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KV-Verhandlungen: Lohn der Angst

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Im Handel nichts Neues: Gewerkschaftsverhandlerin Veronika Arnost, Arbeitgebervertreter Rainer Trefelik

©APA/Tobias Steinmaurer
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Die in vielen Branchen anstehenden Lohnverhandlungen sind brisant wie lange nicht. Über die hartnäckige Rezession herrscht Einigkeit. Aber für die Gewerkschaften liegt das nicht an den Löhnen, für die Wirtschaft hingegen schon.

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Die Gewerkschaft GPA hat diese Woche ihre Forderung von 4,8 Prozent mehr Gehalt für die Handelsangestellten deponiert.  Der Präsident der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD), Eckehard Quin, wird wohl ebenfalls ein Ergebnis über der als Basis dienenden rollierenden Inflation von 3,8 Prozent beim für die Staatsbediensteten zuständigen Vizekanzler Werner Kogler anpeilen. Wobei die Staatsdiener bessere Chancen haben, sich durchzusetzen, als die Mitarbeiter im notleidenden Handel.

Über den im Vorjahr von der GÖD erzielten Abschluss von 9,15 Prozent kritisieren Wirtschaftsbosse bis heute als verhängnisvolles Präjudiz für die danach folgenden KV-Poker.

Die Ausgangslage ist dramatisch wie selten: Österreich liegt bei der Erhöhung von Löhnen und Gehältern im europäischen Spitzenfeld – beim Wirtschaftswachstum ganz hinten. Die allermeisten Unternehmer und Manager machen für die hartnäckige Rezession nicht zuletzt die im internationalen Vergleich weit über dem Durchschnitt gestiegenen Löhne verantwortlich. Besonders groß ist der Unmut in der Industrie, wo sie seit 2019 um über 26 Prozent angehoben wurden. Deutschland kommt im gleichen Zeitraum nur auf 15 Prozent. Oberösterreichs Industriellenpräsident Stefan Pierer wettert: „Erstmals in der Geschichte liegen wir über den Deutschen. Wir haben unseren Vorteil komplett verspielt.“ Die Lohnstückkosten laufen davon. Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer stellt fest: „Wir preisen uns zunehmend aus den Absatzmärkten.“

Die logische, aber fatale Konsequenz der schon spürbar gesunken Produktivität: Zahlreiche gleichlautende Berichte von Experten zeichnen das gleiche Bild, nämlich dass vor allem kleine, aber auch große Unternehmen auf die Bremse steigen und weniger investieren. Und wenn doch, dann oft im Ausland. So haben sich die österreichischen Direktinvestitionen in den USA haben sich seit 2010 auf 17 Milliarden Euro fast vervierfacht.

Das Dilemma

Auch Arbeitnehmervertreter bestreiten das Dilemma nicht. Sie schieben den Schwarzen Peter aber der Regierung zu, „die es verabsäumt hat, die Inflation in Österreich rechtzeitig einzudämmen. Wir haben immer gesagt, dass die Löhne steigen werden, wenn das nicht schneller gelingt. Und jetzt hängt uns dieses Problem nach“, sagt Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl.

Fehler der Politik bei Inflationsbekämpfung sind tatsächlich evident, da sie vor allem im Energiebereich keine inflationsdämpfenden Eingriffe vornahm, sondern im Nachhinein Gewinne abschöpfte und mit der Gießkanne Zuschüsse verteilte. Was aber keinen Einfluss auf die Inflationsrate hatte – und damit hohe KV-Abschlüsse provozierte.

Aber auch die Unternehmen selbst trugen ihr Scherflein bei. In der ersten Phase der Inflationskrise 2022 haben viele ihre Preise wenig vorausschauend munter erhöht. Laut AK stiegen in diesem Jahr die Gewinne der 800 größten heimischen Kapitalgesellschaften um 16,9 Prozent – was sich mit Daten aus dem jährlichen „Top 500“-Ranking des trend für 2022 deckt. Zahlreiche Betriebe steigerten Umsatz und operativem Gewinn weit über der Inflationsrate.

In den letzten beiden Jahren sind die Profite der Unternehmen indes wieder stark gefallen. Die Lohnquote, die den Anteil der Arbeitnehmerentgelte am österreichischen Volkseinkommen misst, geht kräftig nach oben und wird laut WIFO 2025 bei über 73 Prozent liegen, was zuletzt Anfang der 1990er-Jahre der Fall war.

Unter den Tisch

Die Gewerkschaften lassen gerne unter den Tisch fallen, dass nicht nur die durch die höchste Inflation im Euroraum getriebenen Nominallöhne, sondern auch die – preisbereinigten – Reallöhne hierzulande üppiger ausfielen als anderswo. Bis 2019 bewegten sie sich im Gleichklang mit der Eurozone. Seither geht eine Schere auf: Laut Daten der WKO per Ende 2023 um vier Prozentpunkte bei den Reallöhnen pro geleistete Arbeitsstunde.

Eine Auswertung des Thinktanks Agenda Austria zeigt, dass die realen Nettolöhne bereits 2024 wieder über wieder über dem Niveau vor der Inflationskrise liegen. Arbeitnehmer bei unserem wichtigsten Handelspartner Deutschland und in etlichen anderen europäischen Ländern haben die Kaufkraftverluste hingegen noch nicht wieder aufgeholt.

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WKO-Chef Harald Mahrer fordert eine kräftige Lohnnebenkostensenkungen: „Keine homöopathische Dosis, sondern  in der Größenordnung von zehn Prozent über das gesamte Volumen.“ Das wären etwa 4,5 Milliarden Euro. (Foto: trend/Lukas Ilgner)

Wie also rauskommen

In der Frage, wie man aus der Sackgasse, in die sich Österreich manövriert hat, wieder rauskommt, liegen die Strategien weit auseinander. Das beginnt schon bei der Analyse. Helene Schuberth, die Chefökonomin des ÖGB, erklärt: „In der Industrie machen die Lohnkosten nur zehn bis 30 Prozent der Gesamtkosten aus. Sie sind nicht mehr wie früher der entscheidende Wettbewerbsfaktor“. WKO-Boss Mahrer widerspricht vehement: „Für den Export haben die Personalkosten die brutalsten Auswirkungen, denn höhere Energiekosten hat die europäische Konkurrenz auch.“

Mit großen Zugeständnissen der Gewerkschaften rechnet die WKO aber offenbar nicht. Mahrer legt den Fokus darum auf die Lohnnebenkosten: „Noch nicht alle haben bemerkt, dass die Alarmglocken schon laut schrillen. Es braucht jetzt eine kraftvolle. Um brutto-brutto wieder auf das deutsche Niveau hinunterzukommen, muss das in der Größenordnung von zehn Prozent über das gesamte Volumen liegen.“ Das wären rund 4,5 Milliarden Euro. „Die WKO ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat die Kammerumlage gesenkt.“

AK-Präsidentin Anderl beurteil die Forderung skeptisch: Geld muss dann entweder aus dem Steuertopf kommen – „oder es werden Sozialleistungen gekürzt, was wir ablehnen.“ Die Unternehmerverbände verweisen auf genügend Reserven in diversen Budgets der öffentlichen Hand, um den Einnahmenausfall mit Steuergeld zu kompensieren.

Neben dem Drehen an den Lohnkosten schweben Mahrer etliche andere Wege vor, um die Produktivitätsverluste auszugleichen. Zum Beispiel: „Für jemanden, der in der Pension weiterarbeitet, sollte der Arbeitgeber nur die Unfallversicherung und keine sonstigen Abgaben zahlen müssen. Das wäre eine produktivitätssteigernde Maßnahme, die sich leicht umsetzen lässt.“

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AK-Präsidentin Renate Anderl steht einer Reduzierung der Lohnnebenkosten sehr skeptisch gegenüber: „Wer zahlt die Beiträge dann? Sie müssten entweder aus dem Steuertopf kommen, oder die Sozialleistungen werden gekürzt.“ (Foto: picturedesk.com/APA/Tobias Steinmauer)

Auf Arbeitnehmerseite

Auf Arbeitnehmerseite sind die Pläne zur wer die neue Bundesregierung bildet. Anderl betont, Lohnabschlüsse unter der Inflation kommen für sie nicht in Frage, sie räumt aber ein: „Es wird Einschnitte in allen Bereichen geben, auch bei den Arbeitnehmern.“

In erster Linie sollen aber Millionäre zur Kasse gebeten werden: „Wir bleiben dabei, dass Reiche über eine Vermögenssteuer mehr zur Finanzierung des Systems beitragen sollen.“ Helene Schuberth ergänzt noch die Rücknahme der KöSt.-Senkung.

Die zusätzlichen Mittel sollen laut der ÖGB-Expertin in ein staatliches Konjunkturpaket fließen. AK-Mitstreiterin Anderl pflichtet bei, dass uns der Staat auch um den Preis von noch mehr Schulden aus der Rezession holen soll: „Um das Rad in Schwung zu bringen, wird es zusätzliche Investitionen der öffentlichen Hand brauchen. Wir als AK plädieren dafür, langfristige Zukunftsinvestitionen – wie etwa in die grüne Transformation – von den strengen EU-Fiskalregeln auszunehmen.“

Die Talfahrt

Vor allem müssten aber die Unternehmen wieder mehr investieren. Einen der Gründe, warum sie das Gegenteil tun, erklärt WKO-Chef Mahrer so: Weil eine Viertelmillion Babyboomer in den nächsten Jahren in Pension gehen, würden Unternehmen – trotz Auftragsflaute – versuchen, ihre Mitarbeiter um jeden Preis zu halten. Das hohe Lohnniveau verschärfe das Dilemma, sodass „immer weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung stehen“.

Auch das rapide Ansteigen der Sparquote auf 11,4 Prozent zu Lasten des Konsums hat damit zu tun. Mahrer: „Die Leute in den Betrieben kriegen mit, dass die Aufträge fehlen und sind deswegen vorsichtig.“ Auch Geringverdiener würden sparen. Die Erzählung, die Menschen hielten sich beim Konsum zurück, weil sie weniger Geld zur Verfügung, sei falsch. „Die Reallöhne sind im Gegenteil der Konjunktur enteilt.“

Die Entwicklung zu einer sich verfestigenden strukturellen Rezession wird in den Lohnverhandlungen ein zentrales Thema sein.

Die Langfassung dieser Analyse finden Sie im trend.PREMIUM vom 25. 10. 2024.

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