Günter Geyer wird auch mit über 80 Jahren seinem Versicherungskonzern aktiv zur Verfügung stehen - in anderer Form, nicht mehr als Aufsichtsratschef der VIG und Wiener Städtischen.
©trend / Wolfgang WolakIm Mai hat sich Günter Geyer nach 50 Jahren aus der Wiener Städtischen weitgehend zurückgezogen. Im Interview spricht der 80-Jährige über seine Erfolge, seine Pläne und die Fehler der Politik.
"Ein Schritt mit ruhigem Gewissen"
Herr Geyer, stand es für Sie schon länger fest, dass Sie mit 80 Jahren Ihre Aufsichtsratsmandate zurücklegen wollen, oder kam das spontan?
Ich habe das große Glück, dass ich während meiner 50-jährigen Tätigkeit in der Wiener Städtischen überwiegend mit Kollegen zu tun hatte, mit denen man gut zusammenarbeiten konnte. Mein Plan war immer, wenn das Unternehmen gut aufgestellt ist, die Kollegen harmonisch zusammenarbeiten und ich ein gewisses Alter erreicht habe, dann werde ich die Weichen für einen Ausstieg stellen und meine aktive Tätigkeit reduzieren. Ich bleibe aber weiter beim Hauptaktionär, beim Wiener Städtischen Versicherungsverein, tätig.
Heißt das, vor fünf Jahren waren Sie mit der Aufstellung des Unternehmens noch nicht zufrieden?
Vor fünf Jahren war die Entwicklung zwar gut, aber es hat für mich noch einiges gefehlt, das mittlerweile eingetreten ist. Wir sind in den unmittelbaren Nachbarländern Osteuropas Nummer eins am Markt und der Vorstand ist gut zusammengesetzt. Daher kann ich den Schritt mit gutem Gewissen tun.
Aber ganz loslassen wollen Sie nicht …
Ich glaube, dass ich beim Hauptaktionär noch ein bisschen etwas beitragen kann. Und solange das auch andere so sehen, bleibe ich dabei.
Was wird Ihnen denn fehlen?
Es ist sicher eine Umstellung, dass ich mich mehr meinem Privatleben widme. Ob mir etwas fehlt, weiß ich nicht. Ich werde jedenfalls mit meiner Frau wieder öfter durch die Nachbarländer reisen. Vielleicht besuche ich auch die ein oder andere Filiale unserer Versicherung.
Wo haben Sie der Versicherung Ihren Stempel aufgedrückt?
Ich bin stolz darauf, dass das Unternehmen aus der Nummer zwei in Österreich zur Nummer eins in Zentral- und Osteuropa wurde. Besonders gerne denke ich an den Beginn in Osteuropa und den Einstieg in der früheren Tschechoslowakei in den 90er-Jahren zurück. Es wurde von vielen sehr kritisch gesehen, dass wir uns in Tschechien um die Liberalisierung der Autohaftpflicht bemüht haben. Das war dann aber der Grund, dass wir deutlich an Marktanteilen gewannen und unseren weiteren Osteuropa-Aufbau weiterführen konnten. Es war immer zentral in meiner Unternehmenspolitik, dass lokale Manager wesentliche Mitspracherechte haben. Und Teil unseres Erfolgs ist sicher die Mehrmarkenstrategie. All das hat dazu beigetragen, dass wir heute so gut aufgestellt sind.
Die VIG hat kürzlich gute Zahlen präsentiert. Aber wie lautet denn die weitere Wachstumsstory?
Akquisitionsmöglichkeiten werden sicher geprüft, aber die Lücke zwischen Osteuropa und Österreich ist noch sehr groß. Der durchschnittliche Österreicher zahlt 2.000 Euro jährlich für Versicherungen, die Albaner 70 Euro im Jahr, im am weitesten entwickelten Land Osteuropas sind es 800 Euro. Alleine das lässt uns positiv in die Zukunft blicken.
Also muss das VIG-Management gar nichts mehr tun …?
Das Potenzial muss man auch ausschöpfen. Bis zu einem gewissen Grad ist die Versicherung ein Selbstläufer, aber natürlich gehören die Leute weiter motiviert und die Länder können voneinander lernen.
Gibt es denn etwas, das Ihnen nicht gelungen ist?
Bei uns im Haus ist fast alles gelungen. Aber es ist uns nicht gelungen, die Politik davon zu überzeugen, mehr für die Altersvorsorge zu tun.
"Wenn ich etwas nicht verstehe, ziehe ich mich zurück."
Die VIG hat bei der Signa Geld in den Sand gesetzt. Ärgert Sie das?
Natürlich.
Hätte man das kommen sehen können?
Wir haben die Wertpapiere durch die Fusion mit der Sparkassenversicherung bekommen. Ursprünglich hatten wir sogar mehr Signa-Anleihen, haben aber vor zwei Jahren die Put-Option gezogen. Seitdem haben wir weitere Angebote zuzukaufen abgelehnt.
Haben sich Investoren von Benko blenden lassen?
Da weiß ich nicht. Aber ich wäre als Investor und Aufsichtsrat sehr misstrauisch, wenn Bilanzen nicht zur Verfügung gestellt werden. Wenn ich etwas nicht verstehe, ziehe ich mich zurück. Unser Haus wird jede rechtliche Möglichkeit ausschöpfen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten.
Fürchten Sie einen nachhaltigen Schaden für den Finanzplatz Österreich?
Ich glaube schon, dass speziell deutsche Investoren jetzt viel vorsichtiger werden.
Es sind ja jetzt auch Signa-Immobilien am Markt. Denkt man in der Wiener Städtischen an Zukauf ?
Das muss man sich sehr genau anschauen. Ich bin eher zurückhaltend.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie gerne Ex-Politiker beschäftigen. Mit Hartwig Löger und Sonja Steßl sind zwei führend im Unternehmen tätig. Wen hätten Sie gerne aus der jetzigen Regierung?
Herr Löger war lange vor seiner Zeit in der Politik schon Mitarbeiter bei mir und wir haben gut zusammengearbeitet. Außerdem war er der erste Finanzminister seit Hannes Androsch, der sich auch mit Versicherungen intensiver beschäftigt hat. Und Frau Steßl war bereit, das Versicherungsgeschäft von der Pike auf zu lernen. Das war für mich entscheidend, nicht dass sie Politikerin war.
"Man sollte diejenigen, die länger arbeiten wollen, fördern und motivieren."
Also haben Sie niemanden aus der jetzigen Regierung für die VIG im Auge?
Nein.
Eine Zeit lang haben Sie Sebastian Kurz geschätzt. Sind Sie von ihm enttäuscht?
Er konnte jedenfalls gut auf Leute eingehen und wirtschaftsnahe denken. Das sehe ich immer noch so. Aber was mir generell in der Politik nicht gefällt, ist das gegenseitige Bewerfen mit Vorwürfen.
Umfragen zeigen, dass wir ab Herbst einen Kanzler Kickl haben könnten. Beschäftigt Sie das?
Mich lässt Politik generell nicht kalt. Wenn es die Mehrheit so will, ist das in einer Demokratie zu akzeptieren. Ob es einem gefällt oder nicht.
In einem früheren Interview haben Sie gesagt, Selbstfindung täte der SPÖ gut. Hat sich die Partei gefunden?
Ich denke, sie ist noch mit der Selbstfindung befasst.
Man sagt Andreas Babler Wirtschaftsfeindlichkeit nach. Sehen Sie das ähnlich?
Herr Babler hat sicher sehr viel Gutes in seiner Funktion als Bürgermeister geleistet. Wirtschaftsnahes habe ich von ihm noch wenig gehört. Nehmen wir nur das Pensionssystem: Früher haben sechs Personen für einen Pensionisten gearbeitet, bald sind es nur noch zwei. Das kann sich auf Dauer nicht ausgehen. Da fehlen mir positive, wirtschaftsnahe Denkansätze.
Sollte das Pensionsalter angehoben werden?
Jedenfalls sollte man diejenigen, die länger arbeiten wollen, fördern und motivieren. Da spricht wirklich nichts dagegen.
Der Vier-Tage-Woche können Sie vermutlich auch nicht viel abgewinnen?
Jedenfalls nicht von heute auf morgen. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung das zulässt, warum nicht?
Was sagen Sie zu der Entwicklung, dass die Kommunisten in Österreich immer stärker werden?
Mit Kommunismus im historischen Sinn hat das wenig zu tun. Für mich zeigt der Erfolg der Kommunisten in Salzburg nur, dass sich die übrigen Parteien um das Thema Wohnen zu wenig gekümmert haben.
"Die langfristige Finanzierung des Pensionssystems gehört sicher diskutiert"
Sie haben immer wieder große Reformen und niedrigere Steuerlast gefordert. Da ist nicht viel weitergegangen …
Ich denke, bei der Bildung bewegt sich etwas. Die langfristige Finanzierung des Pensionssystems gehört sicher diskutiert, und was ich gar nicht verstehe, ist, dass man Leute, die es sich finanziell leisten können, nicht motiviert, für ihre Pension anzusparen, in welcher Form auch immer. Das kann ja auch der Wirtschaft dienen, etwa mit Investitionen in die Umwelt. Und beim Verwaltungsabbau ist auch zu wenig weitergegangen. Aber Letzteres sehe ich auch als EU-Thema.
Wo sehen Sie das größte Versäumnis der Regierung?
Die Regierung hat während Corona sehr viel Geld in die Wirtschaft gesteckt. Im Nachhinein kann man darüber sicher diskutieren. Was aber sicher besser gegangen wäre, ist das Einbremsen der Inflation. Daraus resultiert auch, dass das Thema leistbares Wohnen immer brisanter wird.
Wie sehr machen Sie sich aus geopolitischer Sicht Sorgen um Ihre Freunde und Kollegen aus Osteuropa? Glauben Sie, dass Russland weiter in den Westen vordringen wird?
Ich mache mir schon Sorgen. Ich bin dafür, dass man mehr miteinander redet. Der Angriff auf die Ukraine ist unentschuldbar. Man darf aber nicht vergessen, es sterben täglich Menschen, und das muss gestoppt werden. Deshalb sollten alle Möglichkeiten für Friedensgespräche ausgeschöpft werden. Da passiert zu wenig.
Halten Sie es für möglich, dass Europa wieder zweigeteilt ist?
Ich hoffe nicht.
Steckbrief
Günter Geyer
Günter Geyer [Jahrgang 1943] trat 1974 als junger Jurist in die Wiener Städtische Versicherung ein, wo er 1988 in den Vorstand berufen wurde. Von 2001 bis 2012 war er CEO der Vienna Insurance Group. Danach wechselte der gebürtige Oberösterreicher in die Kontrollgremien der Versicherung. Im Mai 2024 legte er seine Funktionen als Aufsichtsratsvorsitzender der VIG und der Wiener Städtischen zurück.
Dem Wiener Städtischen Versicherungsverein blieb er als Präsident erhalten.
Das Interview ist ursprünglich im April 2024 im Magazin trend. PREMIUM erschienen.
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