Michael Höllerer, seit Juni 2022 Generaldirektor der RLB NÖ-Wien, im Exklusivinterview über herannahende Stürme, die Zukunft des Russland-Geschäfts der RBI und Synergien im Raiffeisensektor.
Der europäische Ausschuss für Systemrisiken gab kürzlich eine allgemeine Warnung für das europäische Bankensystem aus, der Chef der deutschen Finanzaufsicht spricht vom "perfektem Sturm" für die Branche, und die Credit Suisse wackelt - wie kritisch schätzen Sie die Situation für die europäische Bankenlandschaft ein?
Das europäische und speziell das österreichische Bankensystem ist absolut stabil. Wir sind auf den Sturm, so er denn kommt, bestens vorbereitet. Die Eigenkapitalausstattung und das Geschäftsmodell sind Garanten dafür, dass wir auch im Sturm standhaft bleiben.
Was macht Ihnen aktuell am meisten Sorgen?
Die größte Sorge bereiten Entwicklungen, wo man selbst nur Passagier ist. In einer Inflation weiß man, man muss Risikovorsorgen treffen und mit den Kunden etwaige Liquiditätsengpässe gemeinsam überwinden, aber der Krieg und die damit zusammenhängende Unsicherheit sind schon etwas, was man nicht selbst in der Hand hat. Das macht mir am meisten Sorgen.
Die Non-Performing-Loans bereiten Ihnen kein Kopfzerbrechen?
Wir sehen sie noch nicht. Die Banken haben in den vergangenen Jahren geringe Risikokosten gehabt. Natürlich machen wir Stresstests und kümmern uns eingehender um Kunden, von denen wir wissen, dass es aufgrund der Rahmenbedingungen knapp werden könnte. Aber das lässt sich aus heutiger Sicht alles lösen. Das haben wir ja auch während der Coronakrise gemacht. Die Coronakrise wurde ja auch von allen österreichischen Banken gut gemeistert.
Es gibt aber genügend Stimmen, die sagen, die Covidkrise ist harmlos gegen das, was wir jetzt - Stichwort: Krieg und Inflation - erleben.
Natürlich sehe ich das auch mit Sorge, aber denken Sie an den Beginn von Corona, da war die Unsicherheit auch sehr groß. Ich bin daher überzeugt, dass wir auch diese Krise meistern werden. Auch wenn es wahrscheinlich rumpelig wird in dem Sinne, dass es vermehrt Insolvenzen gibt, dass die Konsumausgaben nachlassen und die Sparquote niedriger wird.
Die Russland-Geschäfte der RBI sind für Sie als größten Aktionär der RBI zu einem großen Problem ausgewachsen. Sie mussten zum Halbjahr 910 Millionen Euro wertberichtigen. Was wäre für Sie das Optimal-Szenario das Russland- Geschäft betreffend?
Optimal wäre natürlich ein rasches Ende des Krieges, sodass man bald wieder in einen normalen Wirtschaftsrhythmus übergehen kann. Ich vertraue dem Vorstand der RBI, dass er die richtige Entscheidung trifft, auch wenn das sehr schwer ist.
Aber ist ein Verbleib in Russland nach der Teilmobilmachung überhaupt noch realistisch?
Die RBI evaluiert jede neue Entwicklung umfassend. Sie hat aber auch vier Millionen russische Kunden und trägt für viele Tausend Mitarbeiter Verantwortung.
Angeblich ist der Druck der EZB auf die RBI, zu verkaufen, groß. Was wissen Sie darüber?
Der RBI-Vorstand ist naturgemäß sicher im regelmäßigen Kontakt mit den Aufsichtsbehörden. Ich vertraue dem Vorstand der RBI, der die aktuellen Entwicklungen beobachtet und alle Optionen sorgfältig prüft.
Was entgegnen Sie Menschen, die vor der RBI für einen Exit aus Russland demonstrieren, vor allem aus ethischen Gründen?
Jeder hat das Recht, seine Meinung kundzutun. Wie so oft gibt es aber auch hier zwei Seiten der Medaille, dass nämlich die RBI in Russland sehr viele Kunden und Mitarbeiter hat, die mit diesen kriegerischen Auseinandersetzungen nichts zu tun haben.
Im Nachhinein ist man immer gescheiter, aber war es ein Fehler, dass die RBI das Russland-Geschäft nach der Annexion der Krim nicht verringert hat?
Ex post tut man sich immer leichter. Aber gerade in den letzten Jahren ist im Risikomanagement der RBI in Bezug auf Russland sehr viel passiert, und man hat sich sehr robust aufgestellt. Ich denke also nicht, dass das ein Fehler war.
Fällt das Russland-Geschäft weg, wird es wohl bei der RBI zu Redimensionierungen kommen müssen. Träfe das auch auf die RLB NÖ-Wien zu?
Sollte es zu einem Verkauf kommen müssen, wäre die Equity Story der RBI natürlich eine andere als die jetzige. Für uns sehe ich deswegen aber keine Redimensionierungen.
Gehen Sie davon aus, dass die RBI weiteres Kapital braucht?
Nein, das schließe ich aus.
Die Holding der RLB NÖ-Wien hat ja ein sehr großes Beteiligungsportfolio, um nicht zu sagen: einen Bauchladen. Soll das unter Ihrer Führung so bleiben?
Den Bauchladen würde ich eher als vier Feinkostabteilungen bezeichnen: Das Bankgeschäft, das Agrargeschäft, Infrastruktur mit der Beteiligung an der Strabag und die Medien. Ich sehe Agrar und Infrastruktur, angereichert um das Thema Energie, nicht nur als gesetzt, sondern auch als Felder für künftige Investitionen. Medien sind sehr spannend - auch wenn sie unter großem Ertragsdruck stehen - und eine Abrundung unseres Portfolios. Wir wollen bei den Beteiligungen also eher zukaufen als verkaufen.
Die EZB verlangt von den großen Banken Blackout-Notfallpläne. Haben Sie so etwas auch?
Ja, natürlich! Die Aufsicht verlangt das von uns auch. Wir nehmen das Risiko sehr ernst.
Die Aufseher haben ja zur Vorsicht gemahnt. Ist denn für heuer eine Dividende geplant, oder geht sich das wegen der RBI ohnehin nicht aus?
Wir haben zu Beginn des Kriegs gesagt, wir schütten vorerst keine Dividende aus, haben uns die Entscheidung aber noch vorbehalten . Im vierten Quartal entscheiden wir, ob wir etwas ausschütten.
Die RLB Oberösterreich und Steiermark haben kürzlich ihre IT zusammengeführt. Wäre es nicht sinnvoll, die IT des gesamten Sektors zu fusionieren?
Die IT ist sicher ein klassisches Beispiel für Kosteneffizienz, gerade was Banking heutzutage angeht. Als ich angetreten bin, habe ich gesagt, ich will innerhalb der Raiffeisen-Bankengruppe umfassend kooperieren ohne Vorbehalte und politische Agenda.
Sehen Sie darüber hinaus im Sektor noch Synergiepotenzial?
Natürlich. Es gibt neben der IT viele Themen, wo wir zusammenrücken können. Das kann uns alle weiterbringen.
Die RLB NÖ-Wien ist ja auch in der Immobilienfinanzierung stark. Fürchten Sie das baldige Platzen einer Immobilienblase?
Ich denke, dass hier keine Blase platzen wird, aber die Preise werden vermutlich nicht mehr so ansteigen wie in den letzten Jahren. Ich sehe es jedenfalls weiter als unsere Aufgabe an, Eigentum für unsere Kunden zu finanzieren. Auch wenn die neue Wohnkredit- Verordnung es da und dort erschwert. Das ist für mich überhaupt das ganz große gesellschaftliche Thema, dass sich Menschen aus dem Mittelstand kein Wohnungseigentum mehr leisten können. Denn Eigentum ist die beste Altersvorsorge
Gehört die Verordnung abgeändert?
Wenn man in so volatilen Zeiten eine Regulierung macht, sollte man diese zeitnah evaluieren. Einige Parameter erreichen den Sinn und Zweck der Verordnung meiner Meinung nach nicht. Einige Menschen werden dadurch von Kreditfinanzierung ausgeschlossen, bei denen ich mir keine Sorge mache, dass sie den Kredit nicht zurückzahlen könnten.
Wie schätzen Sie die Arbeit der Finanzmarktaufsicht, bei der Sie ja auch einmal gearbeitet haben, heute ein?
Ich denke, die Aufsicht macht einen guten Job. Wichtig ist nur, dass sie das große Ganze nicht aus den Augen verliert und - siehe Kreditverordnung -pragmatisch agiert.
Thema ESG: Nachhaltiges Finanzieren ist ja das Gebot der Stunde. Dürften Sie zum Beispiel Fracking in Niederösterreich überhaupt finanzieren?
Fracking, wie man es aus den Medien in den USA kennt, denke ich nicht. Wenn es Methoden gibt, die umweltschonend sind, dann müsste man sich das genauer ansehen. Windenergie war ja früher auch sehr umstritten, heute ist es jedenfalls ESG-konform.
ESG beinhaltet ja auch Diversity-Themen. In dem Vorstand der Landesbank sitzt keine einzige Frau, auch nicht in dem Ihrer größten Beteiligung. Warum nicht?
Ich hatte das bisher nicht zu verantworten, aber sie können mir glauben, dass ich dieses Thema sehr ernst nehme mir bewusst bin, dass wir hier noch Aufholbedarf haben.
ZUR PERSON
Michael Höllerer, 44, steht seit April 2022 an der Spitze der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien. 2006 trat der gebürtige Niederösterreicher in den Raiffeisensektor ein. Von 2008 bis 2012 war der Jurist im Kabinett von Vizekanzler Josef Pröll und kehrte danach zu Raiffeisen zurück, wo er zuletzt als CFO der RBI tätig war.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 14. Oktober 2022 entnommen.