trend: Herr Zeiler, wenn es um die Unabhängigkeit des ORF geht: Gibt es bessere Finanzierungsmodelle als die jetzt diskutierte Haushaltsabgabe?
Gerhard Zeiler: Man hätte nach dem Verfassungsgerichtshofurteil die bisherige Gebührenfinanzierung natürlich auch reparieren können. Ob das aber jetzt Gebührenfinanzierung oder Haushaltsabgabe heißt, ist relativ egal - auch für die Konsumenten. Die Grundlage ist, dass alle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen und dass das nicht aus dem allgemeinen Staatsbudget kommt. Denn sonst würde die Regierung Jahr für Jahr über das ORF-Budget entscheiden. Auf der anderen Seite bedeutet jede Idee, dass man nur noch freiwillig bezahlt, so wie die FPÖ das fordert, das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und das wäre nicht gut für unsere demokratische Gesellschaftsordnung.
Für die britische BBC wird ein hybrides Finanzierungsmodell ab 2027 diskutiert: verpflichtende Gebühren für ein Basisprogramm, on top ein Abo-Modell wie die Streamingplattformen. Das wäre doch ein Preissignal, das mehr Markt abbilden würde, oder?
Der ORF konnte sich nie nur auf die Gebührenfinanzierung verlassen, er musste sich mit den Werbeerlösen immer eine breite Finanzierung erarbeiten, Werbefinanzierung ist ja ein Marktmodell. Meine Prophezeiung für Großbritannien ist: Keine Regierung wird das bestehende Modell antasten. Die Tory-Regierungen hätten das längst getan, wenn sie wirklich gewollt hätten. Der Grund: Die BBC wird als Institution von den Menschen gewünscht. Ein Abo-Modell zusätzlich zur Gebühr würde am Ende bedeuten, dass man doppelt bezahlt.
Die politischen Attacken auf die BBC, zuletzt aber auch auf ARD und ZDF in Deutschland und den ORF, haben nichts damit zu tun, dass die Öffentlich-Rechtlichen grundsätzlich in Gefahr sind?
Leider haben wir in den meisten Ländern der westlichen Welt immer gespaltenere Gesellschaften, und das bringt immer öfter auch die öffentlich-rechtlichen Sender in die Kritik. Eine "Kurier"- Umfrage der letzten Woche zeigt, dass insbesondere die FPÖ-Wähler, aber teilweise auch die Grünwähler die Fairness der Berichterstattung im ORF am stärksten in Frage stellen. Aber die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sieht das nicht so.
Ist das europäische TV-System prinzipiell besser als das US-amerikanische, das praktisch zur Gänze privatwirtschaftlich organisiert ist?
Ja. Da sind wir besser aufgestellt. Das Zusammenspiel zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ist gegeben. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir auch in Österreich einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen, der fünf zentrale Aufgaben hat: für eine unabhängige Berichterstattung zu sorgen, ein Programmangebot für alle anzubieten, dem österreichischen Kulturgut eine Bühne zu bieten, die Transformation vom linearen zum digitalen TV voranzutreiben und dies alles mit größtmöglicher Effizienz umzusetzen.
In diesem Sinne können ja auch private Anbieter Public-Value-Inhalte herstellen. Sollten Puls 4, ServusTV &Co. dann in den Gebührentopf greifen können, so wie das mit der Haushaltsabgabe in der Schweiz der Fall ist?
Wenn die österreichische Medienpolitik Public Value in Zeitungen, Magazinen oder Privat-TV fördern will, dann kann sie das. Ich würde das aber nicht mit der Finanzierung des ORF vermischen.
Die ÖVP-Medienministerin Raab besteht öffentlichkeitswirksam auf einem "ORF-Rabatt", wir sahen zuletzt patzige Kanzlerinterviews im öffentlich-rechtlichen Sender. Hat sich das Verhältnis zwischen Regierung und ORF über die Jahre hinweg verschlechtert?
Da müssen Sie die Regierung fragen, aber im Prinzip ist eine politische Partei nie mit einer echten unabhängigen Berichterstattung zufrieden. Dass die Ministerin eine öffentliche Sparforderung an den ORF stellt, ist aus meiner Sicht Verhandlungsgeplänkel, das ich nicht überbewerten würde. Insgesamt glaube ich, dass der ORF in den letzten Jahren sehr wohl effizienter geworden ist, auch wenn mit Sicherheit die eine oder andere Einsparmöglichkeit noch besteht. Ich verstehe jedoch nicht, warum der Generaldirektor seine Einsparungen, wie den absolut niedrigsten Gehaltsabschluss von 2,1 Prozent, nicht stärker für seine Argumentation verwendet hat. Selbst die Politikerbezüge wurden um 5,3 Prozent erhöht, alle anderen Abschlüsse liegen zwischen sieben und neun Prozent.
Es gibt bereits Petitionen gegen das Aus von ORF Sport plus als linearen Kanal und Aufschreie wegen des angeblich nicht mehr finanzierbaren Radio-Symphonieorchesters oder des Filmportals Flimmit. Sind die Einsparziele von 300 Millionen Euro bis 2026 ohne solche großen Einschnitte bewältigbar?
Ich kenne weder die endgültige Zahl, noch die konkreten Pläne des Generaldirektors, also kann ich Ihnen auf diese Frage keine Antwort geben. Wenn sich die kolportierten 300 Millionen aus Einsparungen der nächsten vier Jahre bis 2026 zusammensetzen, dann ist das noch immer viel, aber bewältigbar.
Bei den Sportrechten, haben Sie unlängst gesagt, gäbe es durchaus noch Sparpotenzial. Geht über die bekannten ORF-Kooperationen wie bei Fußball und Formel 1 mit ServusTV hinaus noch mehr?
Wenn man in einem dualen System arbeitet, ist es vernünftig, dass man bei Sportrechten zusammenarbeitet.
Hätte etwa Eurosport, das zu Warner Bros. Discovery (WBD) International gehört, Interesse an den Rechten für Skirennen wie Kitzbühel, die seit jeher in ORF-Hand sind - wenn sie verfügbar wären?
Wenn Rechte auf den Markt kommen, schauen wir uns so etwas grundsätzlich immer an. Das gilt auch für den Skisport, auf den wir bei Eurosport ja stark setzen.
Braucht der ORF neun Landesstudios?
Ja. Sie sind notwendig und sinnvoll. Die Bundesländerprogramme sind ein wesentlicher Bestandteil des ORF-Programms. An ihnen, insbesondere an der Sendung "Bundesland heute", wird keiner rütteln. Allerdings bin ich auch überzeugt, dass es bei den Overheadkosten der Landesstudios noch Spielraum für Effizienzsteigerung gibt.
Die redaktionelle Unabhängigkeit ist gerade in den Landesstudios, siehe Niederösterreich, zuletzt wieder stark in Zweifel gezogen worden. Ist das mit dem Anspruch vereinbar?
Unabhängige Berichterstattung ist die Daseinsberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das gilt für alle Sendungen. Es mag in den Landesstudios durch die Nähe der Akteure schwieriger durchzusetzen sein, aber der Großteil der Landesstudios macht das sehr gut. Dass es einige wenige "schwarze Schafe" gibt, ist allerdings auch kein Geheimnis.
Zeitgleich mit der Finanzierungsreform soll es auch eine Digitalnovelle geben. Dem ORF zu verwehren, dass er seine Inhalte ausschließlich oder zuerst auf digitalen Kanälen ausspielt und dass seine Inhalte länger als sieben Tage abrufbar sind - das ist politische Gängelei, oder?
Es ist Dummheit und eine Frotzelei des Publikums. Ich muss dem Konsumenten, der dafür bezahlt, doch die Möglichkeit geben, sich die Inhalte auf allen Kanälen anzuschauen, und zwar dann, wann er es will.
Die "ZiB" muss also auch auf TikTok sein?
Sie muss nicht zwingend auf TikTok sein, aber sie sollte auf allen Plattformen sein, wo Menschen sie ansehen wollen.
Ihr Vertrag bei WBD läuft bis Mitte 2025. Können Sie sich vorstellen, noch einmal ins Match um den SPÖ-Vorsitz oder die Kanzlerschaft einzusteigen?
(Lacht lange.) Ich habe diese Frage in den letzten Jahren sicher 50-mal beantwortet. Die Antwort war immer die gleiche und sie besteht aus einem Wort mit vier Buchstaben: Nein, ich werde mit Sicherheit nicht gegen die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner antreten.
ZUR PERSON
Gerhard Zeiler, 67, führt das internationale Geschäft des vor zehn Monaten fusionierten Medienkonzerns Warner Bros. Discovery (WBD). Zu den WBD-Marken gehören u. a. CNN, Cartoon Network, Eurosport, Discovery, DMAX und Warner TV. 41 ihrer 95 Millionen Abonnenten haben die WBD-Plattformen in rund 200 Märkten außerhalb der USA und Kanadas - Zeilers Reich. Der gebürtige Ottakringer war Pressesprecher des früheren Kanzlers Fred Sinowatz, wechselte 1986 als Generalsekretär in den ORF, wohin er nach Stationen bei Tele 5 und RTL II 1994 als Generalintendant zurückkehrte. 1998 wurde er RTL-Chef, 2012 Präsident von Turner Broadcasting International. 2016 war er im Gespräch für den SPÖ-Parteivorsitz.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 24. Februar 2023 entnommen.