Österreich jedes Jahr – innerhalb Europas – bei den Produktivitätsvergleichen.“ Die Lohnstückkosten seien hierzulande im Vergleich zum Euroraum um rund 50 Prozent stärker gestiegen.

Hauptleidtragender wird der Mittelstand sein, davon ist Reinhard Wolf überzeugt: „Anders als die Großindustrie oder multinationale Konzerne kann der Mittelständler – egal ob genossenschaftlich organisiert oder in einer Familie – nicht zusammenpacken und mit Teilen woandershin gehen. Das sind die Unternehmen, die am Ende des Tages die Rechnung bezahlen werden, weil ihnen Kosten und Bürokratie die Luft abschnüren. Ich sage offen: Wir sind in manchen Bereichen der Landwirtschaft ein Nutznießer davon, weil viele unserer Wettbewerber aus dem Mittelstand in den letzten Jahren die Regularien nicht mehr umsetzen konnten: aktuell etwa die Deforestation Regulation. Ich kenne eine lange Liste von Wettbewerbern, die es deshalb nicht mehr gibt. Ich weiß schon, wir brauchen manchmal sanften Druck, um die richtigen Dinge zu tun. Aber wir tendieren dazu, uns dabei selbst ein Bein zu stellen.

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