Michael Wagenhofer, Geschäftsführer der ORS Group und Sprecher der Frequenz-Allianz Österreich.
©ORF/Thomas RamstorferGASTKOMMENTAR von Michael Wagenhofer: Warum die Regierung auf unsere Infrastruktur aufpassen muss: Die Politik entscheidet bei der Neuvergabe der UHF-Frequenzen im Bereich 470-694 MHz über die Zukunft ganzer Branchen.
Der terrestrische Rundfunk - Antennenfernsehen, UKW und digitales "DAB+"-Radio - hat sich in all den Krisen der jüngsten Zeit als systemrelevant erwiesen, bei der Informationsvermittlung ebenso wie bei der Wahrung der Meinungsvielfalt. Der terrestrische Rundfunk hat aber auch seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt: Beim Antennenfernsehen wurde die Programmvielfalt enorm gesteigert, der nahtlose Übergang vom analogen ins digitale und hochauflösende TV-Zeitalter vollzogen und innovative digitale Übertragungslösungen entsprechend den geänderten mobilen Konsumgewohnheiten etabliert.
Derzeit nutzen rund 470.000 österreichische Haushalte digital-terrestrisches Fernsehen für den stationären Empfang. Im Gegensatz zur Internetverbreitung versorgt das belastbare terrestrische Fernseh- und Radionetz die Bevölkerung unabhängig von Last, Netz und Energie verlässlich mit vertrauenswürdigen Inhalten und Informationen. Apropos Energie: Digitales Antennenfernsehen benötigt im Vergleich der Übertragungstechnologien, vor allem im Gegensatz zum Streaming, viel weniger Energie und erzielt dadurch einen vorteilhaften Klimaeffekt.
Diese wichtige Infrastruktur, die man öffentlich nur über ihre spektakulären Sendemasten am Pfänder, Kahlenberg oder Dobratsch wahrnimmt, benötigt für ihren Erhalt jedoch langfristige, stabile Rahmenbedingungen.
Politik entscheidet über weiteres Schicksal.
Genau um das Schicksal der weiteren Rahmenbedingungen geht es bei der Weltfunkkonferenz 2023, wo über die zukünftige Nutzung der bewährten Rundfunk- und Kulturfrequenzen im UHF-Spektrum verhandelt wird. Das 800-MHz-und 700 MHz-Frequenzband wurde für den Mobilfunk anstandslos geräumt, aber der Frequenzappetit der Branche ist weiterhin groß. Das Frequenzspektrum im Bereich 470-694 MHz ist jedoch die letzte verbliebene Grundlage für den Rundfunk, daher existenziell und alternativlos.
Noch bis 2030 ist die primäre Nutzung seitens der Europäischen Union gesichert, die darüber hinausreichende Widmung soll bei der Weltfunkkonferenz entschieden werden. Das mag nach einer langen Zeitspanne klingen, reicht für die Planung und Refinanzierung von Zukunftstechnologien bei der Rundfunkübertragung wie 5G Broadcast jedoch nicht aus. Was einen umso bittereren Beigeschmack hat, als das Antennenfernsehen mit 5G Broadcast am Beginn einer neuen TV-Ära steht, die eine vom Programmanbieter bis zum Endkunden gewinnbringende Koexistenz von Mobil- und Rundfunk ermöglicht, und die ORF-Tochter ORS federführend an der Definition, Erprobung und gerade beginnenden Markteinführung dieses Standards involviert war. Ohne die Erhaltung des UHF-Bands für den Rundfunk über 2030 hinaus wäre diese Erfolgsgeschichte bereits zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat.
Auch Kultur- und Kreativwirtschaft betroffen.
Neben dem terrestrischen Fernsehen ist auch die Zukunft des Radios sowie des Kunst- und Kulturbetriebs untrennbar an die Nutzung des UHF-Spektrums geknüpft. Funkmikrofone und zahlreiche weitere drahtlose Geräte in der Medienproduktion, bei Konzertveranstaltungen sowie auf Theater- und Kulturbühnen funktionieren ausschließlich in diesem Frequenzbereich. Die Kreativwirtschaft hat eine starke Hebelwirkung auf die gesamte Wirtschaft und generiert Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung. Damit entscheidet die Politik nicht nur über die zukünftige Frequenznutzung, sondern vielmehr über das Schicksal ganzer Branchen und Wirtschaftszweige. Kein Wunder, dass sich TV-, Radio- und Kulturveranstalter in ganz Europa gegen eine Verwässerung ihrer letzten Frequenzressourcen massiv wehren.
Bei der künftigen Widmung des UHF-Spektrums muss auch mitbedacht werden, dass die unabhängige und faktenbasierte Information unverzichtbar für die Demokratie und auch die Sicherheit der Bevölkerung ist. Doch nur wenn die Infrastruktursouveränität weiterhin gewährleistet ist, können terrestrisches Fernsehen und Radio auch in Zukunft als verlässlicher Verbreitungsweg fungieren. Gerade in Hinblick auf Krisen- und Katastrophenfälle - wie die Covid-Pandemie oder den Ukraine-Krieg - gilt es daher, die Hoheit über das entsprechende Sendernetz sicherzustellen und nicht in die Hände von "Gatekeepern" oder profitorientierten Telekomunternehmen zu legen.
Der Gastkommentar ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 11. November 2022 entnommen.