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Indikator für Standortqualität

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IT'S THE PRODUCTIVITY, STUPID! Produktivität ist entscheidend für Markterfolg der Betriebe und Wohlstandsniveau der Volkswirtschaft.

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Auch wenn Ökonomen Österreichs RÜCKFALL IM PRODUKTIVITÄTSRANKING unterschiedlich brisant sehen, sind sie darin einig, dass nur wettbewerbsfähige Unternehmen den Wohlstand sichern.

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Der Produktivitätsfortschritt in Österreich ist rückläufig. Sowohl die langfristige Entwicklung (siehe Grafik unten) als auch die Position im Vergleich zu anderen EU-Staaten verschlechtert sich. In einem EU-weiten Ranking der Produktivitätsgewinne seit 2010 zählt Österreich nicht nur bei der Produktivität pro Kopf zu den Schlusslichtern, was bei steigender Teilzeitquote erwartbar wäre.

Auch in der maßgeblicheren Produktivität pro Arbeitsstunde hinkt die heimische Wirtschaft der Entwicklung der meisten EU-Länder und mittlerweile auch dem Schnitt in EU und Eurozone hinterher.

"Sinkendes Produktivitätswachstum ist für die österreichische Wirtschaft eine Herausforderung", sagt dazu Christoph Badelt. Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler, Vorsitzender des Fiskalrates sowie früherer WU-Rektor und Wifo-Chef, sitzt auch dem 2022 etablierten Produktivitätsrat vor, in dem sich Experten mit der Thematik Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit befassen. "Dieses Phänomen zeigt sich seit der Finanzkrise überall in entwickelten Ländern. Katastrophenstimmung", so Badelt weiter, sei jedoch "nicht gerechtfertigt".

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Den Aufholprozess von Ländern Ost- und Mitteleuropas sowie ein langsameres Wachstum in etablierten Industriestaaten konzediert auch der Ökonom Jan Kluge vom Thinktank Agenda Austria als durchaus zu erwarten gewesene Effekte. Wie Produktivitätsberater Alois Czipin, der mit dieser Entwicklung gar den heimischen Wohlstand in Frage gestellt sieht, warnt auch Kluge eindringlich vor einer Gefährdung des Wirtschaftsstandorts. Er ortet hinter dem Rückfall nämlich ein tiefer liegendes, generelleres heimisches Problem.

Noch liege man zwar nicht allzu weit hinter dem EU-Schnitt. "Doch wird das reichen, wenn die Löhne hierzulande aufgrund höherer Inflationsraten stärker steigen?", fragte Agenda Austria schon vor den jüngsten Lohnrunden. "Durchbrüche und Verbesserungen laufen nur über technologischen Fortschritt, neue Ideen und Geschäftsmodelle. Das sollte man fördern, hier passiert aber das Gegenteil", sagt Kluge und erklärt das anhand eines Falles, der wirtschaftspolitisch zwar "Nebenschauplatz", jedoch beispielhaft für das Mindset sei: "Das Modell von Uber war viel produktiver als klassische Taxis. In Österreich wurde es praktisch verboten und gezwungen, sich nach dem alten Modell zu richten."

Digitalisierung und KI seien in Europa vor allem Schlagwörter, aber eher nicht Geschäftsmodelle, dafür aber sehr reguliert, meint er zu Hintergründen der Produktivitätsflaute. Reine Inputsteigerung werde diese nicht beheben: "Fachkräftemangel ist nur ein anderes Wort für schleppende Produktivitätsentwicklung."

Die Spitze des Eisbergs

"Produktivität ist Indikator und Benchmark für vieles, das sich in der Qualität des Wirtschaftsstandorts widerspiegelt", erklärt Wifo- Ökonom Michael Peneder. Dieses "Eisberg-Modell" der Wettbewerbsfähigkeit besagt, dass unterhalb der Produktivitätskennzahlen als dessen "Spitze" weitere, teils schwer beobachtbare Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit in mehreren Schichten verborgen liegen: eingesetzte Ressourcen wie Wissen, Arbeit, Kapital, Energie als unmittelbar nächste Lage, darunter deren strukturelle Basis wie Zusammensetzung der Nachfrage, Einsatz von Technologien, Positionierung in Außenwirtschaft und Wertschöpfungsketten oder Art der Unternehmensfinanzierung.

Noch weiter darunter, auf der Systemebene, finden sich mit Rechts-, Bildungsund Innovationssystemen, Regulierungen, öffentlicher Infrastruktur, Arbeitsund Kapitalmärkten jene Bereiche, wo die Politik typischerweise mit Interventionen ansetzt, um positive Effekte in anderen Ebenen zu erzielen. Grundlegend fußt die Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft letztlich auf ihren Werten und Normen wie Leistungsbereitschaft, Solidarität, Unternehmergeist und Ethik.

"Österreich verfügt über ein hohes Produktivitätsniveau. Die Entwicklung in den letzten Jahren ist aber im internationalen Vergleich schwach, und wir sind tendenziell zurückgefallen", ordnet Peneder die Situation ein.

Vor allem zur "enttäuschenden Dynamik" gebe es Fragen und auch ökonomische Hypothesen, an denen auch international gerade intensiv geforscht werde, wie auch Andreas Reinstaller, Senior Principal Economist im Büro des Produktivitätsrats, bestätigt. "Unabhängig davon gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auf längere Sicht für Österreichs Wettbewerbsfähigkeit auf jeden Fall notwendig und richtig sind", betont Badelt und priorisiert dabei neben Förderung von Innovation und Unternehmensdynamik gegen den zu langsamen Strukturwandel besonders den Bildungsbereich als wichtigsten Faktor.

Hier reicht seine Agenda von innerbetrieblicher Weiterbildung auch für ältere Arbeitnehmer über Nachholbedarf an IT-Wissen in KMU bis hin zur Sprachproblematik im Vor- und Pflichtschulbereich. Der erste Jahresbericht 2023 des Produktivitätsrats spricht solche strukturellen Probleme an sowie insgesamt nicht weniger als 47 einzelne Empfehlungen zu diversen Schichten des "Eisbergs" aus.

Dynamik steigern

Aus Sicht von Ökonom Reinstaller ist es für Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts essenziell, dass sich mehr österreichische junge Firmen und Start-ups zu den für die heimische Industriestruktur so typischen starken Nischenplayern am Weltmarkt entwickeln.

Als eines der jüngeren Vorzeigebeispiele eines solchen heimischen Hidden Champions nennt er die Erfolgsgeschichte des Netzwerktechnologiespezialisten TTTech. Mehr Vernetzung und Austausch von Spitzenforschung mit Unternehmen, um so Verbundeffekte und daraus Wettbewerbsvorteile zu generieren, so Reinstaller, sei auch im Hinblick auf die Bewältigung der grünen Transformation für die volkswirtschaftlich enorm wichtigen energieintensiven Branchen in Österreich von entscheidender Bedeutung.

Jeder regulatorische Zusatzaufwand, ob für die bereits fixe verstärkte Nachhaltigkeitsberichterstattung oder auch ein europäisches Lieferkettengesetz, sei "zumindest negativ korreliert mit dem Produktivitätswachstum", merkt der Experte an.

Großkonzerne könnten mit dem Aufwand aber eher umgehen, während speziell ein Lieferkettengesetz "für exportierende KMU dokumentatorisch herausfordernd" wäre.

Regulatorik und Gesetzgeber, konstatiert Jan Kluge auch im Hinblick auf Datenschutzbestimmungen, würden dafür sorgen, dass es in Unternehmen immer mehr Leute brauche, die unproduktive Dinge tun. Andererseits, so Michael Peneder: "Letztlich zeigen die Daten, dass es die produktivsten Unternehmen sind, die am meisten Beschäftigung schaffen."

Ob das wiederum korreliert, wäre eine neue Forschungsfrage.

Der Artikel ist der trend.PREMIUM vom 9. Februar 2024 entnommen.
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