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Online-Handel außer Rand und Band

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ROCCO BRÄUNIGER UND MIRIAM ENZI, der Countrymanager von Amazon Deutschland, Österreich, Schweiz, und die Länderchefin für Logistik in Österreich (im Verteilzentrum Wien-Liesing): Polittour in Wien für faire gesetzliche Auflagen.

©beigestellt / ELISABETH MANDL
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Lange Zeit war AMAZON der Parade-Angreifer im E-Commerce schlechthin. Nun muss sich Rocco Bräuniger, Chef von Deutschland und Österreich, plötzlich mit chinesischen Billigkonkurrenten und immer rigideren EU-Auflagen herumschlagen.

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Das Etikettieren verlief noch holprig, beim Sortieren dann, am anderen Ende des Amazon- Verteilzentrums in Wien-Liesing, hatte Rocco Bräuniger die Schulkinder auf seiner Seite. Jeder Paket-Scan ließ eine andere Versandtasche bunt aufleuchten, die gezielt befüllt und bezirksweise geordnet in die Lieferwagen geladen wurde. Viel lustiger ist eine Nintendo Wii auch nicht.

Der Chef von Amazon Deutschland und Österreich war allerdings nicht zum Spielen da, sondern um bei ausgewählten Politik- und Wirtschaftsvertretern gute Stimmung für E-Commerce zu machen. Der Onlineriese leidet immer stärker unter regulatorischen Einschränkungen aus Brüssel (Digital Service Act, Digital Marketing Act), die tief in die Abläufe des Onlinehandels eingreifen.

Dass Österreich jetzt zusätzlich noch mit der Forderung nach Klarnamenpflicht bei Onlinerezensionen vorpreschte, ließ Unruhe aufkommen: "Wir unterbinden jetzt schon pro Jahr 200 Millionen mutmaßlich missbräuchliche Rezensionen, bevor sie überhaupt von Kunden gesehen wurden. Um die Erfolge und die Prozesse dahinter zu erklären, muss der Austausch mit der Politik vertieft werden."

Keine neue Hürden

Was Amazon derzeit am wenigsten brauchen kann, sind weitere Hürden im Markt. Man will das Geschäftsmodell nach den turbulenten Corona-Jahren auf allen Ebenen nachschärfen. Das Minus aus 2022 wurde ausgemerzt, 2023 brachte beinahe wieder Rekordgewinne (30,4 Milliarden Dollar). Doch der Löwenanteil davon stammt aus dem Zusatzgeschäft für Cloud-Anwendungen (AWS), der klassische Handelszweig ist weit bescheidener unterwegs, außerhalb Nordamerikas schrieb man sogar Verluste.

Zudem knabbern neue asiatische Mitbewerber wie Temu oder Shein am Onlinekuchen, genauso wie junge Konsumenten, die immer häufiger auf Social- Media-Plattformen wie TikTok oder YouTube einkaufen. In beiden Fällen wird der Warenfluss direkt von den Produktionsstätten meist chinesischer Hersteller aus gesteuert ("Dropshipping"), Plattformhandel braucht dabei niemand.

Dabei schließt sich der Kreis zur Politik - denn die neuen Angreifer unterlaufen beim Import nach Europa nicht selten die ungeliebten EU-Regulatorien, die nicht nur für Amazon zum täglichen Brot gehören, vom Verifizierungszwang bei Rezensionen über das Verbot irreführender Webshopgestaltung ("Dark Patterns") bis hin zu Verpackungsverpflichtungen.

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Mit Millionen kleiner Einzelpakete unterlaufen chinesische Versender die Zollfreigrenze von 150 Euro, klagt Bräuniger: "Wenn neue Bestimmungen aus Brüssel auf Amazon und nicht auf andere große Einzelhändler angewandt werden sollten, würden wir auf unfaire Weise benachteiligt und gezwungen werden, umfassende Verwaltungsvorgaben zu erfüllen, die den EU-Verbrauchern nichts nützen."

Temu, Shein & Co. sind so preisaggressiv unterwegs, dass ein Gutteil der Steigerung im Paketaufkommen in Österreich auf die chinesischen Radikaldiskonter zurückgeführt wird, bestätigt auch Harald Gutschi, Sprecher der Unito Group (Universal, Quelle, Otto) die Entwicklung: "Es ist unfassbar, was da gerade abgeht. Das ist unfairer und unkontrollierter Wettbewerb". Er erwartet, dass die neuen asiatischen Versender heuer einen Marktanteil im E-Commerce von zehn bis 15 Prozent erreichen.

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HARALD GUTSCHI, der Sprecher von Österreichs Versandhandelsspezialist Unito Group (u. a. Otto, Universal, Quelle): fassungslos, wie chinesische Billiganbieter (Temu, Shein &Co.) Markt und Marktregeln unterlaufen.

Radikale Neuerungen geplant

Bräuniger dementiert zwar akuten Handlungsbedarf: "Natürlich gab es immer wieder über Jahre hinweg neue Businessmodelle. Die meisten haben sich als nicht beständig erwiesen. Wenn wir in ein Business investieren, dann so, dass wir uns sicher sind, dass wir es auch noch in zwei, drei und fünf Jahren den Kunden bieten können." Und doch reagiert man mit einer Reihe von Neuerungen, die den Vorsprung Amazons wieder in alte Dimensionen bringen sollen - immerhin ist man in Österreich der bei Weitem größte Onlinehändler und setzt (mangels offizieller Länderzahlen mit der Eins-zu-zehn- Faustformel) geschätzt über drei Milliarden Euro um. Media Markt, nach Zalando der dritte Verfolger, etwa kommt auf rund 300 Millionen.

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So hat Amazon im Trend zum Shoppen im eigenen sozialen Umfeld ein "Ask a friend"-Feature eingeführt. Es soll die Empfehlungs- und Beratungskompetenz im engeren Bekanntenkreis der Kunden aktivieren.

Oder: Um Platz in den Lieferwagen zu sparen und gleichzeitig ökologische Gutpunkte am Altpapiercontainer zu sammeln, forciert man den verpackungslosen Versand. Die Ware soll zunehmend in Originalverpackung auf den Weg geschickt werden. Das ist durchaus radikal, eliminiert der US-Riese damit doch sein typisches Markenzeichen, den braunen Karton mit dem breiten Amazon-Grinsen aus dem Logistikprozess, allen hochgelobten Konzern-Corporate-Design-Regeln zum Trotz.

Die Strategie soll verstärkt auch die Retoursendungen betreffen ("Label-free, Box-free"). Ware kann neuerdings mittels QR-Code bequem und unverpackt zum Paketdienstleister gebracht werden, der sammelt einzelne Retouren zur Rücksendung in Großgebinden. Möglich gemacht werden soll auch die Entsorgung großer Haushaltsgeräte bei Ersatzkäufen. Auch bei der Zustellung will man gegen den neuen chinesischen Mitbewerb mit Innovationen punkten, etwa mit dem Amazon Day, wo ein Tag in der Woche als gut planbarer Standardliefertermin für alle Bestellungen vordefiniert werden kann.

Oder mit dem Ausbau der Same-Day-Schnellbelieferung. Damit das logistisch funktioniert, investiert Amazon - ganz gegen den Trend und gegen einigen innerösterreichischen Widerstand - erst recht in neue Infrastruktur, etwa in das Verteilzentrum Graz-Premstätten.

Filmland Österreich

Und weil die reinen Handelsaktivitäten durchaus durchwachsen sind, sollen zusehends auch die Zusatzgeschäfte ausgebaut werden, etwa Prime Video. Da spielt Österreich eine unerwartet starke Rolle, wurden doch einige Amazon-Produktionen in und mit Österreich produziert, etwa die Filmmusik für die Prime-Video-Serie "Herr der Ringe: Ringe der Macht" (u. a. mit den Wiener Sängerknaben), der Film "Sachertorte", "Mandy und die Mächte des Bösen" oder, eben angelaufen, die erste komplett österreichische Prime- Video-Serie "Beasts like us", eine sogenannte Horrorkomödie.

Und so versuchte Bräuniger, bei seinem Wien-Besuch nicht nur Schulkinder in die Geheimnisse der Versandalgorithmen einzuweihen oder der österreichischen Politik die EU-Regeln zu erklären.

Ein Fixtermin war auch das Kunstund Kulturministerium: Man möchte nämlich für weitere Amazon-Projekte verstärkt auch die österreichische Filmförderung anzapfen.

Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 23. Februar 2024.
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