ORF-Generaldirektor Roland Weißmann
©Lukas IlgnerORF-Generaldirektor Roland Weißmann will im Jahr 2024 die Früchte nach Jahren "harter Arbeit" ernten. Der ORF-Chef im Interview über den Start von ORF ON, die Kampagne für die neue Haushaltsabgabe, politische Kritik an den Auslandskorrespondenten – und warum es bei aller Kooperation wichtig ist, "Herr im eigenen Haus" zu sein.
Eine Fußball-Europameisterschaft mit einem starken österreichischen Team, ein Superwahljahr, die neue Haushaltsabgabe, neue digitale Möglichkeiten – 2024 ist eine gmahde Wiesn für den ORF, oder?
Wir haben hart dafür gearbeitet, eine nachhaltige Finanzierung für den ORF und mehr digitale Möglichkeiten zu bekommen. Beides ist nun mit 1. Jänner 2024 da. Dennoch bleiben die wirtschaftlichen Herausforderungen für alle Medienunternehmen groß. Der ORF hat eine nachhaltige, aber keine üppige Finanzierung bekommen. Der Wind bläst auch uns entgegen. Aber Sie haben natürlich insofern recht, als es 2024 viele neue Programme geben wird, dazu eine Fußball-Europameisterschaft, Olympische Sommerspiele, viele Wahlen, wir gehen mit einem neuen Kinderprogramm an den Start, mit einer neuen "gelben Seite", mit einer neuen "blauen Seite" und, und, und. Insgesamt wird es also deutlich mehr Programm für weniger Geld geben.
Für jene, die schon bisher Programmentgelte vulgo ORF-Gebühren gezahlt haben, ja. Das ändert sich mit der Haushaltsabgabe, jetzt werden alle zur Kasse gebeten. Werden Sie die bereits laufende Kampagne "Für dich und mich und alle" noch einmal verdichten?
Es gibt eine Kampagne des ORF und eine der GIS, die künftig OBS heißen wird. Das werden wir über die nächsten Monate weiterziehen. Natürlich wird das Thema ab Jänner kontroversiell. Aber für 3,2 Millionen unserer bisherigen Nutzer ändert sich nichts – außer dass es günstiger wird. Die neuen Zahler:innen versuchen wir gezielt anzusprechen. Wir wissen ja, dass pro Tag 80 Prozent der Österreicher:innen mit zumindest einem ORF-Angebot in Kontakt sind. Auf orf.at werden wir nun außerdem mehr Bewegtbild und weniger Text anbieten, das entspricht einem geänderten Nutzungsverhalten. Auf der "blauen" Seite wird es täglich 50 Textmeldungen und 117 Bewegtbildmeldungen geben.
Und dass es nicht mehr als 50 Meldungen sein werden, das wird der Zeitungsverlegerverband VÖZ zählen, der ja eine massive Beschränkung auf der "blauen Seite" gefordert hat?
Zählerin ist die unabhängige Medienbehörde KommAustria.
Hat Sie der Aufschrei der Verleger, die auch die EU-Wettbewerbsbehörden aktiviert haben, überrascht?
Nein. Ich war ja nicht zum ersten Mal bei solchen Verhandlungen dabei. Am Ende des Tages war es ein guter Kompromiss für den Medienstandort. Es waren harte, aber faire Verhandlungen. Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz, jetzt schauen wir in die Zukunft.
In Zukunft dürfen Sie dank neuem Gesetz ja auch Online-only-Inhalte anbieten, die Sie nur digital ausspielen. Machen Sie das gleich ab Anfang Jänner?
Dazu bedarf es einer Auftragsvorprüfung durch die Behörde. Wir sind zur Gänze mit den aktuellen Umstellungen beschäftigt, so dass wir für Online-only-Produktionen derzeit gar keine Kapazitäten hätten. Aber wir schließen das für die Zukunft natürlich nicht aus.
Die alte, 2009 gestartete TVthek läuft noch bis April. Warum der monatelange Parallelbetrieb?
Wir haben quasi als Serviceangebot eine Doppelphase, um den Menschen Orientierung zu geben. Wir nutzen diese Phase, damit jeder alles finden kann. Im April sind alle Apps fertig, dann gibt es den Vollausbau. Wir beobachten während dieses Parallelbetriebs natürlich genau, wie die User:innen das neue Angebot annehmen, Stichwort userzentrierter Ansatz. Wir können auf ORF ON jedenfalls vom Start weg mit spektakulären Inhalten punkten: alle Folgen von "Biester", unserer neuen Signature-Serie, wird es zunächst exklusiv dort geben, 80 Folgen der "Vorstadtweiber", "Soko Kitzbühel" und vieles andere mehr – wir werden beim Start mehr als 200 Stunden fiktionales Programm haben, und das wird laufend mehr werden. Es wird eine Art österreichisches Netflix, mit dem großen Unterschied, dass wir auch Information, Kultur und Sport dabeihaben.
Dennoch ist es nicht der große Player geworden, der alle österreichischen Inhalte versammelt und so im Wettbewerb mit den US-Streamingdiensten entsprechend mehr Gewicht hätte. Warum?
Unter gewissen gesetzlichen Voraussetzungen ist es möglich, Drittanbieter auf unserer Plattform zu haben: Radioprogramme, Fernsehprogramme etc. Es ist nicht der große Austria-Player geworden, das ist schon richtig. Aber so wie wir als ORF auf dem P7S1P4-Player Joyn sind, werden auch Drittanbieter auf ORF ON sein. Nicht von Beginn weg, aber es gibt bereits erste Gespräche.
Dann wird es erst recht zwei Parallelangebote mit überlappenden Inhalten geben? Ist das wünschenswert?
Wir leben in einer Markt-, nicht in einer Planwirtschaft. In der Praxis wäre das Zusammenfahren tatsächlich extrem kompliziert. Es ist wichtig, Herr im eigenen Haus zu sein. Die aktuelle Kooperation funktioniert: Elf Prozent unserer Onlinenutzung haben wir inzwischen über Joyn. Das bringt uns einen schönen Reichweitenzuwachs. Wir erreichen dort womöglich Menschen, die wir sonst nicht erreichen würden.
Einen gemeinsamen Player mit ARD und ZDF wird es folglich auch nicht geben?
Es gibt laufend Gespräche über einen großen Schulterschluss mit den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland und der Schweiz. Es wird hier Kooperation, Vernetzung und Verlinkung geben. Wir arbeiten intensiv daran.
Lohnabschlüsse sind derzeit ein großes Thema. Ihr letzter war mit knapp über zwei Prozent in Zeiten hoher Inflation rekordverdächtig niedrig. Wie weit sind Sie mit dem aktuellen?
In Runde sieben. Zeitdruck habe ich keinen, denn das Budget 2024 ist beschlossen.
In Ihrem neuen multimedialen Newsroom, höre ich, ist die Unzufriedenheit derzeit quer durch die Teams gleichmäßig hoch. Was hören Sie?
Wir haben jetzt Anfang Dezember die neue Chefredaktion bestellt. Wie immer bei großen organisatorischen Prozessen gibt es auch Kritik. Die neue Chefredaktion wird sich auch damit beschäftigen, wie man alle ins Boot holen kann. Unser Newsroom ist der modernste Österreichs, wenn nicht Europas. Kritik muss man ernst nehmen und damit umgehen. Ich halte den ORF jedenfalls nach wie vor für einen sehr attraktiven Arbeitgeber.
An den Kriegsschauplätzen der Welt sind auch Ihre Korrespondenten derzeit besonders gefordert – und teilweise heftig in der Kritik. In der Ukraine Christian Wehrschütz, im Nahen Osten vor allem Karim El-Gawhary. Teils kommen diese Angriffe von politiknahen Beratern. Vom ORF-Management ist wenig zu hören.
Die ORF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten leisten hervorragende Arbeit, auch die beiden von Ihnen genannten, und das oft unter sehr schwierigen Bedingungen. Der ORF ist laut allen Studien nach wie vor die glaubwürdigste Informationsquelle für die Österreicher:innen. Insgesamt gab es immer eine ausgewogene Berichterstattung. Wenn es Fehler gibt, reagieren wir darauf, öffentlich und intern.
Sie stellen sich nicht schützend vor die angegriffenen Mitarbeiter?
Selbstverständlich tue ich das. Vielfach ist die Kritik einer extrem polarisierten Öffentlichkeit in den sozialen Medien geschuldet, und oft werden Kolleg:innen ins Visier genommen, um den ORF zu treffen.
Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz, sagten Sie vorhin: Nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist eine weitere Novellierung des ORF-Gesetzes bis März 2025 notwendig, es geht um die Besetzung der ORF-Gremien. Kommt das noch 2024 – in einem Jahr mit einem Nationalratswahlkampf?
Es ist noch Zeit. Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug, ich werde da keine Ratschläge erteilen. Wir nehmen es, wie es kommt.
Letzte Frage, schwierigste Frage. Wer gewinnt am 17. Juni das erste EM-Spiel der österreichischen Mannschaft gegen Frankreich?
Österreich. Zwei zu eins.
Zur Person
Steckbrief
Roland Weißmann
Roland Weißmann, geb. 1968, war als Geschäftsführer von orf.at bereits ab 2020 für das damalige Projekt ORF-Player zuständig, das nun Gestalt annimmt. Der gebürtige Oberösterreicher studierte Publizistik und Geschichte in Wien. Er begann als Journalist 1995 im ORF-Landesstudio Niederösterreich und war später u. a. Chef vom Dienst von Ö3. 2010 folgte er Richard Grasl als Büroleiter der ORF-Finanzdirektion. 2017 wurde er Vizefinanzdirektor. Im August 2021 wurde er zum ORF-Generaldirektor gewählt.
Das Interview ist der trend. edition+ vom Dezember 2023 entnommen.
Zur Magazin-Vorschau: Die aktuelle trend. Ausgabe
Zum trend. Abo-Shop