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Erste Group CEO Spalt: "Ich glaube nicht an eine Rezession"

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Erste Group CEO Bernhard Spalt
Erste Group CEO Bernhard Spalt©trend / Lukas Ilgner
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Erste-Group-Chef Bernhard Spalt im trend. Interview über das Risiko eines kompletten wirtschaftlichen Stillstands, finanzielle Gesundheit in der Krise und warum die Welt nie wieder sein wird wie vor dem Ukraine-Krieg.

trend: Seit Sie vor zwei Jahren die Führung der Erste Group übernommen haben, agieren Sie im Krisenmodus: zuerst Pandemie, jetzt Krieg in der Ukraine. Es kam anders als erwartet, oder?
Bernhard Spalt: Um mit unvorhergesehenen Entwicklungen umzugehen, hilft mir zum Glück meine Vergangenheit als Risikomanager. Wir haben in der Tat weder mit einer Pandemie gerechnet noch mit einem Krieg in Europa. Aber die Erste Group hat viel investiert, um möglichst gut durchzukommen; bislang sehr erfolgreich. Aber wir müssen auch erkennen, dass wir vieles, woran wir in Europa lange geglaubt haben, nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen dürfen.

Es gab öfters Nasenrümpfen - auch rund um Ihre Bestellung -, dass nur noch zahlenfixierte Risikomanager Bankenchefs werden. Gibt Ihnen die Geschichte nun sozusagen recht?
Schon die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass es kein Fehler ist, wenn jemand dieses Handwerk beherrscht. Und ich nehme stark an, das wird sich so schnell auch nicht ändern.

Zentral- und Osteuropa, die Kernregion Ihrer Bank, ist aktuell überdurchschnittlich betroffen. Worauf stellen Sie sich ein?
Wir haben in Russland und der Ukraine keine Banken oder Niederlassungen und nur wenige Geschäftsbeziehungen. Die direkte Betroffenheit für uns ist also gering. Die Nähe des Krisengebiets zu Rumänien, das eine 600 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine hat, aber auch zur Slowakei, Tschechien und Moldawien ist aber eine Tatsache. Die humanitäre Dimension des Krieges ist eine unfassbare Tragödie, aber die ökonomischen Auswirkungen halten sich noch in Grenzen. Wesentlich werden die Zweit- und Drittrundeneffekte sein, die vor uns liegen. Die kennen wir noch nicht genau, müssen uns aber trotzdem vorbereiten.

Eine Kombination aus Krieg, Inflation und Angebotsschock wirkt zwingend destabilisierend.

Einer Ihrer Kernmärkte ist Serbien. Dort zeigen der wiedergewählte Präsident und Teile der Bevölkerung offen Sympathien für Putin. Wie geht die Erste mit diesem Risiko um?
Serbien hat sich vor diesem Krieg sehr stark um Annäherung an die EU und Verhandlungen über einen Beitritt bemüht. Die jetzige Situation führt dazu, dass sich Serbien entscheiden muss, ob es einen europäischen oder einen prorussischen Weg gehen will. Das Land steht an einer entscheidenden Weggabelung. Meine Hoffnung ist schon sehr, dass es sich Richtung Europa bewegt, dazu braucht es aber eine starke Ansage der serbischen Politik. Unsere Gruppe legt Wert darauf, dass europäische Werte vertreten werden. Das verlange ich auch von unserer serbischen Bank, und das wird dort auch so gesehen.

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AM ERSTE BANK CAMPUS wurde 2021 mit über 2,9 Milliarden Euro Gewinn (vor Steuern) abgeschlossen. Aber nun steigen die Risikokosten. © Christian Wind

Sie haben die Folgewirkungen angesprochen: sicherlich geringeres Wirtschaftswachstum in Europa und dadurch eine reduzierte Investitionstätigkeit, die Ihre Bank negativ beeinflussen wird. Stimmen Sie zu?
Wir gehen sehr profitabel, kapital- und liquiditätsstark in diese Krise und können bzw. werden dadurch ein wichtiger stabilisierender Faktor sein. Trotzdem gibt es nichts schönzureden: Putins Krieg wird nicht nur Russland ökonomisch in ein Koma versetzen, er wird auch den Westen schwächen. Das kann gar nicht anders sein. Denn der Reichtum der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten basiert vor allem auf einem relativen Frieden. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Eine Kombination aus Krieg, Inflation und Angebotsschock wirkt zwingend destabilisierend. Die Elemente, nach denen wir unser Geschäft zwischen optimistischem Szenario und Worst-Case modellieren, sind nun: Wie lange geht dieser Krieg? Wie weit breitet er sich territorial aus? Hoffentlich nicht Wem schneiden die Sanktionsmechanismen die Lieferketten längerfristig ab? Wie geht es mit der Volatilität der Rohstoffpreise weiter? Die gilt nicht nur für Energie, auch Metalle, Halbleiter usw. werden knapp und immer teurer.

Welche Stellschrauben für diese Modellierung stehen überhaupt zur Verfügung?
Letztlich ist die Erste davon abhängig, wie viel Unternehmen investieren. Ohne Zweifel ist das so, und auch davon, was Privatpersonen investieren und konsumieren. Im Moment sehen wir nach wie vor eine sehr starke Nachfragesituation. Die Unternehmen haben nach der Coronakrise viel Kapital, Liquidität und immer noch volle Auftragsbücher. Aber meine Basisannahme ist schon, dass sowohl Betriebe als auch Private wieder vorsichtiger werden, möglicherweise Investitionen und Konsum verschieben, um mehr Geld auf die Seite zu legen. Ich glaube nicht an eine Rezession, aber an eine Abschwächung und dass die Inflation ein längerfristiges Phänomen sein wird. Die Treiber für die Rohstoffpreise wären derzeit auch durch eine andere Geldpolitik der EZB nicht aufzuhalten.

Es wäre für die EZB an der Zeit, mit dieser exzessiven Geldpolitik aufzuhören.

Sollte die EZB trotzdem die Zinsen erhöhen, um Inflation zu dämpfen?
Es wäre an der Zeit, mit dieser exzessiven Geldpolitik aufzuhören und einmal Signale zu setzen. Andere Länder, die nicht im Euro sind, haben zum Teil vehement reagiert. Tschechien ist jetzt schon bei fünf Prozent Zinsen, ähnlich sieht es in Ungarn und Rumänien aus. Und obwohl durch diese Schritte Kredite weniger leicht leistbar sind, wurde die Wirtschaft nicht abgewürgt, was ja immer die Angst ist.

Sie haben Akquisitionen in Osteuropa in Aussicht gestellt. Sind die on-hold, bis sich die Nebel lichten?
Ich glaube das Gegenteil. Immer in solchen Krisen werden Geschäftsmodelle neu organisiert, und Spieler ziehen sich womöglich aus Märkten zurück, wodurch sich neue Opportunitäten ergeben. Ich würde das als ein verbessertes Chancenumfeld betrachten. Erst im Dezember haben wir die Firmenkundentocher der Commerzbank gekauft.

Stellen Sie sich darauf ein, dass große Unternehmenskunden durch die hohen Energiepreise und andere Einflüsse ins Trudeln geraten?
Ich nehme an, dass es zu Stresssituationen kommen wird. Aber der Insolvenz-Tsunami hat schon während und nach Corona nicht stattgefunden. Zugegeben ist die Situation jetzt anders, unsere Risikokosten werden steigen. Sie werden aber beherrschbar bleiben.

Auch wenn aufgrund von Gasknappheit die Industrie stillsteht?
Dann haben wir ein anderes Thema. Die Politik, nicht nur in Österreich, wird in einem solchen Fall interventionistisch einschreiten müssen. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass man alles mit Steuergeld erschlagen sollte, bin aber zuversichtlich, dass genug Geld von der öffentlichen Hand und Innovationskraft der Wirtschaft vorhanden wäre, um selbst so ein dramatisches Problem in einem Schulterschluss zwischen Regierung und Industrie zu lösen. Ich glaube, dass im Moment gerade einige Paradigmen umgeschrieben werden.

Um von russischem Gas wegzukommen werden wir über Brückentechnologien anders nachdenken müssen.

Mag sein. Allerdings gilt immer noch, dass die meisten Industrieproduktionen Gas benötigen.
Worauf ich hinaus wollte: Während Corona hat man begriffen, dass anders als in den letzten Jahrzehnten, als vom Klimawandel nur geredet wurde, die Klimakrise das zentrale Thema bleibt. In deren Bekämpfung fließt das große Geld. Daran orientieren sich die europäischen und internationalen Programme. Allerdings kommt jetzt dieser russische Krieg hinzu. Der ändert zwar nichts an den Klimazielen, aber der Weg dorthin schaut möglicherweise anders aus, als man es sich vorgestellt hat. Um, so schnell es geht, von russischem Gas wegzukommen, werden wir über Brückentechnologien anders nachdenken müssen, bis wir das Ziel der CO2-Neutralität erreicht haben. Die Politik wird sich überlegen müssen, wie wir unabhängig von einem Lieferanten werden können, der uns möglicherweise größte Schwierigkeiten bereitet.

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Erste Group CEO Bernhard Spalt: "Man kann sich in solchen Zeiten öfters vielleicht nur zwischen schlecht und noch viel schlechter entscheiden." © trend / Lukas Ilgner

Heißt das implizit, dass Investitionen in die Klimawende und in den Ersatz von russischem Gas parallel schwer möglich sind, weil uns das finanziell überfordern würde?
Nein, man muss beides machen und formulieren, wie eine nachhaltige Energieversorgung für Europa aussieht. Gleichzeitig müssen Technologien finanziert werden, die uns über die Zeit helfen. Das ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, wobei auch festzulegen ist, wer die trägt. Aber ich kann nicht sagen, ich nehme kein russisches Gas mehr und schalte alles ab. Wir müssen ehrliche Antworten geben. Die Diskussion über Atomkraft in einigen Ländern Europas ist dafür ein Beispiel. Man kann sich in solchen Zeiten nicht immer nur zwischen gut und schlecht entscheiden, sondern vielleicht nur zwischen schlecht und noch viel schlechter.

Wenn Europa jetzt etwa in zusätzliche Flüssiggasversorgung investiert, ist die in zehn Jahren nicht mehr viel wert, weil wir dann ja auf erneuerbare Energien umgestellt haben wollen. Wer finanziert das?
Das ist ganz genau der Punkt. Durch diesen Krieg muss noch mehr Geld in die Hand genommen werden, und wahrscheinlich müssen Entscheidungen wie diese getroffen werden. Darum brauchen wir eine Diskussion über die Verteilung von Kosten, die betriebswirtschaftlich nicht argumentiert werden können, sondern nur strategisch. Im Sinne der Transparenz muss geklärt sein, wer zahlt.

Um von russischem Gas wegzukommen werden wir über Brückentechnologien anders nachdenken müssen.

Zu guter Letzt zahlt immer jeder von uns ...
Ja, aber nicht jeder gleich viel.

Geben Sie uns recht, dass die von Putin ausgelöste Krise viel dramatischer ist als die Pandemie, weil das massiv zerstörte Vertrauen noch sehr lange globale Warenströme hemmen wird?
Vergleichbar bei beiden Krisen ist, dass eine Rückkehr zum Status quo ante nicht stattfinden wird. Ich sehe es aber auch so, dass dieser Krieg viel langfristiger wirken wird. Die Welt wird insofern nie wieder so sein wie davor, als nicht nur Warenströme, sondern ganze Regionen und globale Partnerschaften neu definiert werden müssen. Wir werden Geschäftsmodelle ändern und uns daran anpassen müssen.

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PUTIN-VERSTEHER Aleksandar Vucic wurde als Präsident Serbiens wiedergewählt. Das Land, ein Kernmarkt der Erste Group, müsse sich entscheiden, so Spalt. © Getty Images

Die Globalisierung wird zurückgedreht?
Nicht auf Dauer. Eine Zeit lang wird es große Belastungen geben. Aber die Dynamik wird zurückkehren. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die private Wirtschaft über ausreichend Kreativität verfügt, um zu Energie, Waren und auch Arbeitskräften zu kommen. Sie wird auch diese Krise gut überstehen.

Zwei Grundsätze der Erste Stiftung lauten: "finanzielle Gesundheit für alle" und "ein demokratisches Europa erhalten". Beide sind momentan bedroht, Lösungen nicht wirklich absehbar.
Auch da bin ich ein bisschen optimistischer. Der Aggressionskrieg bewirkt etwas, was vorher nicht der Fall war, nämlich ein enges Zusammenrücken von Europa, ein Wachrütteln. Die Erste Group wird jedenfalls alles in ihrer Kraft stehende dazu beitragen, diese Grundsätze zu fördern, weil Demokratie, Frieden und Wohlstand untrennbar miteinander verbunden sind. Wobei ich einräume, dass Wohlstand für alle derzeit eine besondere Herausforderung ist. Eine so hohe und so nachhaltige Inflation trifft am stärksten die Einkommensschwächeren. In Kombination mit extrem steigenden Immobilienpreisen können sich breite Schichten eine Erstwohnung nicht mehr leisten. Und das will man mit Blick auf soziale Stabilität sicher nicht haben. Wir werden eine Rolle spielen, um da Abhilfe zu schaffen. Österreich hat in den letzten sechs Jahrzehnten mit genossenschaftlichem, gemeinnützigem und gefördertem Wohnbau Großartiges geschaffen. Und wir werden in dieses Segment noch viel stärker mit Finanzierungen einsteigen, nicht nur in Österreich. Auch in Tschechien, der Slowakei und Rumänien haben wir Gesellschaften gegründet, die dafür sorgen werden, dass Wohnungen gebaut werden können, die leistbar sind.

Investitionen in Wirtschaftswachstum sind noch immer der richtige Weg, um Vermögen aufzubauen.

Liegt das Problem nicht tiefer? Unter dem Schlagwort Financial Health propagiert Ihr Haus, sich mit Wertpapierinvestments aus der Falle der niedrigen Zinsen zu befreien. Es sind jedoch auch auf den Kapitalmärkten Verluste zu beklagen. Und der große Crash kommt vielleicht erst.
Investitionen in Wirtschaftswachstum sind noch immer der richtige Weg, um Vermögen aufzubauen. Dass auf diesem Weg Volatilitäten lauern, ist gar keine Frage, und wenn eine starke Korrektur noch kommt, werden darunter viele leiden - wir auch. Aber wer wie ich daran glaubt, dass wir im Westen immer noch Ökonomien schaffen können, die wachsen über die nächsten fünf, zehn, zwanzig Jahre, der muss dort hinein investieren, keine Frage.

Sie rechnen auf längere Sicht mit intakten Kapitalmärkten?
Absolut, die nächsten ein, zwei Jahre werden wie gesagt von Schwankungen geprägt sein. Aber langfristig gehe ich von guten Wachstumschancen aus.

Das gilt offenbar für viele Erste-Manager, die jüngst Aktien des eigenen Unternehmens nachgekauft haben ...
Fast alle haben gekauft. Es gibt ja auch gar keinen Grund, das nicht zu tun. Dieses Unternehmen hat in den letzten Jahren großartige Ergebnisse abgeliefert und wird das weiter tun. Aus meiner Sicht gehen wir auch mit schwierigen Voraussetzungen gut um.

Es gab den Plan, privaten Anlegern über Fonds direkte Investments in Unternehmen zu erleichtern. Viel ist dann aber nicht gekommen. Es ist genau gar nichts gekommen.
Das liegt aber nicht an uns. Wir vertreten seit meinem Antritt den Standpunkt, dass wir den erhöhten Kapitalbedarf europäischer Unternehmen und die enormen Summen an gespartem Geld zusammenbringen wollen, damit Sparer in einen österreichischen oder europäischen Aufschwung investieren können. Dazu liegen seit zwei Jahren von uns Vorschläge an die Politik auf dem Tisch, die keine Klientelpolitik sind, sondern etwa in Luxemburg, England und vielen zivilisierten Kapitalmärkten eine Selbstverständlichkeit sind: dass nämlich private Anleger in lokale Unternehmen, in Fonds für die regionale Wirtschaft investieren können. In der Regierung ist zwar niemand dagegen, trotzdem ist noch immer nichts gesetzlich umgesetzt. Warum, weiß kein Mensch. Es spricht auch nichts Strukturelles oder Parteipolitisches dagegen. Es interessiert nur offenbar nicht genug. Leider. Es braucht ein Gesetz, damit Wagniskapital in Fonds gegossen und depotfähig gemacht werden kann. Derzeit kann ich in Österreich nur in eine GmbH & Co KG investieren. Das ist Steinzeit.

Eine persönliche Frage noch: Sie haben sich gegen markige Sprüche und gegen Aktionen, die Eskalation erzeugen könnten, gewandt. Darf man auf Kriegsverbrecher irgendeine Rücksicht nehmen?
Ich habe nur appelliert, nicht voreilig von Schutzschirmen usw. zu sprechen, sondern nachzudenken, bevor man zu voreiligen Schlüssen kommt. Keineswegs rede ich einem moralfreien Pragmatismus das Wort. Es darf keine Kompromisse in den Sanktionsregimen geben, auch wenn es uns Wohlstand kostet.

ZUR PERSON

Bernhard Spalt, geb. 1968, ist Jurist und startete 1991 in der Rechtsabteilung der Erste Bank. Er bekleidete Managementfunktionen in diversen Konzerntöchtern in Osteuropa und baute das Konzernrisikomanagement auf. 2018 wurde er zum Risikovorstand bestellt, seit Jänner 2020 ist Spalt CEO der Erste Group und auch Spartenobmann in der Wirtschaftskammer.

Das Interview ist ursprünglich in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 15. April 2022 erschienen.

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