Franz C. Bauer, trend-Redakteur
©trendDas neue Lieferkettengesetz soll ein Problem lösen, das Konsumenten und Aktionäre unbürokratischer aus der Welt schaffen könnten.
Tausende Tote nach einem Giftgasunfall in einer Fabrik des US-Konzerns Union Carbide in der indischen Stadt Bhopal. Mehr als 1.000 Tote nach einem Brand in einer Textilfabrik in der Nähe von Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Kinderarbeit in den Minen Afrikas, systematische Umweltverschmutzung durch industrielle Produktion in Entwicklungsländern, Zustände in fernöstlichen Fabriken, die kaum von Sklavenarbeit zu unterscheiden sind – hinter zahlreichen Produkten des Alltags stehen Menschenrechtsverletzungen, die Missachtung fundamentaler Arbeitnehmerschutzbestimmungen oder grobe Verstöße gegen den Naturschutz.
Doch damit soll nun Schluss sein – zumindest, wenn es um Waren aus europäischer Produktion geht. Vor wenigen Tagen einigten sich die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten nach langwierigen Verhandlungen auf das so genannte „Lieferkettengesetz“. Dieses soll sicherstellen, dass Unternehmen für grobes Fehlverhalten ihrer Lieferanten zur Verantwortung gezogen werden.
Zwar steht die Zustimmung des Europäischen Parlaments noch aus, doch diese erfolgt aller Voraussicht nach noch vor der Sommerpause. Aus der Sicht von Umweltschutz und Menschenrechten handelt es sich um eine der wichtigsten Gesetzesmaterien der laufenden EU-Legislaturperiode. Beziehungsweise: könnte es sich handeln. Noch vor Inkrafttreten des Gesetzes wird nämlich Kritik von mehreren Seiten laut. Zu zahnlos, so die Meinung mancher NGOs. Zu bürokratisch und zu kompliziert, so die Meinung der Wirtschaft.
Ein Kuhhandel
Tatsache ist: Dass es überhaupt zu dem mehrheitlich angenommenen Gesetzesentwurf kommen konnte, ist einem EU-typischen Kuhhandel zu verdanken. Das Mehrheitsvotum kam unter anderem dadurch zustande, dass Italien ein Entgegenkommen bei der dort kritisch gesehenen Verpackungsverordnung zugestanden wurde. Belgien wiederum gelang es, die Schwelle, von der an Unternehmen der Regelung unterliegen, zu erhöhen.
Waren es zuvor Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro, die sich an die Regelung zu halten gehabt hätten, so gilt das Gesetz jetzt nur noch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern und 450 Millionen Euro Umsatz.
Dennoch konnten sich Länder wie Deutschland, Schweden, aber auch Österreich nicht dazu entschließen, dem Gesetzestext zuzustimmen. Zwar teile Österreich die Grundziele hinsichtlich des Schutzes der Menschenrechte, doch sei man der Meinung, „dass die Ziele der Richtlinie besser und mit viel weniger bürokratischen Aufwand für Unternehmen erreicht werden könnten“, begründete Wirtschaftsminister Martin Kocher in einer Stellungnahme Österreichs Skepsis.
Ähnlich argumentiert Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf. Die EU habe mit dem Gesetz „ein Bürokratiemonster von der Leine gelassen“. Hier sei jedenfalls die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts vernachlässigt worden, so Kopf.
„Nicht ideal“ ist der Text auch für Wifo-Chef Felbermayr, der sich ein Gesetz wünscht, das bei den Lieferanten, also den Verursachern der Verstöße, ansetzt und nicht bei den Lieferbeziehungen.
Große Fragezeichen
Fraglich ist, ob es so einem Gesetz überhaupt gelingen kann, Umweltfrevel oder Menschenrechtsverletzungen einzudämmen. Für europäische Unternehmen können solche Regeln manches bewirken. Was aber, wenn amerikanische, chinesische oder indische Konzerne aus Verstößen gegen die Menschenrechte oder rücksichtsloser Ausbeutung der Umwelt Kostenvorteile gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz ziehen und diese aus dem Markt drängen?
Es gibt aber zwei Gruppen, die weitaus effizienter als zusätzliche Bürokratie für eine „saubere“ Wirtschaft kämpfen können: Konsumenten und Aktionäre.
Dazu ein Vorschlag: Die EU könnte das dichte Netz von diplomatischen Vertretungen und Handelsdelegationen dazu nutzen, um in Kooperation mit lokalen Gewerkschaften und NGOs Missstände aufzuspüren und diese publik zu machen. Unternehmen (und zwar nicht nur solche aus der EU), die mit solchen „Sündern“ kooperieren, kommen auf eine schwarze Liste, und es ist dann uns allen überlassen, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Käuferstreiks sind eine effiziente Waffe, um Manager nachdenklich zu stimmen.
Bereits jetzt wächst weltweit in zahlreichen Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen der Druck der Aktionäre auf die CEOs, verantwortungsvoll zu handeln. Als einer der Ersten stellte der mächtige kalifornische Pensionsfonds CalPERS in Hauptversammlungen Fragen nach Umwelt und Menschenrechten, was rasch zu einem Umdenken auf Vorstandsebene führte. Muss ein CEO um seinen Job fürchten, weil er verwerfliche Praktiken in seiner Lieferkette duldet, ist das weitaus effizienter als ein neues Gesetz mit zusätzlicher Bürokratie.
Der Leitartikel ist der trend. EDITION vom März 2024 entnommen.
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