Nachhaltigkeit & Digitalisierung
©shutterstockDass digitale Transformation und Nachhaltigkeitstransformation die wichtigsten strategischen Themen für Unternehmen sind, ist unbestritten. Wie eng beides miteinander verknüpft ist und daher in der Strategiearbeit gemeinsam gedacht werden sollte, um voll zur Wirkung zu kommen, und woran es dabei derzeit noch hakt, zeigen Experten anhand einer aktuellen Studie.
Wer möchte bestreiten, dass sowohl die digitale Transformation als auch die Wende zur Nachhaltigkeit mit allen ihren geschäftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen epochale Veränderungen von Rang darstellen. Jeder der Umbrüche für sich würde wohl schon genügen, den Veränderungsbedarf einer Generation vollauf zu befriedigen. Michael Zettel, Country Managing Director des Technologiedienstleisters und Beraters Accenture Österreich, macht noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: "Die beiden großen Veränderungsprozesse werden viel zu wenig gemeinsam bedacht. Die Twin Performers - jene, die beide Transformationen aktiv vorantreiben -, sind die Champions von morgen", sagt er.
Als führender Exponent eines global aufgestellten Beratungs-und Technologiedienstleisters hat er dabei natürlich die Konkurrenzfähigkeiten der Unternehmen im internationalen Wettbewerb im Auge. Und als heimischer Country Managing Director selbstverständlich ganz speziell die der österreichischen Paradebetriebe.
Schon in den vergangenen Jahren hat Accenture gemeinsam mit Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), mehrere Studie zur digitalen Transformation als Erfolgsfaktor heimischer Unternehmen durchgeführt und nachweisen können, dass ein hoher Digitalisierungsgrad einen positiven Effekt auf die Unternehmensperformance hat: Je stärker ein Unternehmen digitalisiert ist, desto höher sein Umsatz-, Beschäftigten- und Produktivitätswachstum.
Angesichts des aktuellen Multikrisenszenarios wurde nun untersucht, ob diese "digitale Dividende" auch robust hinsichtlich geänderter Rahmenbedingungen und konjunktureller Schwankungen ist und inwiefern die digitalen Transformierer auch stärker in die Nachhaltigkeitstransformation ihrer Unternehmen investieren - sowie ob die Kombination aus Digitalisierung & Nachhaltigkeit, die sogenannte Twin Transformation, bereits gelebt wird.
Intuitiv leuchtet ja ein, dass Europas selbst verordnete Energie- und Nachhaltigkeitswende am ehesten gelingt, wenn sie aufs engste verknüpft und mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Digitalisierung unterstützt und umgesetzt wird.
Erkenntnisse und Ergebnisse
Die Umfrage bei einem aussagekräftigen Querschnitt heimischer Industriebetriebe brachte teils doch überraschende Aufschlüsse. "Obwohl die Nachhaltigkeitstransformation am Anfang steht, sind Österreichs Unternehmen darin vergleichsweise weit", betont Christian Helmenstein, Chefökonom der IV und Professor an der Seeburg Castle University. Er stellte gemeinsam mit Zettel und mit Philipp Krabb, Research Lead bei Accenture Österreich, die jüngsten Studienergebnisse kürzlich vor:
Die digitale Dividende, höheres Umsatzwachstum bei höherem Digitalisierungsgrad, hat sich demnach auch 2023 wieder als robust erwiesen. Ökonom Helmenstein weist auf das beschleunigte Wachstumstempo digitaler Champions gegenüber ihren weniger digitalisierten Konkurrenten hin: Wuchsen die digitalen Vorreiter laut Befragung 2022 um gut elf Prozent schneller, so waren es heuer schon 23,3 Prozent.
Allerdings ist ein genereller Digitalisierungsschub in den letzten Jahren nicht mehr zu erkennen. "Der Digitalisierungsboost, den wir in den Jahren 2020 und 2021 erlebt hatten, ebbt post Corona ab. Die letzte große Digitalisierungswelle gab es während der Pandemie, seitdem gibt es keine substanzielle Änderung des Digitalisierungsgrades österreichischer Unternehmen", so Zettel.
65 Prozent der Unternehmen weisen demnach nach wie vor nur einen geringen Digitalisierungsgrad auf, 32 Prozent einen mittleren und lediglich drei Prozent einen hohen. "Das sind die digitalen Champions", sagt der Experte und bedauert auch im trend-Interview, dass es davon in Österreich zu wenige gibt.Es zeigte sich, dass die Unternehmen bei der Digitalisierung bisher vor allem ihren Fokus auf die digitale Abbildung interner Prozesse gelegt haben. Produktionsplanung, Produktion und Administration sind die am stärksten digitalisierten Prozesse, deutlich vor Beschaffung wie auch Absatz. "Bei den Schnittstellen zum Markt und zum Kunden besteht noch großes Potenzial, das gehoben werden muss", erklärt Zettel dazu.
Wenig Verankerung der Digitalisierung im Geschäftsmodell. Während 77 Prozent angeben, Daten im IT-System bereitstellen zu können, haben tatsächlich nur etwa 20 bis 30 Prozent die Digitalisierung in ihrem Geschäftsmodell fest verankert und integriert. "Daten und Technologien sind vorhanden, sie müssen nur genutzt werden", so Research Lead Philipp Krabb.
So erfolgt bei lediglich 26 Prozent die datenbasierte Analyse und Optimierung des Kundenangebots, erst 13 Prozent bieten digital automatisierte Leistungen für Kunden an (siehe auch Tabelle, unten).
Sein Blick richtet sich auf die Möglichkeiten: "Wenn erst 25 Prozent Digitalisierung im Geschäftsmodell verankert haben, hat Österreich in dieser Hinsicht ein Wachstumspotenzial von 300 Prozent", so Krabb.
Dazu passen Detailauswertungen zum Dateneinsatz: Je komplexer der Anwendungsbereich, desto weniger ist die Transformation fortgeschritten: rund zwei Drittel nutzen Daten zum Nachverfolgen interner Prozesse, knapp die Hälfte zur Prozessanalyse, rund ein Drittel für Prognosen, aber nicht mehr als 20 Prozent als Basis für KI-Anwendungen (siehe Kasten, u.).
Bei der Nachhaltigkeitstransformation liegen Österreichs Unternehmen international im absoluten Spitzenfeld - auch wenn die öffentliche Wahrnehmung in diesem Bereich besonders kritisch ist.
Die Fakten sind: Österreich zählt bei der Erreichung der Sustainable Development Goals der UN weltweit zu den Top-fünf-Ländern, 82 Prozent der Unternehmen des Samples befinden sich auf Stufe zwei des Nachhaltigkeitsreifegradmodells und treiben Verbesserungen mit Eigeninitiative aktiv voran. "Unsere Unternehmen sind bei der Nachhaltigkeit weiter als in der Digitalisierung", unterstreicht Helmenstein.
Die Maßnahmen seien sehr vielseitig. So nutzen 25 Prozent erneuerbare Energien, neun Prozent verfügen über nachhaltige Gebäudekonzepte, sieben Prozent über eine nachhaltige Produktion. Das passiere aber hauptsächlich in der Peripherie und weniger in Unternehmenskern und Geschäftskonzept, so der IV-Professor.
INFINEON
Als "erfreulich" bezeichnet er die Tatsache, dass "Nachhaltigkeit auf der CEO- Agenda angekommen ist. 79 Prozent der Unternehmen haben das Thema auf der obersten Managementebene verankert. Das bedeutet allerdings auch, dass es im operativen Bereich konsequent umgesetzt werden muss", so Helmenstein.
Nachholbedarf sieht er in der Verbindung der beiden Transformationen. Digitalisierung und Nachhaltigkeit seien beides "konjunkturunabhängige Investitionstreiber".
Während Nachhaltigkeit zwar bei 87 Prozent in die Unternehmensstrategie integriert ist, liegt dieser Anteil in der Digitalisierungsstrategie erst bei 57 Prozent, erklärt der Ökonom und erläutert, dass das Potenzial digitaler Tools für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen nicht ausreichend erkannt und eingesetzt werde.Dass die Twin Transformation noch zu wenig gemeinsam gedacht wird, zeigt sich laut einer Accenture-Erhebung auch daran, dass die Themen Technologie und Nachhaltigkeit auf Hauptversammlungen für sich jeweils zwar sehr stark präsent sind, aber nur fünf Prozent der Unternehmen darüber bei Ergebnispräsentationen in einem gemeinsamen Zusammenhang gesprochen haben.
Themen der Twin Transformation bleiben jedenfalls maßgebliche Faktoren für die Weiterentwicklung von Unternehmen.
Nicht nur bei den auch von Michael Zettel als Vorzeigeunternehmen genannten Beispielen Infineon Austria oder Wien Energie (siehe Kästen oben bzw. unten), wo die Verknüpfung digitaler und nachhaltiger Komponenten so besonders augenfällig ist, sondern auf breiter Front: Sowohl bei den Faktoren, die Unternehmensstrategien maßgeblich beeinflussen werden, als auch bei den Topinvestitionsfeldern der Zukunft kommt Technologie- und Nachhaltigkeitstopics laut Accenture-Erhebungen in der Zukunft die allerhöchste Priorität zu.
Wien Energie
Der Beitrag ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.