Die Landawirseehütte in den Schladminger Tauern mit Alpenverein Fahne.
©IMAGO / imagebrokerDer Österreichische Alpenverein (ÖAV), größter Beherbergungsbetrieb Österreichs und Besitzer von Nationalheiligtümern wie dem Großglockner, stößt immer mehr an seine strukturellen und finanziellen Grenzen. Die Verbindung aus Traditionsverein und modernem Wirtschaftsbetrieb soll geschaffen werden.
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Von wegen biederes "Berg Heil!". Der Österreichische Alpenverein (ÖAV) goes Social Media und launcht gemeinsam mit dem Schweizer Bergsportausrüster Mammut gerade den Internet-Wettbewerb "Peak Project": Wer es schafft, den höchsten Berg aus Fotos seiner Web-Freunde zu errichten, wird zur nächsten, von Mammut weltweit durchgeführten Testexpedition eingeladen, der größten, die es jemals gab.
Die Kooperation ist sozusagen der Marketingauftakt für die offiziellen 150-Jahr-Feiern des ÖAV im nächsten Jahr. Die Botschaft: Wer den Traditionsverein immer noch mit rustikaler Lederhose und volkstümelndem Luis-Trenker-Kitsch verbindet, ist am Holzweg. Der ehemals bieder politisierende Bergsteigerklub – auch mit völkischen Anklängen – will in der an Events orientierten Jetztzeit ankommen. 22.270 neuen Mitgliedern gefällt dies. Sie verhalfen ihrem Verein im Jahr 2010 zum stärksten Zuwachs seiner Geschichte: Er hält jetzt bei über 400.000 Mitgliedern.
Auch wenn die offizielle Zahl die eine oder andere Karteileiche beinhaltet, ist der Alpenverein nach den Autofahrerverbänden und Gewerkschaftsbund immerhin der viertgrößte Verein in Österreich. Doch diese Expansion stellt den ÖAV auch vor eine innere Zerreißprobe: Denn der vorwiegend von ehrenamtlichen Mitarbeitern getragenen Struktur wachsen die Aufgaben über den Kopf. Die Erhaltung von Hütten und Wegen wird immer kostspieliger, die Herausforderungen rund um den boomenden Outdoorsport und den Naturschutz immer komplexer.
Nun soll eine neue Organisationsreform die Zukunft sichern: Gewinnbringende Tätigkeiten sollen in Tochtergesellschaften ausgelagert, die Referate gestrafft , Doppelgleisigkeiten beseitigt und die Ehrenamtlichen entlastet werden. Präsident Christian Wadsack, gelernter Grazer Biochemiker und jüngster ÖAV-Präsident der Geschichte, nimmt sich viel vor: "Die administrativen und geschäftlichen Tätigkeiten müssen wir verstärkt professionalisieren. Damit bleibt für die Ehrenamtlichen mehr Zeit, sich um die strategische Führung des Vereins zu kümmern."
Der Österreichische Alpenverein, ein Zwitterwesen
Tatsächlich ist der ÖAV ein eigentümliches Zwitterwesen zwischen Freizeitkonzern und Wanderklub. In seinem innersten Wesen besteht er aus 194 lokalen Sektionen. Schwergewichte dabei sind drei Wiener Großsektionen und die Innsbrucker Sektion mit jeweils über 20.000 Mitgliedern. Alle Mitglieder zusammen zahlen jährlich rund 13 Millionen Euro an Mitgliedsbeiträgen. In Summe arbeiten insgesamt aber lediglich 70 angestellte Mitarbeiter beim ÖAV – zum Vergleich: Der etwa viermal so große ÖAMTC hat 3.200 Angestellte.
Die Hauptlast der Arbeit tragen derzeit 7500 Funktionäre, etwa 14.000 freiwillige Helfer sowie ein paar auf Honorarbasis beschäftigte Kletterführer und Schulungsleiter. Sie leisten weitgehend in ihrer Freizeit 1,3 Millionen Arbeitsstunden, betreuen rund 40.000 Kilometer an Wanderwegen und schulen jährlich rund 260.000 Teilnehmer im richtigen alpinen Verhalten beim Wandern, Skitourengehen und Klettern. Keine schlechte Visitenkarte im heurigen Jahr des Ehrenamts, das der Europäische Rat ausgerufen hat.
Doch das wird in Zukunft nicht reichen. Die Wegeerhaltung wird immer aufwändiger, die Haftungsfrage bei Unfällen gewinnt mit der zunehmenden Anzahl an Bergsportlern an Bedeutung: Erst vor Kurzem ist eine Diskussion über Sicherungshaken in Kletterrouten des Alpenvereins entbrannt. Mühsamer wird auch die Pflege der vielfach in schwer zugänglichen hochalpinen Lagen gelegenen Alpenvereinshütten: Grundsätzlich kommen viele der ehemals von vermögenden Stiftern eingebrachten Immobilien an ihre Lebensgrenze. Hoch oben sorgt die Klimaveränderung für das Auftauen von Dauerfrostböden und bringt so manche Gipfelhütte ins Rutschen. Weiter unten steigen die Ansprüche der Gäste und die behördlichen Auflagen im Sanitär- und Abwasserbereich.
Darüber hinaus nimmt das Naturschutzlobbying einen immer höheren Stellenwert ein. Sehr zum Ärger von Österreichs Seilbahnwirtschaft. So raunzt etwa Skigebietsbetreiber und ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel über Widerstände bei der Erschließung der Skischaukel Warscheneck in Oberösterreich: "Mit den wirklichen Naturschützern gibt es Dialoge, aber nicht mit gewissen Gruppen, die nur ihre Gebiete verteidigen."
Der ÖAV muss sich um die zunehmenden Konflikte zwischen Mountainbikern, Kletterern und Skitouren-Fans einerseits sowie der Forst- und Jagdwirtschaft andererseits kümmern. Felix Montecuccoli, Präsident des Hauptverbands der Land- und Forstwirtschaftsbetriebe: "Die Touristen, die in der Regel nur am Wochenende in den Bergen sind, übersehen, dass die Umgebung nicht die zu Vergnügungszwecken aufgestellte Funpark-Kulisse für ihre jeweilige Sportart ist, sondern an fünf Tagen in der Woche der Arbeitsbereich eines ganzen Wirtschaftszweigs." Im letzten Sommer hat man zum Beispiel erstmals eine Art Rahmenvertrag zwischen der Forstverwaltung Starenberg und der AV-Sektion Krems zur Nutzung eines Kletterfelsens abschließen können.
Die Finanzierung des ÖAV
Schön langsam übersteigen die Aufgaben die organisatorischen wie finanziellen Ressourcen des ÖAV, weiß ExÖBB- Vorstand Fritz Macher, Präsident der Sektion Austria und ein Vordenker im Alpenverein (Konzept "Traum 2020"): "Wir müssen zu einem neuen Verhältnis zwischen Ehrenamt und Hauptamt kommen. Die reine Lehre wird sich nicht durchhalten lassen." Möglichkeiten zur organisatorischen Straffung gäbe es genug. Denn der ÖAV ist vielfach in durchaus wirtschaftsnahen Bereichen tätig. Eine grundsätzlich zukunftsträchtige Orientierung sieht Freizeitforscher Peter Zellmann: "Der enorme Zuspruch erklärt sich daraus, dass der Alpenverein weniger auf Ideologie und mehr auf Dienstleistung setzt."
Der Österreichische Alpenverein ist auf dem Papier reich. Als drittgrößtem Grundbesitzer des Landes gehört ihm unter anderem der Nationalpark Hohe Tauern samt Großglockner und Krimmler Wasserfällen. Der Verein muss aber sein Vermögen noch stärker in echte Einnahmen ummünzen. Funktionieren sollte das. Man ist Eigentümer und Verpächter von 238 alpinen Schutzhütten (Versicherungswert 178 Millionen Euro), die gemeinsam rund 13.000 Schlafplätze anbieten.
Damit ist er der größte Beherbergungsbetrieb Österreichs und einer der wichtigsten Player im milliardenschweren Sommertourismus – wenn auch nur jene Hütten mit Gewinn zu betreiben sind, die einen Ganzjahresbetrieb aufrechterhalten können. Vom Outdoor-Boom sollte der ÖAV dennoch profitieren – Stichwort: "Wanderbares Österreich". Das meint auch Ulrike Rauch-Keschmann von der Österreich Werbung: "Die Alpen sind ein wesentlicher Bestandteil der Marke."
Ebenfalls ein wirtschaftsnahes Betätigungsfeld ist die Freizeitversicherung, die mit dem Abschluss einer Mitgliedschaft verbunden ist (Partner: Uniqa). Darüber hinaus wächst das Angebot an professionellen Bergsteiger-Fernreisen für ÖAV-Mitglieder, teilweise in Kooperation mit gewerblichen Reisebüros. Weiters wird Kartenmaterial herausgegeben, Sportausrüstung verliehen, Tourismusmarketing betrieben. Etwa mit dem von der EU geförderten Gütezeichen "Bergsteigerdorf – für Orte, die besonders auf den Schutz der Alpen achten.
Allerdings ist Vorsicht geboten: Eine allzu große Annäherung ihres Vereins an die Strukturen von Wirtschaftsbetrieben kommt bei den Bergsteigern nicht gut an. Erst vor Kurzem musste etwa der Präsident des Deutschen Alpenvereins zurücktreten, weil er sich in Sponsorfragen auf allzu enge Firmenkooperationen eingelassen hatte.
Gegen gravierende Umgestaltungen im ÖAV steht auch der Konkurrenzkampf unter den einzelnen Sektionen. Sie wetteifern untereinander um Mitglieder und legen großen Wert auf ihre Autonomie. Trotz beachtlichem finanziellem Aufwand betreiben etwa die drei Wiener Sektionen jede ihre eigene Bergsteigerschule, ihr eigenes Servicebüro und einen eigenen Ausrüstungsverleih.
Ohne saubere Trennung der Vereinsagenden mit gewerblichen Tätigkeiten läuft der ÖAV Gefahr, in Widerspruch zur statuarisch verankerten Gemeinnützigkeit zu geraten, weiß Anwalt Thomas Höhne: "Der Ausweg wäre eine gesellschaftsrechtliche Auslagerung in Tochterfirmen, die normal bilanzieren. Und der Verein kann bei seiner Gemeinnützigkeit bleiben." Präsident Wadsack, der sich im Herbst der Wiederwahl stellt, will seine Mitglieder daher auf Änderungen einschwören: "Wir müssen ein bisschen entrümpeln." Und die beschränkte Finanzkraft des ÖAV ist dafür ein starkes Argument. Daran ändert auch eine Reihe innerstädtischer Immobilien im Eigentum der einzelnen Alpenvereinssektionen nichts. Die liegen zwar teilweise durchaus in ansprechender Innenstadtlage in Wien, Bludenz oder Klagenfurt. Doch abgesehen davon, dass ein Verkauf sowieso einen Aufstand heraufbeschwören würde, sind sie großteils grundbücherlich belastet.
Neue Einnahmequellen
Die bisherige Suche nach neuen Einnahmequellen war jedenfalls nicht allzu sehr von Erfolg gekrönt. Mit der Einforderung eines Erhaltungsbeitrags von den Tourismusverbänden holte man sich zum Beispiel bis dato nur Absagen. Und auch die Möglichkeit für Hüttenpächter, einen eigenen "Infrastrukturbeitrag" von wenigen Euro einzuheben, sollten alpine Gäste ausschließlich auf ihr mitgebrachtes Lunchpaket zurückgreifen, sorgt eher für Unmut unter Selbstversorger-Traditionalisten.
Doch generell sind die Rahmenbedingungen nicht ungünstig, wenn es gelingt, das Erscheinungsbild zu modernisieren. Denn ein Ende des Wanderbooms ist nicht wirklich abzusehen, allerdings das Ende der Wandervogel-Romantik. Das bestätigt auch Freizeitforscher Zellmann: "Durch die Wandlung zu einer modernen Form des Wanderns, etwa mit GPS-Geräten oder moderner Bekleidung, ist es zeitlos geworden." Touristiker rechnen sogar damit, dass die alpinen Regionen ob ihrer Höhenlage als Folge des Klimawandels zu den begehrtesten Erholungsgebieten Europas zählen werden.