Peter Bosek - im zweiten Anlauf zum Erste-Group-Chef: "Per se haben wir wenig Grund zu raunzen. Die Unternehmen fangen wieder an zu investieren."
©trend/Sebastian ReichFinanzmanager PETER BOSEK erklomm im zweiten Anlauf den Chefsessel in der Erste Group. Seine neue Strategie umfasst eine neue Qualität der Kundenberatung durch Digitalisierung, weiteres Wachstum in Osteuropa, auch durch Übernahmen, sowie eine Revolution der Pensionsvorsorge. Die heimische Wirtschaft hält er für stark, mahnt aber trotzdem endlich politische Reformen ein.
Sie sind seit Juli Chef der Erste Group. Wären Sie lieber schon 2020 CEO geworden? Viele hatten damals mit Ihrer Bestellung zum Nachfolger von Andreas Treichl gerechnet.
Rückblickend betrachtet war es perfekt, wie es gekommen ist. Ich habe in der Zwischenzeit sozusagen mein Auslandssemester im Baltikum absolviert und mich dort noch einmal in eine komplett neue Situation begeben. Das hat mir wahnsinnig viel gebracht, war eine extrem gute Vorbereitung für die neue Aufgabe. Also in Summe ist alles sehr rund gelaufen.
Aber Sie wären wohl nicht zur Luminor-Bank in Estland gewechselt, hätte sich der Aufsichtsrat damals auf Sie geeinigt, oder?
Ich weiß nicht, schwer zu sagen. Natürlich war ich, als die Entscheidung nicht auf mich gefallen ist, drei Tage lang sauer. Aber das war’s dann auch. Ich habe mich schnell abgefunden und empfand es verlockend, ins Ausland gehen zu können. Ich habe ja davor immer nur in Österreich gelebt. Ich dachte: Wenn nicht jetzt, dann mache ich es nie. Du kriegst einen anderen Blick auf Dinge und lernst neue Verhaltensweisen.
Außerdem hat mich die Möglichkeit, mit Blackstone, also einem Eigentümer aus dem Private-Equity-Bereich, zusammenzuarbeiten, unglaublich bereichert in fachlicher Hinsicht; besonders durch die Art, wie die auf Themen schauen. Ich war davor über 25 Jahre in der Erste Group und glaubte, ich kenne eh schon alles. Das hat sich als Irrtum herausgestellt.
Ihr gutes Verhältnis zum früheren Boss Treichl, dem jetzigen Präsidenten der Erste-Stiftung, hat durch den Umweg nicht gelitten?
Überhaupt nicht. Wir haben nach einer gewissen Zeit ja auch bei Luminor zusammengearbeitet, weil er dann bei uns im Aufsichtsrat saß. Das war sehr befruchtend für beide Seiten. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir uns sehr gut verstehen.
Welche Erfahrungen im Baltikum haben konkret Ihren Horizont erweitert?
Ich war früh mit einem multiplen Krisenszenario konfrontiert, weil ich während Covid hingekommen bin und kurz darauf dieser furchtbare Krieg in der Ukraine begann. Plötzlich lebt man in dieser Region mit einer völlig anderen Betroffenheit. Wladimir Putin ist der Meister der hybriden Kriegsführung. Jedes Mal, wenn ein baltischer Politiker was zu Russland oder zum Krieg sagte, wusste man, dass spätestens fünf Minuten danach mit Cyberattacken zu rechnen ist.
Wenn von Litauen aus eine Repräsentanz in Taiwan eröffnet wurde, hat China das Land, in dem wir operiert haben, von der Zollliste gestrichen. Und ich musste auf meine Bankomaten warten, die kommen hätten sollen.
Gehen die Menschen im Baltikum wirklich davon aus, dass Putin den Krieg auf EU-Territorium ausweiten könnte, wie öfter zu hören ist?
Viele tun das. Sie leben dort mit dieser Bedrohung viel unmittelbarer. Aber auch die Finnen und Schweden gehen davon aus, dass eine große Wahrscheinlichkeit in diese Richtung besteht, wenn die Ukraine nicht gewinnt. Sie investieren alle wahnsinnig viel in Rüstung. Schweden, das ewig lang neutral war, trat innerhalb sehr kurzer Zeit der NATO bei. Der Sense of Urgency ist in Nordeuropa viel höherer als in unserem Teil von Europa, speziell in Österreich.
Wären Sie von dem „Auslandssemester“ auch zurückgekommen, hätten diese Ereignisse nicht dazu geführt, dass der geplante Börsengang von Luminor abgesagt oder zumindest verschoben wurde?
Ich hätte natürlich gerne zuerst den IPO gemacht und wäre dann zurückgekommen. Aber nachdem das jetzt eh vergossene Milch ist, muss ich mir auch nicht den Kopf zerbrechen, ob sich das auf der Zeitachse ausgegangen wäre.
Sie kommen in eine Bankengruppe, die sehr gut dasteht. Ist das für jemanden, der bekannt umtriebig ist, nicht ein bisschen fad?
Ein interessanter Aspekt. So habe ich noch nicht drauf geschaut. Es stimmt: Die Bank ist extrem gut aufgestellt. Aber große Kraft bringt auch große Verpflichtungen mit sich. Die Anzahl an geopolitischen Unsicherheiten für Europa ist enorm. Und wir wollen im Rahmen unserer Kompetenzen einen Beitrag liefern, sie zu meistern. Natürlich können wir die grüne Energietransformation, eines der wichtigsten Themen, nicht allein lösen, können aber mithelfen. Europa muss auch die militärische Abhängigkeit von den USA und in vielen Bereichen – z. B. Solarenergie – die Abhängigkeiten von Asien verringern und sich endlich auf eigene Füße stellen. Das geht, wenn auch nicht von heute auf morgen. Die Aufgabe, in einer Phase tektonischer Verschiebungen beizutragen, dass das Ganze für die Menschen beherrschbar bleibt, halte ich für ungeheuer inspirierend. Langweilig wird mir bestimmt nicht.
Was kann denn eine Bank überhaupt dazu beitragen?
Der Gründungszweck unserer Gruppe lautet, Wohlstand in der Region, in der wir sind, zu schaffen. Und wenn es den Menschen finanziell besser geht, haben sie grundsätzlich einen positiven Blick auf die Zukunft, was wiederum die Grundlage für weiteres Wachstum ist und weniger anfällig für Populismus macht.
Die Erste Group hantiert seit Jahren mit dem Schlagwort „finanzielle Gesundheit“. Was heißt das jenseits des Marketings konkret? Haben z. B. Ihre Privatkunden höhere Erträge in der Geldanlage als die von anderen Banken?
Wichtige Frage. Wir sehen schon, dass zum Beispiel das Wertpapiergeschäft in der Tschechischen Republik ein größeres Gewicht bekommen hat, was den Kunden mehr Rendite bringt. Das haben wir immer unterstützt. In Österreich besteht da Nachholbedarf. Ein Projekt der Erste-Stiftung untersucht gerade wissenschaftlich, was es für Menschen heißt, finanziell gesund zu sein. Ergebnisse sollen heuer im Spätherbst vorliegen. Die Studie kann dann jedes Jahr gemacht werden. Und so können mich meine Eigentümer faktenbasiert daran messen, ob unser Kundenstock im Lauf der Zeit finanziell gesünder wird. Das verhindert, dass die Sache zu Marketingschlagzeile verkommt.
Wie wird kann das gemessen werden?
Es gibt ein paar einfache Regeln für finanzielle Gesundheit: weniger ausgeben als einnehmen, eine Sparquote von rund zehn Prozent anstreben, drei Monatsnettogehälter auf die Seite legen, damit einen der kaputte Kühlschrank nicht gleich aus der Bahn wirft. Und wenn man das erreicht hat, kann man über die Absicherung der Familiensituation nachdenken und langfristig für die Pension vorsorgen. Dann bin ich schon beim Thema Wertpapier oder Versicherung.
Ich sehe das als stufenweises Konzept. Die Produkte dafür haben wir sowieso. Die unterstützende Beratung müssen wir optimieren – und vor allem die Einstellung zum Kunden: Kümmere ich mich um sein finanzielles Wohl oder kümmere ich mich nur um das finanzielle Wohl der Bank? Sind wir gut im Zuhören? Das macht den Unterschied. Ich bin zutiefst davon überzeugt, mein Kunde spürt innerhalb von zwei Sekunden, ob ich es ernst meine mit ihm oder ob ihm jetzt nur schnell was verkaufen will.
Finanzbildung ist ein zweites Markenzeichen, das sich die Erste angeheftet hat. Gibt es zählbare Fortschritte?
Wir arbeiten permanent daran, wie wir Finanzwissen nachvollziehbar zu den Menschen bringen können. Unser Finanzbildungszentrum FLiP ist ein großer Erfolg. Die Nachfrage ist da, bis jetzt haben schon über 120.000 Jugendliche teilgenommen. Die Inhalte werden nicht in Klassenzimmer-Pädagogen-Zeigefinger-Manier vermittelt, sondern es gibt viele spielerische Elemente. Alles nahe an der Realität der Menschen.
Jetzt überlegen wir, wie ein digitales FLiP ausschauen kann, weil wir das komplette Klavier der Kommunikation bespielen wollen, um dieses Wissen zu transportieren.
Sie arbeiten an einer neuen Strategie für die Bank. Können Sie schon ein paar Eckpunkte skizzieren?
Klarerweise beschäftigen wir uns mit der Weiterentwicklung von digitalem Banking. Die Bank wurde gegründet, um Zugang zu Finanzprodukten zu gewährleisten. Das haben wir glücklicherweise bei 90 Prozent der Bevölkerung geschafft. Der nächste logische Schritt ist, durch Nutzung von Technologie proaktive Beratung für alle anzubieten. Eine gute Retailbank berät heute 25 Prozent ihrer Kunden so, wie ich mir das vorstelle. Beim großen Rest der Kunden agieren wir nur reaktiv. Die kommen in die Bank, weil sie etwas brauchen, und bekommen es. Das ist zu wenig. Künstliche Intelligenz kann uns dabei helfen, das zu ändern. Eine zweite Stoßrichtung umfasst das Asset-Management und die gesamten Pensionsthematik.
Heißt das neue Anlageprodukte für private Vorsorge?
Genau. Das spielt insbesondere wegen der Demografie in unserer Region eine riesige Rolle. Pensionskassen sind der logische nächste Schritt: entweder mit Unternehmen als Partner oder als Long-Term-Investment für Menschen, die sich privat eine Säule aufbauen wollen. Die Erste Stiftung denkt viel darüber nach, wie europäische Pensionssysteme grundsätzlich zu transformieren wären. Wir wissen ja alle, dass es sich, so wie es heute ist, nicht ewig ausgehen wird. Aber um in einem kapitalgedeckten System anzukommen, braucht es lange Übergangsfristen. Deswegen muss man in der Zwischenzeit mit gut gestalteten Produkten unterstützen und den Leuten plausibel machen, dass es sinnvoll ist, einen Teil der Spareinlagen in kapitalmarktorientierte Instrumente zu transferieren. Wir haben ein starkes Interesse, bei Pensionskassen auch akquisitorisch tätig zu sein.
Ohne Stärkung des Kapitalmarkts wird das aber nicht funktionieren …
Richtig, darum wünschen wir uns den Aufbau einer Kapitalmarktunion in der EU, weil es paneuropäische Kapitalpools braucht. Dass die fehlen, ist ein eklatanter Nachteil gegenüber den USA. Vor allem in Österreich müssen wir außerdem gemeinsam daran arbeiten, den Kapitalmarkt bei den Menschen positiv zu besetzen, weil er – politisch getrieben – noch immer oft mit Spekulation gleichgesetzt wird.
Über die Kapitalmarktunion wurde jahrelang geredet. Wie realistisch ist es, dass sich plötzlich was tut?
Ich glaube deswegen daran, weil die öffentlichen Haushalte in großen Teilen Westeuropas überschuldet sind und die zusätzlichen Belastungen für grüne und digitale Transformation nicht mehr stemmen können. Darüber hinaus sind wir zu mehr Investitionen in Verteidigung gezwungen, weil uns die jahrelang geübte Praxis des Durchwurschtelns von anderen aus der Hand genommen wurde. Man könnte die Finanzierung all dessen über ein gemeinsames EU-Budget machen, was aber politisch äußerst schwierig wäre. Darauf wollen wir nicht warten, sondern die Sache selbst in die Hand nehmen und mehr Mittel über den Kapitalmarkt lukrieren. Privates Kapital kann ein Teil einer Lösung sein. Deswegen steht die Kapitalmarktunion auf der Agenda der neuen EU-Kommission.
Und der private Sparer soll sagen, okay, bevor ich mein Geld für zwei Prozent am Sparbuch liegen habe, zahle ich es in einen EU-Investmentfonds ein und kriege eine höhere Rendite?
Das ist das Ziel. Die ersten Ansprechpartner sind klarerweise institutionelle Investoren. Aber wenn ich für Privatkunden geeignete Produkte schaffe, kann das gut gelingen. Gerade Investitionen in die grüne Transformation, z. B. in Energieinfrastruktur, haben sehr lange sehr stabile Rückzahlungen und sind damit ein perfektes Pensionsprodukt. Außerdem macht es wenig Sinn, unser Geld immer in die USA zu schicken und dort das Wachstum zu finanzieren, weil der US-Kapitalmarkt am besten entwickelt ist. Wir sollten in Europa investieren und brauchen dafür EU-weites Kapitalpooling.
Wird die neue Erste-Group-Strategie auch etwas zu einer weiteren Expansion enthalten?
Wir sind in der hervorragenden Situation, dass wir nicht expandieren müssen. Aber wir wären interessiert, innerhalb des östlichen Teiles der EU weiter zu wachsen: organisch, aber auch durch Übernahme von Banken. Polen wäre extrem spannend, weil sich das Land wirtschaftlich sensationell entwickelt hat und jetzt erfreulicherweise auch politisch wieder liberal regiert wird. Ich will mich aber nicht nur auf Polen beschränken, wir werden uns viele Optionen anschauen. Auch die baltischen Staaten sind Erfolgsmodelle.
Apropos: Wäre nicht die Luminor-Gruppe naheliegend?
Leider wäre ich da der personifizierte Conflict of Interest. Ohne Cooling-off-Phase ginge gar nichts.
Gleichzeitig äußerten einzelne Banken öffentlich Interesse . Ganz allgemein gesprochen ist das Baltikum aber für uns sehr interessant. Die Wirtschaftskultur ist großartig, die Leute sind leistungsorientiert.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus ihrem Kommerzkundengeschäft für die aktuelle Wirtschaftsentwicklung in Österreich?
Da ist Luft nach oben. Ich glaube aber, dass es langsam wieder ins Positive dreht. Das Land steht ja eigentlich gut da. Das Finanzvermögen privater Haushalte liegt mit über 800 Milliarden Euro auf einem Höhepunkt. Punkto Inflation waren vielleicht die letzten Gehaltserhöhungen ein bisschen zu hoch, weil das wieder zu Lasten der Produktivität geht. Aber per se haben wir wenig Grund, zu raunzen. Die Unternehmen fangen auch wieder an, zu investieren.
In Österreich oder nur anderswo?
Na ja, das ist schon ein Thema, das mit Standortpolitik zu tun hat. Durch unsere langwierigen Umweltverträglichkeitsprüfungen und andere Themen, die wir eh alle kennen, sind wir zu langsam und verkomplizieren uns das Leben selber. Daran muss man arbeiten, damit auch die Beamten wieder Entscheidungen treffen können ohne die Sorge, dass eine falsche Entscheidung an rechtliche Konsequenzen geknüpft ist. Aus dem Baltikum zurückkommend sehe ich jetzt noch klarer, dass wir uns da wieder herausmanövrieren müssen. Dennoch ist die österreichische Wirtschaft stark. Ich bin begründet optimistisch.
Sie plädieren für Reformen in der Legistik, weil die Gesetzesflut zu komplex und zum Hemmnis geworden ist?
Ja, absolut. Da haben wir Handlungsbedarf. Für einen Unternehmer ist es wahnsinnig schwer, all die Vorschriften zu überblicken, weil wir immer mehr draufpacken. Manche gründen dann halt lieber Töchter im Ausland, weil dort die Regulatorik einfacher ist. Unsere Verfassung begünstigt ein Modell, das jeden Einzelfall des Lebens zu normieren versucht – was nicht möglich ist. Deswegen müssen wir ständig draufdoppeln, von einem Einzelfall zum nächsten. Das angloamerikanische System ist mehr von Prinzipien getrieben. Alles, was diesem nicht widerspricht, kann man tun. So eine Handlungsanleitung verstehen die Menschen. Wir müssen in Österreich im Wirtschaftsbereich überlegen, ob unser System wirklich Mehrwert schafft.
Wie schaut es sonst mit den politischen Rahmenbedingungen hierzulande aus? Die Rufe nach einer Übergewinnsteuer für Banken sind nicht verstummt …
Man muss sich entscheiden: entweder Wirtschaftsaufschwung oder Bankensteuer. Das ist recht einfach. Der Aufschwung braucht Fremdkapital. Und wenn es wieder eine Bankensteuer gibt, können wir weniger finanzieren.
Wie stark beeinflusst aus Ihrer Sicht die Konstellation nach den Wahlen im September die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts?
Schon sehr. Investoren mögen politische Stabilität. Und es wäre großartig, wenn wir eine Regierung bekommen, die eine wachstumsorientierte wirtschaftspolitische Agenda hat. Wir als Erste Group stehen gern zur Verfügung, mitzuarbeiten. Ich mag der Politik aber nicht erzählen, was sie tun soll. Ich will ja auch nicht, dass sie mir sagt, was ich tun soll. Aber eine Arbeitszeitverkürzung steht bei mir – um es höflich zu formulieren – nicht ganz oben auf der Agenda. Wir müssen uns sehr um unsere Produktivität kümmern. Weil sie nachgelassen hat. Das Thema Leistung muss positiv besetzt werden. Das hat dieses Land immer ausgezeichnet.
Obwohl der österreichische Staatshaushalt definitiv überschuldet ist, nimmt keine der Parteien das Wort Sparpaket in den Mund. Kein gutes Zeichen, oder?
Das ist mir auch aufgefallen – wahrscheinlich ein Vorwahlreflex. Ich halte die Wahrscheinlichkeit eines Sparpakets trotzdem für sehr groß. Und ich glaube, es gibt noch die Möglichkeit, dabei ausbalanciert zu agieren: Wo kann man Kosten rausnehmen, und wo muss man in unsere Zukunft investieren. Solche Investments haben ja einen positiven Return und sind kein beim Fenster rausgeschmissenes Geld.
Bei Sparpaket denkt halt jeder ans Gürtel-enger-Schnallen. Das ist bei uns nicht so beliebt. Ich glaube aber, jeder Österreicher versteht Investments in die Zukunft und auch die Notwendigkeit, bestehende Systeme wieder einmal zu durchforsten. Wir müssten gemeinsam neue Modelle finden – z. B. wie wir es schaffen, Menschen länger in Beschäftigung zu halten. Warum gehe ich nicht her und sage, jemand, der über 65 ist, zahlt überhaupt keine Einkommenssteuer mehr, wenn er weiterarbeitet. Das würde viel ändern.
Geredet wird seit Jahrzehnten über Reformen: Föderalismus, Förderungen Gewerbeordnung, Baurecht usw. Meinen Sie, der Druck durch unsere sinkende Wettbewerbsfähigkeit ist hoch genug, dass diesmal vielleicht wirklich irgendwas reformiert wird?
Ja, ich glaube, dass Österreich die Kraft hat, ein neues Momentum zu schaffen. Es führt kein Weg mehr daran vorbei. Die Politik muss zuerst den Beweis antreten, dass man den Willen hat zur Veränderung und nicht versucht, den Status quo auf Kosten höherer Staatsverschuldungen zu prolongieren. Kurzfristige Erfolge motivieren dann für mittel- und langfristige Maßnahmen, von denen wir wissen, dass sie nicht innerhalb von sechs Monaten gelöst werden. Ich bleibe optimistisch.
Kommen wir zurück zu Ihrer Person: Was haben Sie in Estland vermisst und möchten es jetzt in Österreich nachholen?
Das Sonnenlicht im Herbst und Winter genießen. Das ist wichtiger, als ich dachte. Ich habe gelernt, dass Licht extrem mit der eigenen Energie korreliert. Ich war dort im Sommer aufgezogen wie ein Duracell-Haserl, aber im Winter muss man dort schon zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um das Energielevel zu halten. Ich freue mich auf mehr Sonnenlicht.
Klingt, als gäbe es nichts, was Sie außer Arbeiten gerne tun.
Wenig. Ich schaue meinen Söhnen gerne beim Football zu, ich reise gerne und lese viel. That’s it.
Sie haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, zehn bis zwölf Jahre in der Erste Group zu bleiben. Wie soll die Bank am Ende aussehen?
Wie lange ich CEO bleibe, hängt davon ab, ob mich der Aufsichtsrat behalten will. Das Ziel ist, dass die Kunden in allen unseren Ländern finanziell gesünder als heute sind – und zwar weil es uns gibt. Das gilt für die Privatkundenseite, wo unser Markenkern liegt, aber auch für die Kommerzkunden, wo ich das Engagement der Gruppe verstärken möchte. Ich denke, die Situation in Europa erfordert, dass wir unseren Fußabdruck bei Unternehmenskunden weiter vergrößern. Wir haben dafür smarte Leute und sind kapitalstark. Wir können und wollen mehr machen. Außerdem hätte ich gern, dass wir eine Marke sind, für die junge Menschen in zehn Jahren noch gerne arbeiten wollen. Kunden und Mitarbeiter sollen spüren, dass wir eine Bank mit der richtigen Einstellung sind.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 6.9.2024 entnommen.
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