
Damit Mikroelektronikbauteile auch noch in 15 Jahren voll leistungsfähig sind, werden sie bei Marc van Laer und seinem Team Stresstests unterzogen.
©Trend/Lukas IlgnerMit dem geplanten Kauf der Autosparte von TTTech ist der holländische Halbleiter-Riese NXP in den Fokus gerückt. In der Steiermark beschäftigt das Technologieunternehmen mehr als 700 Forscher. Ein Besuch bei einem Autozulieferer der Zukunft.
Marc van Laer steuert zielsicher durch ein Meer aus Elektronikbauteilen und Messgeräten, fischt einen fingernagelgroßen Chip aus einer Schüssel und hält ihn stolz in die Luft: „Das Teil muss zehn bis 15 Jahre halten“, sagt der Holländer und grinst. Mit seinem Team ist er bei NXP dafür verantwortlich, dass „das Teil“ bei Temperaturen von minus 40 bis plus 125 Grad ebenso funktioniert wie bei schweren Erschütterungen. Es geht um Testen, Simulieren, Validieren.
Van Laer ist einer von 700 Mitarbeitenden von NXP in Gratkorn bei Graz, einem der unsichtbarsten Champions des Landes. Das Entwicklerunternehmen taucht in keinem einzigen Umsatzranking auf, weil es keine Endkundenumsätze macht. Daher ist es auch in keinem der Forschungsrankings zu finden, in denen üblicherweise die F&E-Ausgaben in Relation zum Umsatz gesetzt werden.
Dabei ist NXP, ein Konzern mit Hauptsitz in den Niederlanden, eine Weltnummer – auch in Gratkorn. Der ebenfalls dort ansässige Papierhersteller Sappi, für den die 8.000-Einwohner-Gemeinde bekannt ist, beschäftigt zwar mehr Leute, liefert aber weniger Kommunalsteuer ab, weil er im Schnitt niedrigere Gehälter zahlt. Mitten im Autozulieferer-Krisenland Steiermark, wo Magna & Co. schweren Verwerfungen ausgesetzt sind, weist NXP den Weg, wie man in dieser gebeutelten Branche erfolgreich sein kann.
Seit Jahresbeginn, als der nunmehrige Ex-Wirtschaftsminister Martin Kocher mit dem NXP-Management und mit TTTech-Chef Georg Kopetz den Verkauf von TTTech Auto an die Holländer bekannt gab, ist der Mutterkonzern auch in Österreich stärker sichtbar. Vor dem Closing des Deals, das in wenigen Monaten erwartet wird, ist zwar noch unklar, wie die beiden Hochtechnologieunternehmen zusammenspielen werden. Doch schon jetzt ist evident, dass in Gratkorn noch fokussierter an der Zukunft gebastelt wird.
High Performance
Wohin man blickt: Es wurlt im 2024 um einen sechsstöckigen Neubau mit 250 Büros erweiterten Komplex, in dem schon bald 800 Menschen beschäftigt sein sollen. Viel Labor, viel Internationalität: Die NXP-Truppe besteht zu 85 Prozent aus Akademikern. Wer sich in den Gemeinschaftsräumen aufhält, bekommt eine Idee, was es heißt, wenn die Mitarbeiter:innen aus 52 Nationen kommen. Die Stoßrichtung ist ebenso unbestritten international: Hier wird kontinuierlich an Entwicklungen getüftelt, die das Zeug haben, weltweit Furore zu machen.
Der nächste Knüller aus Gratkorn soll etwa eine Erweiterung des digitalen Autoschlüssels sein. Schon bisher hat es das Unternehmen geschafft, seine Marktführerschaft beim Thema Autozugang aus dem physischen in das digitale Zeitalter zu transferieren: Das Fahrzeug verbindet sich nun über Bluetooth automatisch mit dem Mobiltelefon des Besitzers und misst dann mit der Ultra-Wideband-Technologie (UWB) die Entfernung. Je nachdem, wie weit der Fahrer entfernt ist, können dann schon einmal Benutzerparameter wie Sitzeinstellung und Spiegel eingestellt werden. Ist er nur noch zwei Meter entfernt, öffnet sich das Fahrzeug.
Diese Technik soll nun aber auch eine Art Radar ermöglichen, mit der etwa der Herzschlag eines Kindes im Fahrzeug erkennbar ist. Diese in der Branche „Child Presence Detection“ genannte Funktion soll verhindern, dass das Fahrzeug versperrt wird, wenn sich noch ein Kind darin befindet. „Das ist eine Revolution“, trompetet Markus Stäblein, General Manager von NXP in Österreich. Im zweiten Halbjahr 2025 soll das erste Automodell mit dieser NXP-UWB-Radarfunktion auf den Markt kommen.
Die Chancen, dass die Innovation zu einem weltweiten kommerziellen Erfolg wird, sind intakt: Es gibt 43 Plattformen von Autobauern weltweit mit UWB. Auf 41 ist die NXP-Technologie vertreten.
Für einen Konzern, der die Hälfte seiner Umsätze in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro mit der Automobilindustrie erzielt, sind solche Neuerungen eine Überlebensversicherung. Grundsätzlich spielt die Transformation in Richtung eines Software-definierten Fahrzeugs Playern wie NXP jedoch in die Hände. Während die Neuwagenverkäufe in Europa stagnieren, braucht das Vehikel dennoch immer mehr Elektronik. „Der Halbleiter-Content in Fahrzeugen steigt jedes Jahr um acht bis zehn Prozent“, sagt Stäblein, und das nicht nur im Elektro-, sondern auch im Verbrennerauto.
Mit anderen Worten: Was auf der einen Seite womöglich verloren geht, wird auf der anderen aufgefangen.
In Österreich wurde NXP bis zum TTTech-Auto-Deal außerhalb von Fachkreisen bisher nur marginal wahrgenommen. Das hat auch mit der starken Präsenz von Infineon Österreich zu tun, dem mächtigen heimischen Ableger der deutschen Halbleitergröße, der hierzulande fast 6.000 Menschen beschäftigt. Dabei sind beide Unternehmen wesensverwandt. Infineon ist eine Abspaltung des Siemens-Konzerns und umsatzmäßig zwar etwas größer, an der Börse aber derzeit weniger wert als NXP, das aus dem holländischen Philips-Konzern hervorgegangen ist. Während Infineon in Kärnten auch produziert und mit seiner präsenten CEO Sabine Herlitschka viel zu Standortpolitik & Co. kommuniziert, ist NXP als reine Forscherbude eher leise. Um das zukunftsträchtige Geschäft mit Prozessoren für Künstliche-Intelligenz-Anwendungen, weltweit von Unternehmen wie Nvidia dominiert, rittern jedenfalls beide Europäer intensiv, beobachtet TTTech-CEO Kopetz.
Wall of Fame
Die Steirer warten schon jetzt mit Berühmtheiten auf. Etwa Franz Amtmann: Er ist an der „Wall of Fame“ im Gratkorner NXP-Gebäude, an der relevante Patente aus dem Haus verewigt sind, gleich mehrfach vertreten. Amtmann gilt als Co-Erfinder der NFC-Technologie, ohne die kontaktloses Bezahlen etwa an der Supermarktkassa kaum vorstellbar wäre. Der heute 62-Jährige kommt 23 Jahre nach Anmelden des Patents noch immer täglich ins Büro.
Ebenso von globaler Wirksamkeit ist Wolfgang Steinbauer, der nicht nur Technikchef der österreichischen NXP-Tochter ist, sondern von der Steiermark aus auch das weltweite Crypto- und Security-Center des Konzerns mit 340 Mitarbeiter:innen leitet. Ob bezahlte Hacker, erpresserische Berater oder echte Bösewichte – der Schutz vor unbefugtem Zugriff von außen ist das Um und Auf für die Vertrauenswürdigkeit von Technologien. Doch die Kosten, um solche Angriffe durchzuführen, sinken: „Um ein paar hundert Dollar sind heute bereits gute Tools für Attacken auf integrierte Schaltungen zu bekommen“, sagt Steinbauer. So wie Marc van Laer Stresstests für Chips durchführt, muss Steinbauers Team deshalb dafür sorgen, dass unerwünschte Eindringlinge ins System außen vor bleiben.
Neben den großen Themen Crypto und Security, Autozugang und kontaktlose Smartcards versucht NXP-Austria-Chef Stäblein, den Standort Gratkorn noch mit einem weiteren Schwerpunkt sichtbar zu machen: Smart Logistics. Der Einkauf bei Sportdiskontern wie Decathlon ist mit Lösungen von NXP etwa schon komplett kontaktlos möglich.
Allzu tief will sich Stäblein aber in seine Wundertüte nicht schauen lassen. Er spricht am liebsten über das, was schon funktioniert. Denn er weiß: Nur Revolutionen, die nicht angekündigt werden, finden in der Regel auch statt.
Der Artikel ist in der trend.PREMIUM-Ausgabe vom 7. März 2025 erschienen.