Andreas Lampl, Chefredakteur trend
©Ricardo HerrgottDer Blockadeprotest von Klimaaktivisten kann nicht einfach tatenlos toleriert werden. Das Festhalten am Status quo aber auch nicht.
Die Störung des Wiener Neujahrskonzerts durch die Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" ging in die Hose. Sie flogen vorzeitig auf. Den aktionistischen Jahresauftakt machten daraufhin Klebeblockaden auf Wiener Straßen gleich nach den Weihnachtsferien. Die Mehrheit der Bevölkerung reagiert genervt auf die "Klima-Spinner" - und genau das ist deren Absicht. Denn das Thema Klimawende, das 2023 neben dem Ukraine-Krieg die gesellschaftliche Auseinandersetzung dominieren wird, besetzen sie damit trotzdem.
Ging es nach dem Schock des russischen Angriffs auf die Ukraine erst einmal darum, von irgendwoher Energie, gleich, welcher Provenienz, zu kriegen, wird sich der Fokus unter dem Eindruck der immer stärker spürbaren Folgen der Klimakrise (und auch der gestiegenen Preise für fossile Energien) nun zwangsläufig wieder mehr auf die grüne Transformation richten. Als Treiber kommt Öko-Konkurrenz inzwischen sogar schon aus den USA, wo ein Subventionsprogramm über 370 Milliarden Dollar für grüne Technologien beschlossen wurde.
Eine Metastudie der renommierten ETH Zürich, die recht wenig mit der "Letzten Generation" gemein hat, rechnet vor, dass Europa bis inklusive 2025 gut 300 Milliarden Euro jährlich in den Umbau der Wirtschaft investieren muss, um halbwegs auf den Pfad der gesteckten Klimaziele zu kommen; dass die Anstrengungen also gegenüber dem Status quo deutlich erhöht werden müssen.
Klingt nach Unsummen, sollte aber zu schaffen sein. Gemäß unserem Anteil am EU-BIP wären das für Österreich rein rechnerisch circa 8,3 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind 60 Prozent dessen, was der Staat in (übertriebene) Corona-Förderungen fließen ließ. Deutschland gibt 200 Milliarden für die Strom- und Gaspreisbremse aus, größtenteils als Subvention für fossile Energieträger.
Wo Kritiker der "Öko-Extremisten" recht haben: Technologieentwicklung - im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Systems - ist die wichtigste Voraussetzung für die Klimawende. Und Politik muss durch Regulierung die Finanzströme entsprechend lenken sowie Rahmenbedingungen für die rasche Umsetzung des Green Deals schaffen. Klimaschädliches Verhalten muss teurer, klimafreundliches belohnt werden. Aber noch ist da deutlich zu wenig Bewegung drin.
Logischerweise stimmt auch, dass Europa alleine das Klima nicht retten kann. Europäer und Amerikaner haben dennoch allen Grund, voranzugehen. Die Megavolkswirtschaften China und Indien werden gezwungenermaßen eher früher als später folgen müssen.
Technologie ist aber nur eine Seite der Geschichte. Das Versprechen einer Win-win-Situation durch viele Innovationen reicht nicht, um die Bevölkerungen für die Transformation zu gewinnen. Die Politik braucht eine neue Story: die Aussicht auf saubere heimische Energie und sinkende Preise, auf Kompensation für die Verlierer, finanziert auch durch Beiträge der Gewinner.
Und Politiker müssen langsam darüber nachdenken, wie sie die Menschen dazu bringen, eine unangenehme Wahrheit zu akzeptieren, die Bert Rürup, deutscher Ökonom und Präsident des Handelsblatt Research Institutes, so formuliert: "Letztlich geht es darum, Verzicht schmackhaft zu machen, das persönliche Verhalten zu ändern."
Wie jemand Veränderungen als Verzicht erlebt, wird individuell sehr unterschiedlich sein. Aber es ist eine Milchmädchenrechnung, dass der Ressourcenverbrauch sinken muss. Wenn 0,54 Prozent der Weltbevölkerung 14 Prozent der CO2-Emissionen verursachen, ist klar, dass Lebensstile betroffen sein müssen.
Dass genau darüber am liebsten geschwiegen wird, ruft Klimaaktivisten wie "Letzte Generation" auf den Plan. Natürlich kann man deren Blockaden nicht einfach tatenlos tolerieren. Aber juristisch ist die Sache komplex. Ihnen Demokratiegefährdung vorzuwerfen, weil die Mehrheit nicht langsamer Auto fahren oder weniger Fleisch essen will, ist zu billig. Wenn der Rechtsstaat die Zukunftschancen jüngerer Menschen nicht gewährleisten kann, hat er genauso ein Legitimationsproblem, wie wenn er es nicht schafft, ethnische oder andere Minderheiten zu schützen.
Ob die Proteste, indem sie nerven, das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich wollen, oder doch zur Bewusstseinsbildung beitragen, ist schwierig abzuschätzen - aber auch nebensächlich. Denn der Generationenkonflikt wird sich unabhängig davon zuspitzen.
Und auch wenn die meisten der Aktionen mehr als entbehrlich sind: Ein Festkleben am Rahmen von Gemälden schadet weniger als das Festkleben an nicht mehr akzeptablen Verhaltensweisen.
Der Artikel ist als Leitartikel in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13. Jänner 2023 erschienen.