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KMU: Der vergessene Mittelstand

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Metalltechnik-Unternehmerin Marlene Schatzdorfer

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Weil die Großen schwächeln, rutscht Österreich in die Rezession. Jetzt richtet sich der Fokus auf die Klein- und Mittelbetriebe. Doch diese, weniger mächtig als die Industrie und nicht so cool wie Start-ups, wurden lange von der Politik übersehen. Ein trend-Report über die Sorgen der KMU – und was sie sich von der nächsten Regierung wünschen.

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Diese Woche gibt es in der Kantine der Firma Tele Haase ungarisch-rumänische Küche, von den Mitarbeitenden selbst zubereitet. „Wir haben 80 Beschäftigte aus verschiedenen Nationen, gesprochen werden 26 Sprachen“, sagt Marcus Ramsauer. Mit der Küchenaktion soll das gegenseitige Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen gefördert werden – Wertschätzung durch den Magen.

Was wie eine Kindersendung im Fernsehen klingt, ist ein Hightech-Unternehmen im Industriegebiet Wien-Inzersdorf: Der Familienbetrieb Tele Haase entwickelt und fertigt Relais für Steuerungs- und Messtechnik, beliefert werden Industriekunden in 64 Ländern, die Exportquote beträgt 60 Prozent, der Umsatz 17,5 Millionen Euro. Auf der Visitenkarte von Marcus Ramsauer steht statt „Geschäftsführer“ oder „CEO“ einfach nur „Regie“. „Unser Organigramm ist nicht hierarchisch in Kästchen aufgebaut, sondern in Kreisen“, erläutert Ramsauer, „ich verstehe mich als Unterstützer, Befähiger und Ermöglicher.“

Ermöglichen und unterstützen – das wünscht sich der Manager auch von der Politik. Das beginnt beim alltäglichen Kampf mit der Bürokratie. „Wir wollen unsere Energieversorgung neu aufstellen und von der Gas-Ringleitung weg“, sagt Ramsauer, „seit acht Monaten versuche ich, zu klären, wer dafür zuständig ist.“

Es mangelt aber auch am Großen. „Österreich braucht endlich wieder eine Wirtschaftspolitik, die diesen Namen auch verdient. Die nicht nur auf Krisen reagiert, sondern proaktiv Rahmenbedingungen setzt, auf die man sich dann auch verlassen kann. Die Industrie hat dafür bessere Zugänge zur Politik als der Mittelstand.“ Was das konkret heißt: „Ein klares Bekenntnis, dass Betriebe gewollt sind und nicht nur als Störfaktor in Wohngegenden betrachtet werden.“

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Hohe Lohnkosten. Früher hielten sich Lohn- und Materialkosten die Waage, jetzt beträgt der Lohnanteil 82 Prozent, sagt Fliesenleger Franz Feldwebel.

 © Michael Rausch-Schott

Frustriert

Lob in Sonntagsreden, aber keine echte Unterstützung – das ist auch Marlene Schatzdorfer zu wenig. Gemeinsam mit ihrer Mutter Gertrude Schatzdorfer-Wölfel leitet sie den familieneigenen Metalltechnikbetrieb Schatzdorfer Gerätebau in der Nähe von Zipf in Oberösterreich. Beliefert werden Autozulieferer und Maschinenbauer, 85 Jobs hängen daran – doch ausreichend Gehör in der Politik findet die Unternehmerin nicht. Die smarten Start-ups seien da besser dran. „Die werden mit Förderungen aufgeblasen, um dann später doch ins Ausland verkauft zu werden“, sagt Schatzdorfer-Wölfel. Ihre Forderung: mehr Dialog mit und ein direkterer Draht zu den politischen Entscheidern.

Der Frust des Mittelstands ist gefährlich. Denn die KMU sind derzeit ein Hoffnungsträger – wieder einmal. Acht Quartale ohne nennenswertes Wirtschaftswachstum, das hat es seit 1946 in Österreich nicht mehr gegeben. Die Konjunktur schwächelt, die Experten von Wifo und IHS rechnen für heuer mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung.Erstmals seit 1950 das zweite Minusjahr in Folge.

„Österreich befindet sich aktuell vor allem in einer deutlichen Industrierezession“, sagt Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarkt-Services (AMS), „sinkende Beschäftigung und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit Ende August um rund 17 Prozent zeigen das deutlich.“

Jetzt schauen wieder alle auf die Klein-und Mittelbetriebe, schon in vergangenen Krisen wichtiger Stabilisierungsfaktor. Laut des Berichts „KMU im Fokus 2023“ beschäftigten die rund 601.300 kleinen und mittleren Betriebe zum Zeitpunkt der Erhebung über 2,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bildeten rund 54.200 Lehrlinge aus. Sie tragen mit 163 Milliarden Euro 57 Prozent zur marktorientierten Wertschöpfung bei.

Doch auch bei denen nehmen die Sorgen zu, das Rückgrat schwankt. Blickten 2020 noch 79 Prozent der heimischen Klein- und Mittelunternehmen optimistisch in die Zukunft, sind es heute nur noch zwei von drei. Hans Unterdorfer, Firmenkundenvorstand der Erste Bank Österreich: „Die Betriebe spüren die Nachwirkungen der Krisen der vergangenen Jahre.“ 63 Prozent der von IMAS für die Erste Bank Befragten geben an, dass das Marktumfeld für ihr Unternehmen in den vergangenen zwei bis drei Jahren schwieriger geworden sei. Die Hauptgründe: Regulatorik, Arbeitskräftemangel, Preissteigerungen, erhöhte Onlinekonkurrenz und damit einhergehender Preisdruck sowie die schlechte Auftragslage.

Auch Franz Feldwebel, Geschäftsführer eines Fliesenleger-Fachbetriebs mit zehn Beschäftigten, drückt derzeit gleich mehrfach der Schuh. Wer als Hausbesitzer in sein Eigenheim investiert, tut das eher in Bereichen wie Energie, Dämmung sowie Energiebeschaffung und -speicherung – unter anderem wegen der lockenden Förderungen. Dem stehe ein vergleichsweise mickriger und gedeckelter Handwerkerbonus gegenüber, klagt Feldwebel. „Alles, was nicht absolut notwendig ist, wird auf die lange Bank geschoben.“

Für seinen Betrieb – Werbespruch: „Superhelden fliegen, wir fliesen“ – seien die Folgen von Corona sehr wohl noch spürbar. Wegen der Lockdowns in Österreich hätten die Menschen viele Arbeiten an Haus und Heim selbst durchgeführt, der Bedarf sei also gesättigt. Die Pandemiemaßnahmen seien zudem überzogen gewesen, kritisiert der Unternehmer. „Ich habe fünf gute Facharbeiter wegen der Coronavorschriften verloren, weil sie Grenzgänger aus dem Ausland waren und sich während der Lockdowns in ihrem Land Jobs gesucht haben.“

50 Prozent unter Preis

Feldwebel spricht damit einen wunden Punkt an, der praktisch alle Betriebe belastet: Lohnkosten. „Früher hielten einander Lohn und Material annähernd die Waage. Heute hat sich die Relation auf 82 Prozent Lohnanteil zu 18 Prozent Material verschoben. Eigentlich bin ich jetzt um 50 Prozent unter jenem Preis, den ich verlangen müsste“, rechnet Feldwebel vor.

„Wegen der Lohnkosten und der hohen Energiepreise hat Österreich deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren“, sagt auch Tele-Haase-Chef Ramsauer, „es ist Aufgabe der Politik, die Kaufkraft der Bevölkerung zu sichern, nicht der Wirtschaft. Man kann nicht den Unternehmen aufhalsen, ex-post die hohe Inflation auszugleichen“

Waren die letzten Lohnabschlüsse also zu hoch? „Ja“, sagt Philipp Traussnig, Chef des gleichnamigen Kärntner Logistik- und Transportunternehmens mit 80 Mitarbeitenden, „die Steigerung war eindeutig zu steil. In Verbindung mit den hohen Energiepreisen sind wir kaum noch konkurrenzfähig.“

Problemfall Teilzeit

Auch Alexander Pilsl, Chef des Hotels Guglwald im Mühlviertel, machen „ganz klar die Inflationsanpassungen der letzten zwei Jahre, unter denen die dienstleistungs- und mitarbeiterintensiven Branchen leiden“ zu schaffen. „Die Steuerbelastungen sind sehr hoch, die Lohnkosten explodieren“, so der Hotelier, „zudem ist Teilzeit extrem im Trend.“ Dagegen hat Pilsl grundsätzlich nichts einzuwenden, „Dienstleistungsbranchen wie Handel, Gastronomie und Hotellerie brauchen jedoch Fachkräfte, die in Teilzeit kaum anzuheuern sind.“

Die Experten der Agenda Austria haben nachgerechnet: Wer die Arbeitszeit von 20 auf 40 Stunden verdoppelt, hat netto nur 68 Prozent mehr in der Tasche. Was Pilsl deshalb von der nächsten Regierung fordert: „Weniger Diskussionen um die Regelarbeitszeit. Im Gegenteil, es braucht Anreize für Vollzeitarbeit, unsere Mitarbeiter wollen teils sogar mehr als 40 Stunden arbeiten und mehr verdienen.“ Deshalb müssten die Lohnsteuersätze für Vollzeitarbeitsplätze sinken und Überstunden steuerfrei sein.

„Inflation, Indexanpassungen, Kollektivverträge, schwache Nachfrage … und die Umsätze sind nicht mitgezogen“, fasst Peter Voithofer, Unternehmensberater und als Wirtschaftsforscher Leiter des Instituts für Österreichs Wirtschaft, das Dilemma der Unternehmen zusammen, „das Grundproblem war, dass man die Inflation so hoch hat steigen lassen. Dadurch ist auch das ewige Thema Lohnnebenkosten wieder aktuell geworden.“

Auch Unternehmerin Theresa Mai, Geschäftsführerin der WW Wohnwagon GmbH in Niederösterreich, fragt sich, „ob es ein guter Zeitpunkt war, in der Krise zwei Jahre hintereinander zehnprozentige Lohnerhöhung am Bau kollektivvertraglich zu fixieren und gleichzeitig die Möglichkeit gering bezahlter Stellen zu streichen“. Hilfsarbeiter kollektivvertaglich einzustellen, sei jetzt nicht mehr möglich. „Ich gönne jedem Mitarbeiter mehr Gehalt, aber es sollte bei ihnen auch ankommen“, spricht Mai die hohen Lohnnebenkosten an.

Wohnwagon stellt mobile kleine Wohneinheiten aus Holz und Naturmaterialien aus der Region mit eigener Strom- und Wärmeversorgung her – liegt also voll im Öko- und Autarkie-Trend. Deshalb versprüht die Unternehmerin auch Optimismus. „Wir navigieren gut durch die aktuellen Zeiten.“ Das KMU spürt die Rezession zwar, der Auftragseingang war rückläufig. Aber das Produkt sei innovativ und treffe den Nerv der Zeit, so Mai. „Die Baubranche muss sich neu erfinden. Vor allem angesichts der Herausforderungen, vor die uns das Klima stellt. Das Denken muss weg von möglichst billig je Quadratmeter, das können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten.“

Eines ihrer großen Themen: Baurecht. „Alles, was nicht Schema F ist, ist mühsam.“ Damit spricht sie ein Megathema an, dass immer mehr Unternehmer:innen Sorgenfalten auf die Stirn zeichnet: die überbordende Bürokratie, die durch die neuen Berichtspflichten zum Klimaschutz exponentiell zugenommen habe. „Wir wollen nicht alles zu Tode dokumentieren müssen“, spricht es Schatzdorfer-Wölfel deutlich aus. Ihre Forderung: Die ausufernden Berichtspflichten müssen zurückgeschraubt werden.

Zwar trifft beispielsweise das neue Lieferketten- Gesetz bisher nur Großunternehmen. Doch wer wie Schatzdorfer Gerätebau Konzerne wie KTM oder Miele beliefert, ist Teil derer Reportingkette und muss detaillierte Informationen und Zahlen zu Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck melden. Damit tut sich schon die Industrie schwer – trotz eigenen CSR-Abteilungen und gut ausgebauten Controllings. Für kleinere Betriebe ist der Aufwand jedoch überproportional und bindet viele Ressourcen.

Tele-Haase-Chef Ramsauer hat nachgerechnet: Das Sammeln und Auswerten von Informationen sowie die Dokumentation verschlingen fast zwei qualifizierte Vollzeitstellen – bei 80 Beschäftigten ein spürbares Minus an Wertschöpfung. „Umweltschutz und Transparenz sind wichtig, keine Frage“, sagt Ramsauer, „aber bitte sinnvoll und praktikabel.“

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Bürokratieboom. Die Berichtspflichten zur Umweltbelastung sind viel zu komplex, sagt Spediteur Philipp Traussnig: „Wir regulieren uns selber ins Aus.“

 © Ramona Steiner

Reporting vereinheitlichen

Logistiker Traussnig kann das nur bestätigen. „Die Berichtspflichten zur Umweltbelastung sind gut gemeint, aber viel zu komplex. Vor allem hat jeder Kunde, jede Behörde ihren eigenen Fragebogen, ihre eigenen Kriterien und ihr eigenes Rating, alles muss also doppelt und dreifach ausgefüllt werden.“ Seine Forderung an die Politik: Vereinheitlichung der Erhebung und eine zentrale Plattform, auf der die Unternehmen ihre Daten einstellen und diese von allen berechtigten Stakeholdern abgerufen werden können. Traussnig: „Nur so macht das Sinn und ist in einem zeitlich vertretbaren Rahmen machbar.“

Als Transportunternehmer, der täglich mehr als 120 Touren koordiniert, ein Teil davon mit eigenem Fuhrpark, steht Traussnig besonders im Umweltfokus – und vor erheblichen Investitionen. „Unsere eigene Flotte haben wir schon auf moderne Euro-6-Diesel umgerüstet“, sagt der 34-Jährige, der das Unternehmen mit Niederlassungen in Ungarn, Slowenien und Kroatien in dritter Generation führt, „für die einseitige Festlegung der Politik auf die E-Mobilität habe ich aber kein Verständnis.“

E-Lkw seien dreimal so teuer bei weniger Leistung, Förderungen dafür viel zu niedrig, zudem würden sich die Rahmenbedingungen ständig ändern. Mal gebe es Förderungen, mal nicht, zudem fehle es an der Infrastruktur etwa für Gas- oder HVO-betriebene Fahrzeuge. Seine Forderung an die Politik: mehr Planungssicherheit. Und: „Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen darf durch die Klimapolitik nicht gefährdet werden. Da braucht es mehr Augenmaß.“

Das sind keine Einzelfälle. Überbordende Bürokratie und Überregulierung gelten nach wie vor als Wachstumsbremsen. Dies deckt sich mit den IMAS-Umfrageergebnissen für die Erste Bank: 84 Prozent der KMU gehen davon aus, von steigenden regulatorischen Anforderungen und Bürokratie betroffen zu sein.

An konkreten Beispielen dafür herrscht kein Mangel. Hotelier Pilsl berichtet von seinem Förderansuchen für eine neue Heizanlage: „Extrem aufwendig, und vom Ansuchen bis zur Zusage dauert es extrem lange.“ Auch die Lohnverrechnung sei – für Gastronomiebetriebe mit vielen Sonderausnahmen – zu kompliziert und aufwendig.

Doch es gibt noch mehr Hürden, etwa die engen Grenzen bei den geldwerten Vorteilen für die Mitarbeitenden, für ihn ein wichtiges Instrument, um begehrte Fachkräfte halten zu können. „Es gibt zu wenig Spielraum, um das Stammpersonal über Veranstaltungen oder spezielle Programme und Angebote auch emotional ans Haus zu binden.“

„Wir regulieren uns selber ins Aus“, formuliert das Spediteur Traussnig. Sein Beispiel: der akute Fahrermangel. „Weil ‚Fahrer‘ nicht auf der aktuellen Liste der Mängelberufe aufscheint, bekomme ich keine Rot-Weiß-Rot-Karte für Kräfte aus Drittstaaten“, klagt Traussnig, „es gibt die Leute, die ich dringend brauche, aber ich bekomme sie nicht ins Land.“

Anerkennung gesucht

Aber den mittelständischen Unternehmer:innen geht es nicht nur um zu hohe Arbeitskosten und zu viel Bürokratie, es geht auch um Anerkennung und Akzeptanz. 15 Millionen Euro hat Erwin Hochwarter bereits in den Ausbau seines Unternehmens H&P Trading im burgenländischen Kematen investiert. Der Betrieb entwickelt und fertigt anspruchsvolle und stark belastete Produkte vor allem für Bahnunternehmen, vom feuerfesten Bremsschlauch über Steinschlagschutz bis zum Seifenspender. Auf der Kundenliste stehen ÖBB, Siemens und die Wiener Linien. Zusätzlich werden in Kooperation mit der Industrie Prototypen entwickelt und neue Produkte Belastungstests unterzogen.

Jetzt wird die Halle schon wieder ausgebaut. Das sichert knapp 50 Arbeitsplätze in der Region. Und die Reaktion: „Vor allem Neid“, schildert der 60-jährige Unternehmer. Jetzt kann man die Missgunst vieler Menschen schwer der Politik in die Schuhe schieben. Aber: „Die Politik geht zu oft auf die Wirtschaft los, weil angeblich ja alle Unternehmer Millionäre sind – und das, ohne zu arbeiten“, klagt Hochwarter, „es herrscht ein Unternehmerbild wie im Mittelalter, wir sind immer die Bösen.“ Seine Forderung an die nächste Regierung: in der öffentlichen Diskussion Bewusstsein für die Rolle von Unternehmen zu schaffen. „Schließlich sind wir es, die Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Und das darf ruhig mal öfter und öffentlich gesagt werden.“

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