Martin Müller, Managementberatung Horváth
©Rohde Fotografie e.K.Trotz Inflation und eingetrübten Wirtschaftsaussichten gehen die heimischen Versicherungen für die nächsten Jahre von einer stabilen Geschäftsentwicklung aus. Höhere Prämien und ein strengeres Kostenregime sind nur zwei Faktoren dafür. Doch welche Entwicklungen bremsen die Erwartungen der Assekuranzen?
Optimistisch, aber dennoch verhalten charakterisieren Brancheninsider die aktuelle Stimmung in der Versicherungsbranche. Von Beitragssteigerungen in Höhe von vier Prozent ist die Rede, die steigende Schadeninflation ist jedoch eine große Herausforderung. Vor allem trifft es die Kfz-Versicherungen, die in diesem Jahr durch die Bank Verluste machen werden. Das zeigt die jährliche Horváth-Befragung von Vorstands- und Geschäftsführungsmitgliedern großer Versicherer zu ihren Geschäftsaussichten und Herausforderungen.
Mehr Risiken durch Digitalisierung
Während der Pandemie wurden zwar einige Hausaufgaben erledigt, aber vieles versäumt. Gerade im Wettstreit um Effizienz, Kundschaft und Margen sollte die digitale Transformation massiv vorangetrieben werden. Von diesen Innovationen erhoffen sich Marktkenner bedeutende Vorteile nicht nur im Wettbewerb, sondern auch in punkto Profitabilität. Dringend arbeiten müssen die Versicherungen an den großen Herausforderungen Backend-Optimierung und Weiterentwicklung des Daten-Ökosystems. Erst danach kommen die Themen Inflation und regulatorische Vorgaben.
Die Digitalisierungsoffensive hat für die Versicherer aber auch eine Kehrseite. Die zunehmende Internetkriminalität macht den Assekuranzen schwer zu schaffen, auch wenn das Thema erst an dritter Stelle der Management-Prioritäten landet. Der Kampf gegen Cyber Crime ist für die Branche genauso wichtig wie für die Gesamtwirtschaft, bei der das Thema Platz zwei belegt. Im Branchenvergleich sind Versicherungen sogar am häufigsten Cyberattacken ausgesetzt. Jeder zweite Topmanager berichtet von Angriffen mit schweren Schäden, die hohe Management-Attention erfordern.
Revolution durch Künstliche Intelligenz
Hinsichtlich des Potenzials von KI-Anwendungen befragt zeigt sich die Branche eher reserviert. Die Mehrheit der Versicherungsmanager glaubt, dass Geschäftsmodelle und Produkte davon auch längerfristig eher unbeeinflusst bleiben. Jeweils 70 Prozent gehen davon aus, dass die Möglichkeiten durch Anwendungen wie ChatGPT keine oder nur geringe Auswirkungen auf diese Unternehmensbereiche haben wird. Anderes gilt für die Bereiche Service und Administration. Hier sehen nahezu alle befragten Führungskräfte großes, wenn nicht revolutionäres Potenzial.
Drive bei Nachhaltigkeit nimmt ab
Ähnlich gefordert wie bei der digitalen Transformation zeigen sich die Versicherungsunternehmen in den zentralen Fragen der Nachhaltigkeitentwicklung. Auch hier wurden die Corona-Jahre erst ansatzweise dazu genutzt, die Hausaufgaben und damit Fortschritte zu machen. In Deutschland haben die Assekuranzen ihr Net-Zero-Ziel zwar um zwei Jahre auf 2034 vorgezogen. Das ist vorläufig aber nur ein Lippenbekenntnis. Nun gilt es, den Drive in der Umsetzung nicht zu verlieren, damit die Branche wirklich klimaneutral werden kann.
Überblickt man die Gesamtentwicklung in der Versicherungsbranche, so sind die Top 3 Herausforderungen Digitalisierung, Cyber Crime und Arbeitskräftemangel – während das Thema Nachhaltigkeit an Relevanz verloren hat. Offenbar hat es dieses Thema zuvor nur auf die Tagesagenda geschafft, um regulatorischen Anforderungen zu genügen. Produkte mit echtem Mehrwert für Kunden fehlen nach wie vor. Auch daran gilt es zu arbeiten, um neue Kundensegmente anzusprechen.
Fazit: Die Versicherungen in der DACH-Region blicken grundsätzlich positiv auf die Prämienentwicklung, die allerdings über inflationsbedingte Preiserhöhungen getrieben wird, und nicht so stark durch reales Wachstum. Hauptursache ist die steigende Schadeninflation, also der erhöhte Kostenfaktor im Schadensfall. Hinzu kommen die Kosten für die weiteren Anstrengungen bei Digitalisierung und Cyber Security. Diese Herausforderungen werden sich direkt auf die Ergebnissituation in diesem Jahr durchschlagen und die Dynamik in Nachhaltigkeitsfragen abbremsen.
Für die Horváth-Studie "Assekuranzen 2023" wurde eine repräsentative Auswahl an Vorstandsmitgliedern aus Versicherungsunternehmen in der DACH-Region befragt.
Die Serie "Management Commentary" ist eine Kooperation von trend.at und der Managementberatung Horváth. Die bisher erschienen Beiträge finden Sie zusammengefasst im Thema "Management Commentary".