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"Firmen haben heute einen klaren Auftrag an uns"

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9 min

Aon Österreich Vorstandschef Marcel Armon

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AON-Geschäftsführer Marcel Armon im trend. Interview über Ereignisse, für die es keine Polizzen gibt, den Trend zur Eigenversicherung und die Zurückhaltung vieler Versicherungen bei neuen Technologien.

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Die Nachrichten liefern uns täglich Katastrophenmeldungen aus aller Welt, die ursächlich mit der Klimakrise zusammenhängen. Lassen sich Schäden biblischer Ausmaße überhaupt noch versichern?

Marcel Armon

Sie vermuten richtig. Das lässt sich immer schwerer versichern. Das Thema Naturkatastrophen beschäftigt derzeit die Versicherungswirtschaft sehr und ist ein großes komplexes Thema geworden. Da passiert es immer wieder, dass die „alten“ Geodatenberechnungen im Vorfeld nicht das Bild hergegeben haben, das aktuelle Katastrophenereignisse immer wieder unter Beweis stellen.

Naturgewalten sind ein Risiko, aber nicht das was Unternehmen bzw. Risikomanager am meisten fürchten. In den letzten Jahren standen Cyberrisken ganz oben. Ist das noch so?

Marcel Armon

Ende 2021 war Cyber noch auf Platz 1. Mittlerweile zeigt sich aber ein ganz anderes Bild. Wir befragen regelmäßig 1600 Risikomanager weltweit, erst kürzlich wieder. Das Thema „Inflation“ führte das Ranking an, gefolgt vom befürchteten Risiko der „Finanzkrise“ und dicht dahinter das Risiko der „Energiekrise“. Cyber kommt „erst“ auf Platz 4. Die letzten Umfragen zeigten auch sehr deutlich, dass die Risikomanager die Risken als sehr eng verknüpft und interagierend betrachten.

Ein Unglück kommt also selten allein. Wie reagieren heimische Unternehmen darauf?

Marcel Armon

In der österreichischen Wirtschaft ist ein sehr hohes Risikobewusstsein vorhanden. Die Unternehmen betrachten und modellieren ihre Risiken, sie versuchen zu aggregieren, anstatt nur zu reagieren. Vor fünf Jahren hat sich ein Top 50-Unternehmen Risken noch klassisch modellieren lassen. Was passiert im Fall einer Überschwemmung, eines Stromausfalls oder dem Ausfall eines Vorlieferanten. Was die Unternehmer inzwischen gelernt haben – eben durch die Pandemie – dass man nicht mehr einzelne Risken isoliert betrachten kann.

Der Versicherungsbedarf ist deutlich höher, man geht davon aus, dass zwei oder drei Dinge gleichzeitig passieren. Wir schauen uns daher mit unseren Kunden heute eine Akkumulation von Risikobildern an. Was passiert also, wenn sich mehrere Krisen/Risiken stapeln, gleichzeitig zusammenkommen. Haben die Unternehmen genug Eigenkapital, um das abzufedern? Und wenn nicht, wie können Unternehmen so ein Szenario finanzieren?

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Aon Österreich Vorstandschef Marcel Armon: "Der Versicherungsbedarf ist deutlich höher als vor fünf Jahren"

 © trend / Wolfgang Wolak

Steigt die Bereitschaft, mehr Risken zu tragen, wenn sie nicht mehr versicherbar sind?

Marcel Armon

Versichern heißt nichts anderes, als das Risiko von der eigenen Bilanz auf die des Versicherers zu übertragen. Aber das ist nicht das einzige Instrument, mit einem Risiko umzugehen. Es gibt alternative Instrumente, und genau damit beschäftigen sich Risikomanager österreichischen Unternehmen heute deutlich stärker.

Wir sind viel in der Großindustrie unterwegs. Ein Gewerbetreibender hat selten die Mittel und Möglichkeiten und denkt daher weiter in Versicherungsprodukten. Große Unternehmen denken jedoch Bewältigungsstrategien. Dabei ist Versicherung nur eine Option. Unternehmen sind mehr als früher bereit, Risiken selbst zu tragen. Die Versicherung ist nicht immer die erste Antwort auf das Risiko.

Versichern heißt nichts anderes, als das Risiko von der eigenen Bilanz auf die des Versicherers zu übertragen.

Marcel ArmonVorstandschef Aon Österreich

Gegründet wurde Ihr Unternehmen als klassischer Versicherungsmakler, heute bezeichnen Sie sich als „holistischer Risikoberater“. Wie hat sich Ihr Business verändert?

Marcel Armon

Die Firmen haben heute einen klaren Auftrag an uns: Modelliert uns das Zusammenspiel verschiedener Risikobilder, reduziert die Komplexität, gebt uns eine Entscheidungsbasis, die wir verstehen. Wir haben früher Versicherungsleute eingestellt, gute Verkäufer, gute Berater, gute Schadensleute. Mittlerweile haben wir im Unternehmen beispielsweise eigene IT-Forensiker, eine Vielzahl von Mathematikern, Geologen und Ingenieure. In einigen Fällen müssen wir die Unternehmen zunächst einmal versicherbar machen.

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Aon Vorstandschef Marcel Armon im Gespräch mit trend-Redakteurin Barbara Steininger

 © trend / Wolfgang Wolak

Es ist immer wieder erstaunlich, wie unzureichend mache Firmen hinsichtlich Cyberrisiken aufgestellt sind.

Marcel ArmonVorstandschef Aon Österreich

Wenn es immer weniger Standardprodukte für komplexe Risken gibt, was können Sie den Kunden sinnvollerweise noch anbieten?

Marcel Armon

Wir haben uns stark verändert. Wir haben mit „White Rock“ selbst eine Art „Versicherungsgesellschaft“ für unsere Kunden gegründet, in der wir eine Reihe von Erst- und Rückversicherungsintrumente eingebracht haben.

Um genauer zu sein eine „Protected Cell Company“. Über die können Unternehmen – die groß genug sind – sich einen Bereich (eine Zelle) anmieten, selbst Geld ansammeln und müssen es nicht in der Bilanz zurückstellen. Das ist ein steuerlich und aufsichtsrechtlich geprüftes Risikotragungsmodell. Zurzeit verwalten wir für mehr als 250 unserer Kunden solche Selbsttragungsmodelle innerhalb unserer White Rock – Tendenz steigend.

Wie funktioniert das in der Praxis, und für welche Unternehmen kann sich das auszahlen?

Marcel Armon

Nehmen Sie ein großes Unternehmen aus OÖ. Sie haben alle Risken modelliert und brauchen eine Milliarde Euro – im schlimmsten Krisenfall. Über eine Captive „sparen“ sie jedes Jahr ein paar Millionen an, auf sie die im Krisenfall zurückgreifen können. Bleiben sie unter einer gewissen Schadenssumme, die vorher definiert wird, tragen sie das Risiko selbst, darüber nimmt es die Rückversicherung ab.

Versicherungen sind zurückhaltend, wenn es um die Absicherung von neuen Technologien geht, weil diese teilweise noch nicht erprobt sind.

Marcel ArmonVorstandschef Aon Österreich

Gibt in Österreich tatsächlich eine Nachfrage nach solchen Eigenversicherungen oder sind das Einzellösungen?

Marcel Armon

Wir machen das seit 2006. In der österreichischen Wirtschaft ist in den letzten zwei Jahren eine echte Nachfrage entstanden. Zum einen, weil die Versicherungen in der Pandemie ihre Preise erheblich angezogen haben. Ich erinnere mich an einen größeren Unternehmer aus Salzburg, der meinte: Ich bin enttäuscht über die Versicherungswirtschaft. Wenn ich kann, vermeide ich das und mache mich unabhängiger von den Versicherungen. Eine solche Eigentragungsstrategie geht mit einer Machbarkeitsstudie einher: Bei zehn sind es meist zwei, für die es sich wirklich lohnt.

Wie wirkt sich die angespannte Wirtschaftslage auf die Versicherungswirtschaft aus?

Marcel Armon

Es gibt immer genügend Geld am Markt. Das muss ich immer wieder feststellen. Wir haben auch einen Rückversicherungsarm im Haus und können dadurch hinter die Bühne blicken. Wenn große Unternehmen Zugang zum Rückversicherungskapital bekommen, selbst Risiken modellieren und vorsorgen können, werden sie immer weniger an die Versicherer abgeben. Das ist ein klarer Trend und wir unterstützen die Unternehmen auf diesem Weg.

Sie haben unlängst betont, einer „eher nicht sehr innovativen“ Versicherungswirtschaft gegenüber zu stehen. Woran machen Sie das fest?

Marcel Armon

Wenn wir mit einem innovativen Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energie sprechen, tun wir uns schwer, dafür problemlos eine Versicherung zu bekommen? Die Versicherungen sind zurückhaltend, wenn es um die Absicherung von neuen Technologien geht, weil diese teilweise noch nicht erprobt sind. Man muss Innovation im Zusammenhang mit einer Energiewende auch begleiten und unterstützen. Das Paradoxe an der Sache ist, dass die Versicherungen im deutschsprachigen Raum aber auch nicht mehr die alte Industriewelt versichern möchten, die Unternehmen, die beispielsweise mit Braunkohle arbeiten, also nicht ESG konform sind.

InvestInterview

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