Greco Group CEO Georg Winter
©Elke MayrGeorg Winter, CEO des auf Industriebetriebe spezialisierten Risiko- und Versicherungsspezialisten Greco, im Interview, über Chancen, Risiken und Weichenstellungen Richtung Zukunft.
Herr Winter, das Unternehmen Greco sieht sich als Risiko- und Versicherungsspezialist für die Industrie. Was genau bedeutet das?
Das Unternehmen wurde als Versicherungsmakler gegründet. Versicherung ist ein klassisches, wirkungsbezogenes Tool: Der Schaden tritt ein, die Gefahr bleibt bestehen, aber seine Auswirkung wird durch die Versicherung abgemildert. Die Versicherung ist aber nur ein Teil der Risikosteuerung. Risikobewältigung findet in mehreren Stufen statt. Wir setzen uns intensiv damit auseinander, wie das heutige und das zukünftige Risiko unserer Klienten aussieht und wie wir dieses Risiko nicht nur versichern, sondern auch bewältigen können. Das beginnt mit dem Vermeiden oder Vermindern.
Wo liegt dabei die größte Herausforderung?
Zur Risikovermeidung sind oft technische, strategische oder organisatorische Schritte nötig. Unsere Risk-Engineering-Unit setzt sich ausschließlich damit auseinander, wie Risiken technisch oder organisatorisch optimiert werden können. Über eine weitere Tochterfirma, Certainity, bieten wir zusätzlich Cyber-Security-Consulting an. Das ist ein sehr wichtiges Thema, auch weil die Versicherbarkeit im Cyber-Bereich sehr beschränkt ist.
Cyber-Angriffe sind ein neues Risiko für Unternehmen, Versicherungen dagegen sind ebenso neu. Sie sind ein Beispiel für die immer wieder neuen Risiken, die auf Unternehmen zukommen. Inwieweit lassen sich solche neuen Risiken überhaupt versichern?
Wir beobachten schon über die letzten Jahrzehnte eine Transformation der Risikolandschaft. In den 1970er Jahren waren die Top-Assets von Unternehmen noch tangible Assets, Fabriken, Gebäude, Maschinen etc. Dafür gab es klassische Risiken wie Feuer oder Hochwasser, die auch mit klassischen Angeboten versicherbar waren. Heute bestehen die Unternehmenswerte aber oft zu über 90 % aus intangible Assets – aus Markenwerten oder Daten. Die kann man nur zum Teil über eine Versicherung absichern oder schützen. Es gibt auch dementsprechend wenig Versicherungslösungen dafür. Außerdem gibt es immer ein Restrisiko. Dessen muss man sich bewusst sein.
Die Herausforderung ist, das Restrisiko richtig zu kalkulieren?
Bei Risiken, die sie nicht greifen können – ich nenne sie mal abstrakte Risiken – zu denen Transformationsrisiken und Zukunftsrisiken gehören, tun sich Unternehmen besonders schwer. Die Einschätzung und Bewertung ist dementsprechend falsch und damit auch die des Restrisikos.
Woran denken Sie, wenn Sie von Transformations- und Zukunftsrisiken sprechen?
Wir haben sie in ökologische Risiken, technologische Risiken, soziale Risiken und geopolitische Risiken eingeteilt. Dabei gibt es jeweils wieder primäre und sekundäre Risiken. Zu den ökologischen Risiken gehört der Klimawandel. Dabei wären primäre Risiken etwa eine steigende Hochwassergefahr oder eine Dürreperiode. Zu den sekundären Risiken rechnen wir die Transformationsrisiken, die sich aus dem Nutzen von Geschäftschancen aus der Transformation ergeben. Darauf fokussieren wir uns sehr stark. Nachhaltige Wirtschaft ist ein wichtiger Prozess, aber sie führt auch immer wieder zu neuen Risiken. Wenn zum Beispiel in einem Produktionsprozess Erdöl oder Erdgas durch Wasserstoff ersetzt wird, hat man ein komplett anderes Risiko. Oder wenn eine Photovoltaikanlage am Dach eines Firmengebäudes installiert wird. Die Anlagen sind gut und wichtig, stellen aber ein neues Risiko dar, das auch in Brandschutzkonzepten davor nicht berücksichtigt war.
Das ökologische Risiko ist auch diffuser, weil man nicht einschätzen kann, wie sich die gesetzlichen Bestimmungen, etwa zu den CO2-Emissionen verändern.
Der Klimawandel ist nicht wegzuräumen. Er ist Fakt. Auch die Rückversicherer beschäftigen sich sehr intensiv damit. Unsere Aufgabe ist, dieses Bewusstsein auch den Unternehmen näher zu bringen. Die Schwierigkeit ist, dass das Thema sehr regulatorisch angegangen wird, wodurch das Thema Nachhaltigkeit negativ konnotiert wird: Man muss Berichte erstellen und es drohen Gefahren. Dementsprechend wird das Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei den Unternehmen oft negativ wahrgenommen. Ja, es gibt das Risiko, dass die Stimmung in die falsche Richtung geht. Dass Unternehmen nicht die Chance daraus, sondern nur die Belastung und den Kostenfaktor sehen.
Müsste vor einer Risikoanalyse daher nicht in einem ersten Schritt eine Chancenanalyse gemacht werden?
Genau das ist es. Und das passiert zu wenig. Wir versuchen daher auch, das Thema Versicherung positiv zu besetzen. Früher war Versicherung immer ein Spiel mit der Angst: Es kann brennen – du brauchst eine Feuerversicherung. Davon müssen wir weg. Risiko hat eine attraktive Schwester, und das ist die Chance. Wenn wir in die Zukunft blicken, blicken wir grundsätzlich immer in Richtung der Chancen. Es liegt aber in der Natur des Menschen, an Risiken zu denken. Auch in Unternehmen wird das Risiko immer stärker bewertet als die Chance.
Sind die Unternehmen vielleicht zu stark in der Gegenwart verhaftet? Müssten Businessmodelle nicht stärker angepasst werden, um zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein?
Richtig. Unternehmen beschäftigen sich immer mit der Risikoidentifikation, mit der Risikosituation im Ist-Zustand. Geschäftsprozesse werden analysiert und Ereignisse nach Auswirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit beurteilt. Dieser Ansatz blendet aber komplett die Zukunft aus. Man muss heute viel mehr in die Zukunft schauen und in der Risikoidentifikation schon eine Risikoprognose anstellen. Etwa wie man ein Unternehmen in Richtung Kreislaufwirtschaft transformiert oder eine bestimmte Recyclingquote erreicht und dafür eine Transformations-Roadmap erstellt. Es ist höchste Zeit, dass wir das tun. Wir müssen uns vorbereiten, uns damit auseinanderzusetzen, wie wir diese zukünftigen Geschäftsmodelle sicher gestalten.
Dazu gehört strategisches und langfristiges Denken. Eine Disziplin und Fähigkeit, die Unternehmen stärker entwickeln müssen?
Man muss agieren und nicht reagieren. Das ist auch eines unserer Prinzipien. Es geht auch darum, Chancen und Risiken, die am Horizont sind oder Beyond-the-Horizon sind, zu erahnen, zu erkennen, zu identifizieren und dann die richtigen Maßnahmen ergreifen. Und dabei nicht vor einer Transformation zurückzuscheuen. Rechtzeitig Change-Management betreiben. Eine Transformation einleiten und die Möglichkeit ergreifen, wenn man sie erkennt. Und nicht erst dann, wenn der Hut brennt.
Eine der größten Herausforderungen für die Wirtschaft ist der demografische Wandel, die bedenkliche Bevölkerungsentwicklung.
Der Arbeitskräftemangel in Österreich ist schlimm, aber noch viel schlimmer ist er in Osteuropa. In manchen osteuropäischen Ländern, zum Beispiel Ungarn, Ukraine, Rumänien oder Bulgarien war der Bevölkerungsschwund in den letzten 30 Jahren noch viel eklatanter als in Westeuropa. In diesen Ländern schrumpft die Bevölkerung zweistellig. Gleichzeitig sind die politischen Rahmenbedingungen dort nach wie vor nicht optimal. Es ist nicht der Platz für junge Talente. Die Jungen gehen.
Und wie reagiert die Wirtschaft?
Das Problem wird generell noch übersehen. Gerade in Osteuropa, wo sehr viele westliche Unternehmen investiert haben. Österreichische, deutsche, französische, oder amerikanische. Vor 10, 20, 30 Jahren gab es dort günstige Arbeitskräfte. Heute gibt es keine mehr.
Wir können den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel aber nicht stoppen.
Aber wir können wieder chancenorientiert handeln. Unternehmen zeigen, wie sie sich zum Beispiel mit Benefits selbst als Arbeitgeber attraktiver machen. Wir bieten dafür auch Mentoring-Programme an.
Wäre es hilfreich, den Arbeitskräften in den jeweiligen Ländern vermehrt Karrierechancen zu ermöglichen?
Ganz genau. Das war auch der Grund, weshalb wir vor rund 30 Jahren die Greco Foundation ins Leben gerufen haben. Deren Stiftungszweck ist, Bildungsprojekte in Zentral- und Osteuropa zu fördern. Wir wollen dort keine Kolonialherren sein und Osteuropa ausbeuten, sondern diese Märkte gemeinsam entwickeln. Den Menschen vor Ort Chancen geben. Und wenn Mitarbeitende und Führungskräfte aus den verschiedenen Ländern in der Gruppe Karriere machen, dann steigert das auch die Diversität, die Vielfalt. Und alle Studien zeigen: Je größer die Vielfalt ist, desto kreativer erfolgreicher sind die Unternehmen.
Brauchen wir eine neue Chancenkultur für die Herausforderungen der Zukunft?
Ich verstehe das als Agilität. Für mich bedeutet das: Raus aus dem Silo, die eigenen Scheuklappen ablegen. Offenheit zu haben, die Chancen zu sehen. Das ist auch wichtig für jeden Manager. Denn genau das ist auch Führung: Man muss auch in schwierigen Situationen – nicht nur bei Schönwetter – die richtigen Entscheidungen treffen.
Herrscht vielleicht zu viel Zukunftspessimismus?
Auf uns prallen von allen Seiten Risiken ein. Aber global betrachtet ist die Lebenssituation für die meisten Menschen viel besser als vor 50 oder 100 Jahren, Ja, es gibt Herausforderungen. Aber das heißt jetzt nicht, dass man den Kopf in den Sand stecken soll. Manager müssen dabei ein aktives Vorbild sein. Leadership zeigen, sich auf Chancen ausrichten. Was auch immer das Neue erfordert.
Steckbrief
Georg Winter
Georg Winter ist CEO der Greco Group mit Sitz in Wien. Der Diplomingenieur für Wirtschaftsingenieurwesen und Industrial Engineering kam nach 7 Jahren bei Aon Austria im Mai 2011 zu Greco, zunächst als Head of Group Risk & Insurance Technique. Im Oktober 2012 wurde er zum CTO bestellt, seit Juli 2022 ist er CEO der Gruppe.
Über GrECo
Die Greco Gruppe (Eigenschreibweise: GrECo) geht zurück auf ein von Josef Gregor 1925 in Wien gegründetes Versicherungsbüro. 1978 entstand daraus die Greco-Gruppe, 1989 begann die Expansion in den CEE-Raum mit der Gründung einer Niederlassung in Ungarn. In den folgenden Jahrzehnten expandierte das Unternehmen weiter in zahlreiche Länder im CEE-Raum.
Vom reinen Versicherungsmakler hat sich Greco zum Risikospezialisten weiterentwickelt. Das Unternehmen führt Risikoanalysen durch und bieten darauf aufbauend Versicherungslösungen an. Heute unterhält das Unternehmen 65 Niederlassungen in 18 Ländern. Greco ist damit in der Region der führende Risiko- und Versicherungsberater für die Industrie, Gewerbe und den öffentlichen Sektor.
Mit rund 1.300 Mitarbeitern hat die Gruppe zuletzt einen Umsatz von 153 Millionen € erzielt. Das kumulierte Prämienvolumen liegt bei 1,3 Milliarden €