Nicht nur am Bike, sondern auch betriebswirtschaftlich war bei KTM offenkundig Akrobatik angesagt.
©KTMDas Innviertler Vorzeigeunternehmen ist nicht nur Opfer der widrigen Wirtschaftslage, sondern auch eigener Fehler bei Qualitätsproblemen in den USA, Vorfinanzierungen für Händler und Risikomanagement.
Beim Adventempfang der oberösterreichischen Industriellenvereinigen erhielten Besucher heuer ein überraschendes Give-away, nämlich ein Buch über den argentinischen Präsidenten Javier Milei. Auch wenn die Industrie zweifellos schwere Zeiten durchlebt, ist es doch ein eigenwilliges Signal, Anleihen bei dem ultrakonservativen und ultraliberalen Anarchokapitalisten zu nehmen.
Umso mehr, als der Präsident des eigenen Vereins, Stefan Pierer, just am gleichen Tag die Insolvenz seines Unternehmens KTM ankündigte. Und es sich nach und nach herausstellt, dass nicht allein die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Österreich, die Pierer häufig wortgewaltig anprangerte, an dieser Misere schuld sind, sondern auch Hausgemachtes.
Wie aus einem Paradekonzern quasi über Nacht ein Sanierungsfall werden konnte, ist seither ein heiß diskutiertes Thema in Wirtschaftskreisen. Eine Erklärung ist die lange Erfolgssträhne von KTM. Während des Aufstiegs zum größten Motorradproduzenten Europas hätte man die meiste Zeit über um 15 bis 20 Prozent mehr verkaufen können, war aber durch die eigenen Produktionskapazitäten limitiert, wie ein Kenner der Materie ausführt. Pierer, der seiner Gruppe auch die Marken Husqvarna, GasGas und MV Agusta einverleibte, baute deswegen auf Teufel komm raus seine Fertigungsstätten aus, um nicht Umsatz liegen zu lassen.
Auch die KTM-Händler bestellten fleißig, um ja genug Bikes auf Lager zu haben. Und weil ein durchschnittlicher Motorrad-Dealer nur 20 bis 30 Stück selbst finanzieren kann, aber meist doppelt so viele haben wollte, finanzierte Pierer diese vor. Zusätzlich legte er noch ein großes eigenes Pufferlager an. 15 Jahre lang ging das gut.
Bis 2024 plötzlich mehr oder weniger alle Märkte gleichzeitig einbrachen. Die Händler blieben auf den Maschinen sitzen. Die Lagerware bindet riesige Summen an Kapital. Dieses Risiko nicht einkalkuliert zu haben, ist ein klassischer Managementfehler, den auch CEO Stefan Pierer auf seine Kappe nehmen muss.
Rätselhaft ist, wieso die KTM-Führung den Investoren noch im August von einem deutlich verbesserten zweiten Halbjahr 2024 berichtete, obwohl der überraschende Abgang von Finanzvorstand Viktor Sigl im Juli schon ein Hinweis auf gröbere Troubles war. Ebenso schwer verständlich ist, wieso nicht früher die Reißleine gezogen wurde. Man könne einmal ein Quartal lang die Dinge weiterlaufen lassen, meint ein Brancheninsider, aber es sei ihm nicht klar, warum neun Monate weiterproduziert wird, als ob nichts wäre.
Möglicherweise kümmerte sich Pierer nicht mehr voll ums operative Geschäft, weil er viele andere Bälle in der Luft hat: von der neuen Beteiligungsgesellschaft mit Mark Mateschitz über den Einstieg bei der Rosenbauer AG bis hin zum Akteur in der Industriepolitik.
Den größten Einbruch erlebte die KTM-Gruppe mit 36 Prozent in den USA, obwohl dieser Markt nur geringfügig zurückging. Die Probleme dort haben offenbar noch andere Ursachen. In einem Video für die Fangemeinde der „Orange Bleeders“ trommelte der Unternehmer Pierer kürzlich Durchhalteparolen. Die Hunderten darauf folgenden Postings enthalten allerdings überwiegend wenig schmeichelhafte Antworten. Die Rede ist von gravierenden Qualitätsmängeln, schlechten Garantieleistungen, mangelhaftem Service und Problemen bei Ersatzteilen. Der Tenor: KTM solle sich auf die Qualität besinnen anstatt auf das vom Kapitalmarkt getriebene Wachstum um jeden Preis. Ein „Orange Bleeder“ bringt den Unmut auf den Punkt: „Focus on customers, forget the investors”.
Ob die IV Oberösterreich ihre Give-aways in Zukunft ändert, ist offen. Ihr aktueller Präsident jedenfalls wird sie nicht mehr überreichen. Pierer bleibt zwar noch in der Funktion des IV-Präsidenten, er werde aber in dieser keine Aufgaben mehr wahrnehmen, bestätigte die Vereinigung einen Onlinebericht der „Oberösterreichischen Nachrichten“ am Freitagnachmittag.