Markus Wagner, Gründer i5invest
©trend / Wolfgang WolakMit Kaleido und has.to.be gelangen ihm zwei Superexits, binnen drei Jahren 100 weitere Transaktionen. i5invest-Chef Markus Wagner im trend. Interview über industrienahe Geschäftsmodelle, US-Investoren und eine neue Ernsthaftigkeit.
2023 war ein hartes Jahr für die Start-up-Szene. "Wir gehen die Extrameile" ist eines der Versprechen, die i5invest seinen Portfoliounternehmen gibt. Wie viele davon mussten Sie im letzten Jahr gehen?
Natürlich mussten alle Extrameilen gehen. Die i5invest steht aber gestärkt da. Hauptgrund ist sicher, dass wir aus der Pandemiezeit viel Schwung mitnehmen konnten und unser starkes Standbein in den USA viel dazu beigetragen hat. War unser Fokus ursprünglich, die besten europäischen Unternehmen in die USA zu bringen, hat sich das lokale Geschäft dort stark entwickelt. Wir sind auch geblieben, als viele in der Pandemie ihre Zelte abgebrochen haben. In den USA haben wir mittlerweile sogar eine Investmentbanking-Lizenz, und das Team in San Francisco betreut primär amerikanische Unternehmen. Bei dreien unserer Portfoliofirmen schließen wir gerade Runden mit amerikanischen Leadinvestoren ab. Das ist beachtlich. Europäische VCs sind gerade zurückhaltend, und wirklich interessante Assets sind für die Amerikaner spannend. Da sehe ich einen Trend in 2024, dass sich spannende Entwicklungen stärker zwischen Europa und den USA abspielen.
Auffällig am i5invest-Portfolio ist, dass Sie kaum in B2C-Geschäftsmodelle gehen, und sich auf ganz bestimmte Branchen beschränken.
Wir haben uns immer schon auf Unternehmen konzentriert, die nicht die typischen Start-up-Klischees erfüllen. Wir unterstützen häufig sehr erfahrene Gründer, oft auch welche, die einen Management Buy-out machen oder Altgesellschafter auskaufen wollen, oder sehr wissenschaftliche Gründer, die an einer revolutionären Thematik arbeiten, oder vielfach profitable „Mittelstands“-Techunternehmen und Unternehmensnachfolgen, denen wir mit Schwung helfen können, in den USA aktiv zu werden und signifikant zu wachsen. Im Regelfall sind es B2B-Themen, die mit Energiewirtschaft, Industrieautomatisierung, Deeptech oder KI zu tun haben. Das sind alles Themen, die für Europa wichtig sind, und wo wir hier mit tollen Forschungsinstituten, Spin-offs, und auch mit dem Finanzierungsökosystem rund um eine Biontech auch Investoren mit Appetit haben.
Bei vielen Investoren waren die kalten Füße zuletzt stärker als der Appetit. Wie schaffen es Ihre Portfoliounternehmen, in diesem wirtschaftlichen Umfeld Geld aufzustellen?
Zwei Gruppen muss man hier unterscheiden: Firmen, die profitabel sind und super Traction haben, können ganz andere Strategien fahren. Firmen, die das nicht sind, im Start-up-Ranking vermutlich die meisten Plätze ab 30, tun sich schwer. Jetzt sucht jeder panisch Geld. Erstere müssen zwar vielleicht Bewertungsabschläge von bis zu einem Drittel hinnehmen, aber die können sich mit ein bisschen Unterstützung die strategischen Optionen und die Investoren noch immer aussuchen, auch in den USA.
Was meinen Sie mit ein "bisschen Unterstützung"?
Zur Zeit wird jeder Investor auf der Welt mit Anfragen bombardiert. Du kommst durch diese Masse nicht mehr durch, deswegen brauchen die Firmen mehr denn je ein Netzwerk, damit sie überhaupt die Airtime bekommen, weil sich so viele Startups auf verhältnismäßig wenige Investoren und Käufer stürzen. Anfang 2023 haben VCs aufgehört, ihre Start-ups vorm Sterben zu retten.
Die Triage bei Investoren muss noch schneller gehen.
Es ist normal geworden, es ist ernster geworden. Man muss nicht mehr auf den Ruf achten. Man lässt manche sterben, damit andere überleben können.
Welche Tipps geben Sie Gründern, die unter Kostendruck stehen?
Kosten sparen, ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit reinbringen. Homeoffice weg, Sabbaticals reduzieren, Personal abbauen und Liquidität sichern. Die erste Adresse für Brückenfinanzierungen sind die Bestandsinvestoren, und die lassen sich das Lebenretten gut bezahlen, das ist so teuer wie nie zuvor. Das sind fürchterliche Klauseln, nicht selten bleibt den Gründern gar nichts mehr vom Unternehmen. Oder sie müssen sich alle strategischen Optionen anschauen inklusive eines Unternehmensverkaufs. Etwas, das lange verpönt war, erlebt eine richtige Renaissance: Corporate VCs. Die haben keinen negativen Mief mehr. Früher haben VCs schon einmal gesagt, sie wollen nicht mit Corporate VCs oder Unternehmen gemeinsam investieren, das hat sich geändert.
Und wenn diese Optionen alle erschöpft sind, was raten Sie dann?
Wir sind irrsinnig ehrlich. Wenn unsere Empfehlung ist, man muss Leute abbauen um Jobs und die Firma zu retten, sagen wir es auch. Da sind wir schnell und effizient, und das geht nur über die Glaubwürdigkeit. Wir haben viele erfahrene Leute, die selbst Gründerbackground haben. Von denen hört man sich das leichter an als von einem jungen Investmentmanager mit On-Schuhen und Patagonia-Jacket, der gewohnt ist, dass ihm alle zuhören, es dann aber trotzdem nicht tun. Bei uns kommen viele Leute aus der Industrie, in der sie unterstützen und haben ähnliche Situationen durchlebt.
Lassen Sie uns einen Blick in die USA werfen: Was könnten sich die Europäer von den USA abschauen?
In den USA ist alles optimistischer, flexibler und schneller. Dort gibt es wieder viele positive Signale aus der Tech-Industrie. Ein erstes IPO Line-up zeichnet sich wieder ab, und das sind nicht mehr semiprofitable und gehypte SPACs, sondern spannenden Firmen. Damit gibt es wieder einen Liquiditätskanal am Ende des Investmentzyklusses. Genauso gibt es wieder große Firmenübernahmen, der M&A-Markt zieht stark an und auch der Appetit auf europäische Technologieunternehmen ist groß. Im Jänner hat Synopsys die Ansys um 35 Mrd. Dollar gekauft, und HP hat Juniper Networks um 14 Mrd. übernommen. Reddit stellt sich gerade für die Börse auf.
Mir ist ein Satz von Ihnen in Erinnerung, mit dem Sie Trumps Wahl zum Präsidenten 2016 trocken kommentiert haben, als Europa noch ganz geschockt war über den Sieg: „Das Silicon Valley ist pragmatisch“. Was passiert bei einem neuerlichen Sieg Trumps? Wie spielt hier Gaza rein?
Selbst bei Trump 2 werden die Amerikaner pragmatisch damit umgehen. Es ist dasselbe wie im Nahen Osten und den anderen Krisenherden, der Ukraine und Taiwan. Dem Silicon Valley ist die Ukraine wirtschaftlich relativ egal, mit Israel ist man durch das Technologie-Innovationsökosystem schon enger verflochten. Tatsächlich ist Taiwan für das Valley aufgrund der starken Verzahnung in der Halbleiterindustrie wirtschaftlich aber sehr viel wichtiger. Während die Europäer den Kopf einziehen und den Atem anhalten, gehen sich die Amerikaner nach vorn. Die USA haben sich viel schneller bewegt in diesen Krisen als es in Europa der Fall war und stellen sich wirtschaftlich laufend neu auf.
Woran sehen Sie das am offensichtlichsten?
Früher haben zum Beispiel wenige Investoren Dual-Use-Themen (Anm. Technologien, die auch militärisch verwendet werden können) überhaupt angegriffen. Den Amerikanern war das recht schnell egal. Während die Europäer noch stur einer These anhängen, verändern die Amerikaner ihre Geschäfte entsprechend rasch. Das Wirtschaftswachstum in den USA ist doppelt so hoch wie in Europa. Da ist viel mehr Dynamik und weniger Selbstmitleid.
Abseits ihrer finanziellen Potenz: Warum sind amerikanische VCs so viel begehrter?
In den USA wird die VC-Landschaft dominiert von ehemaligen Unternehmern, die auf die VC-Seite gewechselt sind. In Europa kommen viele von Beratern oder guten Schulen, haben selbst aber oft nicht gegründet. Die VCs in den USA sind echt erfahren und auch deutlich präziser bei ihren Investmenthypothesen und kommen auch sehr stark aus der jeweiligen Industrie. Wenn man die Chance hat, einen amerikanischen VC oder Käufer an Bord zu holen, ist das wirtschaftlich meist besser. Sie kennen sich besser aus und zahlen mehr. Auch wenn die Bewertungen niedriger geworden sind, ist eine amerikanische Runde oder Verkaufspreis immer noch um ein Vielfaches größer. Der amerikanische Käufer hat in der Regel noch immer mehr globale Synergien.
Hat sich der Jobmarkt im Start-up-Bereich wieder entspannt? Nach größeren Kündigungswellen müsste wieder mit Spielraum vorhanden sein ...
Die Informatiker finden immer etwas, generell haben Leute mit Start-up-Erfahrung viel gelernt und kommen überall gut unter. Zugegeben, es ist eine subjektive Beobachtung: Der vor zwei Jahren fast schon militante Trend zu Homeoffice, Work-Life-Balance und Vier-Tages-Woche hat sicher einen Reality Check erfahren. Ich sehe viel weniger Hunde in Büros, dafür mehr Mitarbeiter. Es ist schon ernster geworden. Das ist für viele Start-ups, denen das Geld ausgeht, eine anstrengende Zeit. Das motiviert andere vermutlich auch nicht wirklich zum Gründen.
Kommen Ihnen auch Erinnerungen hoch, an die eigenen schlaflosen Nächte in den ersten Jahren als Gründer?
Wir hatten (Anm. Xidris) schon auch harte Zeiten Anfang der Nuller Jahre. In erinnere mich, dass wir permanent unter Spannung waren. Nachdem wir aber immer bootstrapped waren, war in den ersten Jahren jeder einzelne Vertriebstermin extrem ernsthaft, weil etwas herauskommen musste. Dafür hat es uns später nicht mehr treffen können. Wir waren einfach immer unter Strom. Wenn du aber gerade fünf Millionen geraised hast, ist man sicher ein bisschen lockerer und macht andere Sachen.
Macht fremdes Geld leichtsinniger?
Das imponiert uns bei i5invest an den gründergeführten Unternehmen, dass sie nie Spielgeld hatten und die unternehmerische Substanz auf etwas gebaut ist, das sich immer hat rechnen müssen. Expandieren ist super, wenn man eine gesunde Basis verdoppelt und verdreifacht, hier können wir sehr gut international unterstützen. Bei sehr stark fremdfinanzierten Geschäftsmodellen verwischt sich oft, ob die Maßnahmen die richtigen sind. Und es ist verblüffend, wie schnell zehn, zwanzig oder dreißig Millionen weg sind. Ein Jahr 100 Leute bezahlen kostet zehn Millionen Euro.
Steckbrief
Markus Wagner
Markus Wagner, Seriengründer mit großen Exits (u. a. 3united 2006, 123people 2010), zieht heute als Aufsichtsratsvorsitzender des M&A-Hauses i5invest die Fäden. Er ist mehrfach ausgezeichneter Investor mit besten USA-Kontakten.
i5invest hat 100 Mitarbeitende und Niederlassungen in Wien, Madrid, Frankfurt und den USA. Seit 2021 wurden rund 100 Kapitaltransaktionen, v.a. Verkäufe und signifikante Finanzierungsrunden, begleitet. 2021 gab es auch zwei Superexits: mit Kaleido.ai an das australische Decacorn Canova und dem Cloudsoftwareanbieter für Ladeinfrastruktur has.to.be an die US-börsenotierte ChargePoint.
Eine gekürzte Version des Interviews finden Sie auch in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 9.2.2024