Andreas Klauser startete seine Karriere 1990 bei Steyr Landmaschinentechnik. Er wurde 2009 Vorstand und Europa-Boss der Fiat-Tochter CNH Industrial. Seit 2018 ist Klauser CEO von Palfinger.
©trend/Philipp HorakAndreas Klauser, Chef des Kran-Spezialisten Palfinger, über die Dynamik in den USA, die Trägheit in Teilen Europas und die immer schwierigere Aufgabe, die Arbeitsplätze an den Standorten in Österreich zu halten.
Die ersten drei Quartale 2024 waren für Palfinger passabel, mit einem geringeren Minus als bei vielen anderen Industriebetrieben. Zufrieden?
Wir sind nicht ganz unzufrieden. Wir konnten mit einem großen Auftragspolster in das Jahr starten. Parallel dazu gingen Bereiche wie Marine oder Defence nach oben. Auch in Nordamerika zeigt sich ein positiver Trend, der sich vor der Wahl etwas verlangsamt hat. Südamerika hat sich gut entwickelt, auch Länder wie Brasilien, wo man es nicht glauben würde. Durch die regionale Diversifizierung und die breitere Angebotspalette hängen wir heute weniger von der Bauwirtschaft und vom D-A-CH-Raum ab. Klar ist aber auch: Die nächsten sechs bis neun Monate bleiben schwierig. Und das liegt vor allem an Europa.
Sie bauen die Produktion des Konzerns außerhalb Europas zunehmend aus. Ist Österreich so unattraktiv geworden?
Früher lag unser Fokus hauptsächlich auf der Baubranche. Und da wiederum auf der EMEA-Region (Europe, Middle East, Africa, Anm.). Eine Kombination, die jetzt durchaus kritisch wäre. Vor fünf Jahren hat die Neuausrichtung begonnen. Die Abhängigkeit von EMEA ist deutlich gesunken. Der Zugang, die gesamte Produktpalette internationaler zu vermarkten, macht sich bezahlt. Das Geschäft in Nord- und auch in Südamerika wurde deutlich gestärkt.
Investitionen tätigt Palfinger jetzt hauptsächlich in Nordamerika und Osteuropa, richtig?
Unser Prinzip heißt: in der Region für die Region. Das Geschäft in Europa ist sicher um mehr als 15 Prozent zurückgegangen – was sich eben auf die Investitionen auswirkt. Und auch wenn das Volumen wieder zurückkommt, wird der Ausbau großteils außerhalb Österreichs stattfinden. Wir sind mit den Werken in Bulgarien, Slowenien, Serbien und Kroatien gut aufgestellt. Wir finden dort gute Arbeitskräfte, und die Kostenstruktur ist besser. Die Produktion wird sich innerhalb Europas verschieben.
Wie haben Sie denn auf die reduzierten Kapazitäten in Österreich bei den Personalkosten reagiert?
Zum Teil haben wir Leasingkräfte abgebaut. Wir haben die offenen Stellen in Österreich nicht mehr nachbesetzt und ein eigenes, vom Staat unabhängiges Arbeitszeitmodell initiiert. Die Betroffenen arbeiten 80 Prozent und bekommen 90 Prozent bezahlt. Das bleibt vorerst bis Jahresende in Kraft.
Halten Sie Mitarbeiter trotz Flaute, weil Sie vielleicht keine Fachkräfte mehr kriegen, wenn Sie später wieder welche brauchen?
Ziel ist, in den strategisch wichtigen Bereichen unsere Kernteams zu halten. Wir sind in Österreich aber nicht nur mit einer temporären Rezession konfrontiert, sondern mit einem tiefgreifenden Wandel. Und hier kommt die Politik ins Spiel. Wir können in Österreich nur dann Arbeitsplätze halten und schaffen, wenn wir unsere Lohnstückkosten deutlich reduzieren. Wir nutzen zwar die Potenziale unseres europäischen Produktionsnetzwerks, vor allem der Standorte auf dem Balkan, um Kostennachteile zu kompensieren. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass grundlegende Reformen dringend geboten sind – wenn der Industriestandort Österreich auf lange Sicht Zukunft haben soll.
Um wie viel fahren Sie die Investitionen zurück?
Mit Blick auf 2025 werden wir in Summe bis zu 25 Prozent reduzieren. Projekte, die wir in der Pipeline haben, setzen wir um, werden aber bei künftigen Investitionen deutlich vorsichtiger sein.
Hätten Sie privat 50 Millionen Euro, wo würden Sie die in ein Unternehmen investieren?
In den USA und in Indien. Das spannendste Land für Palfinger ist derzeit sicher Indien, da geht die Post ab in allen Bereichen. Und Nordamerika ist generell der stärkste Wirtschaftsmotor. Man kann über die USA denken, wie man will, aber sie sind nach wie vor eine der bestfunktionierenden und stabilsten Ökonomien.
Was macht die USA konkret zu einem attraktiveren Standort als Europa?
Die gesamte Kostenstruktur ist ein zentrales Thema. Der Markt ist dynamischer. Und wenn man in den USA eine Investition tätigt, das sehe ich auch bei unseren Kunden, hat man immer Zugang zu günstigen, effizienten Finanzierungen über den Kapitalmarkt. Außerdem kriegt man für Innovationen in Amerika schnell mal einen ordentlichen Multiplikator für die Börsenkapitalisierung. In Europa oder Österreich werden gute Ideen weniger honoriert.
Wie viel Rolle spielt, dass die Leute in den USA halt auch mehr arbeiten?
Ich weiß nicht, ob sie mehr arbeiten, aber der Arbeitswille ist jedenfalls ein anderer. Erstens, weil man im amerikanischen Sozialsystem schnell an die Grenze kommt, wo man gezwungen ist, zu arbeiten – was jetzt nicht heißt, dass ich mir das für Europa wünsche. Zweitens bleibt dem Amerikaner halt auch mehr netto im Verhältnis zu dem, was er arbeitet.
Im Unterschied zu den USA waren Sie mit Palfinger bei China immer ein bisschen zurückhaltend. Gilt das nur für China als Produktionsstandort oder auch als Absatzmarkt?
Wir haben uns aus den Joint Ventures dort nicht zurückgezogen, aber die Erwartungen von vor zehn Jahren haben sich nicht erfüllt. Als Absatzmarkt ist China überschätzt worden. Das haben wir vor einigen Jahren schon revidiert. Wir sahen kommen, dass etwa die Baubranche an ihre Limits stößt. Jetzt wird deutlich, dass in China auch nicht mehr das Wachstum da ist wie früher. Ich wurde bei den quartalsmäßigen Investoren-Talks öfter gefragt, warum die „schlauen Palfinger-Leute“ den Rückwärtsgang einlegen, während alle anderen nach China drängen. Diese Kritik höre ich nicht mehr. Derzeit ist Indien der dynamischere Markt. Wir sind dort bereits große Lieferanten für die Infrastrukturmodernisierung.
Kommen wir zurück nach Österreich. Bei unseren stark gestiegenen Lohnkosten wird sich kurzfristig nicht viel machen lassen. Welche Maßnahmen, die halbwegs schnell wirken, würden Sie einer neuen Regierung für den Wirtschaftsstandort empfehlen?
Eine Entbürokratisierung im Sinne von klaren Regeln und klaren Ansagen der Regierung, die dann auch eingehalten werden – vor allem für den Weg der Dekarbonisierung. Das ewige Herumeiern muss aufhören. Ich hielte es außerdem für wichtig, dass die Politik Organisationen wie die Industriellenvereinigung besser in die Mitgestaltung von Plänen einbindet. Wirtschaftliche Aspekte würden dann nicht so leicht unter den Tisch fallen.
Wäre die Senkung der Lohnnebenkosten eine Lösung?
Die würden wir sehr begrüßen, und vor allem eine Reform der Überstundenbesteuerung. Heute hat kein Mensch mehr einen Anreiz, die Extrameile zu gehen. Das war früher anders. Wer die Nachtschicht machte, konnte sein Haus schneller abzahlen. Ich möchte auch noch das Thema Senior Experts ansprechen, das ich aus den USA kenne. Man bleibt drei bis fünf Jahre länger im Unternehmen, bekommt eine Steuerbegünstigung und zahlt nichts für die Pensionsversicherung.
Wie bewerten Sie Konzepte der Arbeitnehmerseite, die sich zur Überwindung der Rezession Konjunkturpakete wünschen und möglichst hohe Lohnabschlüsse, damit der Konsum angekurbelt wird?
Wir machen mehr als 95 Prozent des Geschäfts im Export. Die Kaufkraft in Österreich ist mir zwar wichtig als Mensch, weil ich hier lebe, aber nicht für unsere Industrie. Dass wir mittlerweile bei den Lohnkosten zum Teil teurer als Deutschland sind, kann so nicht weitergehen. Und man darf jetzt auch nicht auf Teufel komm raus mit neuen Schulden staatlicherseits die Konjunktur ankurbeln. Es muss alles im Sinne der Generationen leistbar bleiben. Viele der Förderungen, Zuschüsse und Ausgleichszahlungen der letzten Jahre sind übers Ziel hinausgeschossen. Was man sicher tun könnte, und das sage ich nicht nur, weil es Palfinger hilft, wäre eine Ankurbelung des Wohnbaus. Alle beschweren sich, dass es in diesem Bereich zu wenig Investitionen gibt und der Wohnraum zu teuer ist. Impulse der öffentlichen Hand würden beides adressieren.
Sind wir in Österreich generell zu verwöhnt?
Wir sind sicher zum Teil auch verwöhnt, aber das war ein Teil des Systems, das bisher mehr oder weniger funktioniert hat, wenn ich z. B. an die Sozialpartnerschaft denke. Leider haben wir mittlerweile eine Grenze überschritten. Es sollte allen bewusst sein, dass es in der Form nicht mehr geht. Arbeit muss sich wieder lohnen, z. B. indem Überstunden weniger besteuert werden und Sozialleistungen keine Alternative zum Lohn der Arbeit sind.
Sie haben für den Fiat-Konzern in Italien gearbeitet. Die südeuropäischen Länder waren immer die Sorgenkinder der EU. Jetzt sind Spanien, Italien und Portugal auf der Überholspur unterwegs, die einstigen Musterschüler Deutschland und Österreich laufen hinterher. Warum?
Bei uns wurde ein Businessplan gemacht für drei bis fünf Jahre – und dann Monat für Monat abgehakt. Plötzlich sind wir quartalsmäßig oder sogar monatlich mit Schwankungen konfrontiert. Damit können Italiener oder Spanier besser umgehen, weil sie diese Volatilität seit jeher kennen. Dadurch mussten sie flexibler agieren, und davon profitieren sie jetzt. Ein anderer Punkt ist, dass sie durch den Druck all der Maßnahmen, die man ihnen seitens Brüssel auferlegt hat, ihre Hausaufgaben gemacht haben. Für unser Unternehmen kann ich konkret sagen, dass Spanien und Italien derzeit einen Teil der fehlenden Aufträge in Deutschland kompensieren. Die lange Stabilität nördlich des Brenners hat letztlich zu einer gewissen Trägheit geführt.
Wie beurteilen Sie als Kenner der Materie die Zukunftsperspektive der deutschen Autoindustrie?
Ich will mich nicht als österreichischer Ferdinand Dudenhöffer aufspielen. Aber natürlich hat die zu lange an alten Technologien festgehalten. Als sie dann feststellte, dass sie sich Richtung Elektrifizierung anpassen muss, hat sie zu spät und halbherzig reagiert – und hinkt den Chinesen jetzt eineinhalb oder zwei Jahre hinterher. Der Kuchen ist kleiner geworden und fast schon gegessen. Da wird es jetzt schwierig für die Deutschen.
Wir reden da von der Branche, die sehr großen Einfluss auf den Wohlstand auch in Österreich hat. Müssen wir uns damit abfinden, dass die Lokomotivfunktion der deutschen Autoindustrie endgültig vorbei ist?
Beim Pkw wird sie diese bedeutende Rolle aus meiner Sicht nicht mehr spielen können, der Bedeutungsverlust ist nur mehr bedingt aufholbar. Hingegen glaube ich, dass wir bei Nutzfahrzeugen nach wie vor einen großen Vorsprung gegenüber asiatischen Produkten haben. Den dürfen wir nicht verspielen. Ich hoffe, dass die Nutzfahrzeugbranche aus dem Abstieg der Pkw-Hersteller etwas gelernt hat. Das gilt auch für Infrastrukturbereiche wie Bus und Bahn, bei denen Europa bislang Weltmarktführer war.
Wie lautet Ihr Resümee: Kann Österreich bzw. Europa das Ruder noch herumreißen, ohne dass es vorher richtig kracht?
Ich befürchte, vielerorts kracht es schon durchaus, wobei das noch nicht so sichtbar ist. Was muss in Deutschland noch alles passieren, bis die Politik endlich aufwacht? Die Probleme bei VW sind ein deutliches Warnsignal. In Österreich werden wir sehen, welche Konstellation wir politisch bekommen. Hier habe ich noch Hoffnung, dass wirtschaftspolitische Aspekte in den Vordergrund rücken.
Obwohl die Bevölkerung das Ausmaß der Krise noch gar nicht so spürt, glauben Sie, dass sich die Politik über unpopuläre Reformen traut?
Sie muss jetzt den Mut haben, einmal Tabula rasa zu machen. Die Staatsverschuldung, deren Höhe erst nach der Wahl beziffert wurde, zeigt die Dringlichkeit echter Reformen. Die Regierungen müssten die Karten auf den Tisch zu legen, weil es sonst keinen Plan geben kann, wie wir da rauszukommen. Krisen wie Covid oder den Ukrainekrieg als Ausrede für Förderaktionismus zu nützen, wird nicht mehr reichen.
Sie haben kürzlich ein paar Tausend Stück Palfinger-Aktien gekauft. Sie glauben, das Unternehmen wird dem Abschwung der Industrie trotzen können?
Ich bin von der Aktie als gutes Investment überzeugt, wenngleich unsere Kursentwicklung nicht zufriedenstellend ist. Dem steht eine sehr positive Dividendenrendite gegenüber, die sich mittelfristig im Aktienkurs niederschlagen wird.
Das Interview erschien zuerst in der trend.PREMIUM Ausgabe vom 8. November 2024.
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