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Neo-Post-Chef Walter Oblin: „In Schlapfen-Distanz“

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WALTER OBLIN, geb. 1969, ist ausgebildeter Wirtschaftsingenieur mit starkem technologischen Fokus. 13.000 Zusteller sollen mit neuesten Handhelds (Bild) nun noch effizienter arbeiten können.

©trend / Lukas Ilgner
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Der ab Herbst 2024 als neuer Post-Boss agierende WALTER OBLIN spricht am liebsten über Digitalisierung. Er will, dass die altehrwürdige Post als Technologiekonzern und eines der größten IT-Unternehmen im Land wahrgenommen wird. Bis dahin ist es aber noch ein Stück des Wegs.

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"Amazon gilt als IT-Konzern, obwohl nur acht Prozent des Personals mit IT befasst sind“, stellt Walter Oblin fest, der im September den Chefsessel in der Österreichischen Post AG erklimmen wird: „Bei uns sind es sechs Prozent. So weit liegen wir also nicht zurück.“

Ein gewagter Vergleich. Aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Der Großteil der Mitarbeiter kümmert sich hier wie dort um die Logistik. Börsenbewertungen wie bei dem US-Giganten sind für die altehrwürdige heimische Post trotzdem weit außer Reichweite. Amazon ist am Kapitalmarkt ca. den dreifachen Jahresumsatz wert, die börsennotierte Post kommt auf einen Faktor von 0,8.

Ungeachtet dessen scheint der künftige CEO Oblin fest entschlossen, die Post ebenfalls stärker als Technologiekonzern ins Bewusstsein zu rücken: „Wäre unsere IT ein Unternehmen, wäre es in Österreich eines der größten der Branche. Wir haben rund 1.000 IT-Experten.“ 500 davon sind direkt in der Post beschäftigt, die andere Hälfte in diversen Töchtern von der bank99 über Shöpping bis zu Agile Actors in Griechenland.

Letztere wurde vor gut einem Jahr zu 80 Prozent übernommen, weil hierzulande nicht mehr ausreichend Talente zu finden waren. Oblin: „Wir haben das weniger aus Kostengründen gemacht, sondern wollten ein Angebotsproblem lösen.“

Die Zahl der Mitarbeiter, die in Griechenland exklusiv für die Post arbeiten, soll bald dreistellig sein. Daneben wird die neue Tochtergesellschaft als Dienstleister für Softwareentwicklung und Data Engineering auch weiterhin für Dritte tätig sein.

2020 stockte die Österreichische Post AG ihren Anteil an der türkischen Aras Cargo, mit der man seit 2013 Paketgeschäft betreibt, ebenfalls auf 80 Prozent auf.

Mittlerweile wurden über 75 Prozent Marktanteil und zuletzt hohe Umsatzzuwächse erreicht. Gleichzeitig wird auch eine Menge IT-Talent in der Türkei rekrutiert. Die gesamte Entwicklung des Paket-Logistik-Systems für alle Osteuropatöchter wurde dort gebündelt.

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EIN AKTUELLES GROSSPROJEKT ist der Ausbau der Selbstbedienung. Dafür soll die Zahl voll digitalisierter SB-Stationen vor allem auf dem Land deutlich erhöht werden.

Die Selbstbedienung

„Alles, was wir tun, hat mit Digitalisierung zu tun. Jedes Thema ist ein IT-Projekt“, lautet das Credo von Oblin, der bislang im Vorstand für die Finanzen und das Briefgeschäft verantwortlich ist. Die IT-Investitionen betragen jährlich zwischen 150 und 160 Millionen Euro. „Denn wir haben den Anspruch, Innovationsführer zu sein.“

Man nutze alle verfügbaren Technologien von Chips in den Rollbehältern der Zustellbasen bis Cloud Computing und Einsatz künstlicher Intelligenz. Im Moment steht das Roll-out von 13.000 Handhelds der neuesten Generation auf dem Programm, die den Zustellern die Abwicklung erleichtern.

Die Post-App wird seit ungefähr vier Jahren im eigenen Haus weiterentwickelt. Sie ist mit 3,5 Millionen Downloads und 350.000 aktiven Nutzern im Monat eine der am weitesten verbreiteten Applikationen in Österreich.

Das nächste Großprojekt ist der Ausbau digitalisierter Selbstbedienungsstationen. Laut Oblin war man auf diesem Gebiet auch Pionier Europa. 30 Millionen Pakete wurden im Vorjahr durchgeschleust. Die Zahl der Stationen, über die Kunden 95 Prozent der Dienstleistungen selbst abwickeln können, soll nun vor allem am Land noch deutlich steigen. Von der A1 wurden dafür 1.000 nicht mehr benötigte Telefonzellen übernommen. Ziel von Oblin ist eine Selbstbedienungsoption „in Schlapfen-Distanz jedes Österreichers“.

KI für die Sozialversicherung

Mit der Tochterfirma Business Solutions bietet die Post Geschäftskunden Dienstleistungen zur Optimierung ihrer Prozesse: digitale Erfassung und Management von Dokumenten, Druck, digitaler oder physischer Post-Ausgang. Kürzlich wurden die Sozialversicherungen als neuer Kunde gewonnen. Oblin: „Wir digitalisieren die eingehenden Arztrechnungen, lesen sie aus und bearbeiten sie mit KI vor, sodass idealerweise ohne Eingriff eines Sachbearbeiters verbucht werden können.“ Wobei die Kunst darin besteht, aus unstrukturierten Informationen, die ein Arzt aufschreibt, mittels KI die richtigen Schlüsse zu ziehen. Auch Behördeneinschreiber sollen bald selbstbedienungsfähig gemacht werden, was in Kombination mit der ID Austria möglich wäre.

Etliche große Unternehmen – etwa ORF oder Erste Bank – haben bereits ihre komplette Poststelle samt Mitarbeitern zur Post AG verlagert. Für Versicherungen wird an einer Lösung getüftelt, um Schadensfälle in Realtime abwickeln zu können: Eine Rechnung wird auf der App fotografiert, dann klassifiziert, worauf automatisch ein Feedback folgt.

Die Post-Gesellschaft advanced commerce labs (ACL) baut und betreibt Onlineshops (inklusive Zustellung) für große und mittelgroße Händler in Österreich und Deutschland (u. a. dm, Hervis, Pearl).

Der am Markt erzielte Umsatz aus IT-Dienstleistungen, die nichts mit der Digitalisierung der eigenen Prozesse zu tun hat (Business Solutions, Agile Actors usw.), bewegt sich bereits bei rund 100 Millionen Euro pro und wächst stetig.

Papiertiger

Freilich sind das noch immer weniger als zehn Prozent der 1,19 Milliarden Euro, die im österreichischen Briefgeschäft gemacht werden. „Das Volumen bei Brief- und Werbepost geht zwar jedes Jahr zurück. Wir werden daran aber noch lange gut verdienen, wir reden hier von ein paar Jahrzehnten“, bricht Walter Oblin auch eine Lanze für die analoge Post.

Das Flugblatt sei noch immer das Medium mit der größten Reichweite: „Da kommen Sie nicht einmal mit einer ‚Kronen Zeitung‘ heran.“ Allerdings schreitet die Verknüpfung von Papier mit Digital fort. So bietet man Kunden die Zustellung von Flugblättern auch in Verbindung mit Bannerwerbung oder via Direct Mail an. Mit der Website „Aktionsfinder“, einer digitalen Prospektplattform, wird zusätzliche digitale Reichweite für Flugblätter offeriert. Die Post beteiligte sich 2015 zu 60 Prozent an diesem Start-up.

Um seine Innovationskraft zu erhöhen, stieg der einst als bürokratisches Amt der Brief- und Paketausträger verschrieene Konzern in den vergangenen Jahren immer wieder bei Start-ups ein oder gründete sie mit. In Deutschland zog die Post seit 2013 mit Investoren den Pharmagroßhändler AEP direkt hoch, der – nach einer Art Ryanair-Modell – aus einem digitalisierten Zentrallager 15.000 Apotheken beliefert.

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SECHS PROZENT DER POST-MITARBEITER sind in der IT beschäftigt, fast so viele wie bei Amazon. In der Tochterfirma Business Solutions (Bild) entstehen Lösungen abseits der Digitalisierung eigener Prozesse.

Auch die bank99 ist ein selbst gegründetes Start-up. Sie nutzt die Post-Filialen als Standorte, ist aber in weiten Teilen auch eine Onlinebank. Die Software-Verbindungen zwischen Postschalter und Bank-App wurden im eigenen Haus entwickelt.

Der Post-eigene Onlinehändler Shöpping wurde lange bestenfalls belächelt, hat aber seine Nische gefunden. „Wir haben über 1.000 kleinere und mittelgroße heimische Händler und können 3,5 Millionen Produkte liefern“, führt Oblin aus, räumt aber ein, dass nach dem Höhenflug in der Pandemie „das regional Einkaufen momentan an Bedeutung verloren hat“. Die Paketstatistik zeigt im Gegenteil, dass chinesische Online-Billigstanbieter wie Temu und Shein gerade massiv Marktanteile gewinnen. Oblin: „Die Realität ist, dass 80 Prozent der E-Commerce-Pakete aus dem Ausland stammen. Aber wir stehen zu Shöpping. Wir wollten dem österreichischen Handel etwas helfen. Was bis zu einem gewissen Grad gelungen ist.“

In diesem Punkt zieht der künftige Post-Boss aber wohlweislich keinen Vergleich mit Amazon. 

Der Artikel ist trend. PREMIUM vom 12. April 2024 entnommen.
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