Im ersten Interview nach dem spektakulären Aus als OMV-Aufsichtsratschef nimmt Peter Löscher zu unangemessener staatlicher Einmischung und zu seiner Kontrolltätigkeit Stellung.
trend: Ihr aufsehenerregender Abgang als Aufsichtsratsvorsitzender der OMV liegt nun einige Jahre zurück. Haben Sie damals alles richtig gemacht?
Peter Löscher: Man kann über einzelne Detailentscheidungen immer streiten. Aber die Entscheidung für eines der größten Unternehmen Österreichs Verantwortung zu übernehmen, war angesichts der ursprünglichen Rahmenbedingungen richtig. Obwohl die OMV durch eine staatliche Beteiligung geprägt war, hat die damalige österreichische Bundesregierung allen Versuchungen widerstanden und auf die Handlungsfreiheit des Managements wie des Aufsichtsrats großen Wert gelegt. Auf dieser Grundlage konnte ich auch guten Gewissens im Aufsichtsrat der OMV mitwirken.
Wurde damals von der Politik versucht, Ihre Entscheidungen aktiv zu beeinflussen?
Das Verhältnis zwischen der österreichischen Staatsholding ÖBAG zu deren jeweiligen Beteiligungen unterliegt der Vertraulichkeit – weshalb ich in der Öffentlichkeit einzelne Themen nicht kommentieren will. Ich habe aber immer Wert darauf gelegt, dass ein Unternehmen – auch wenn es teilstaatlich ist – nach klaren betriebswirtschaftlichen Prinzipien geführt werden muss. Zuviel staatlicher Interventionismus hat noch nie funktioniert. Wenn einzelne Politiker glauben, sie seien die besseren Unternehmer, dann ist für mich eine Grenze überschritten. Das Risiko einer möglichen unangemessenen staatlichen Einmischung bei der OMV, soviel kann ich sagen, hat es aber damals gegeben. Und da ich in meinem Leben immer nach klaren Prinzipien gehandelt habe, konnte ich den neuen Kurs der damaligen Regierung nicht mittragen und habe die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Würden Sie jemals wieder in den Aufsichtsrat eines teilstaatlichen Konzerns gehen?
Die Frage stellt sich heute für mich nicht mehr.
Wegen Ihrer Kritik an der Regierung Kurz wurden Sie auch als „Anpatzer“ bezeichnet, wie man seit den Chats von Herrn Schmid weiß. Was geht da in Ihnen vor?
Viel Feind, viel Ehr. Aber im Ernst: die Chats bestätigen mich in der Richtigkeit meiner damaligen Einschätzung, dass hier von bestimmten politischen Kreisen eine unsachgemäße Unternehmenspolitik betrieben werden sollte.
Haben Sie das Ende der Regierung Kurz mit einer gewissen Schadenfreude betrachtet?
Schadenfreude ist keine Kategorie, mit der ich Dinge bewerte. Herr Kurz hat sich durchaus auch um Österreich verdient gemacht und das nötigt Respekt ab. Dass man - mit seinem Alter - noch nicht für alle Komplexitäten im Wirtschaftsleben Verständnis hat, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Und deshalb werde auch ich das nicht tun.
Sie waren bzw. sind in mehreren Ländern in Kontrollorganen großer Gesellschaften. Gibt es in der Ausgestaltung der Tätigkeit große länderspezifische Unterschiede?
Es gibt sicherlich Unterschiede in den Unternehmenskulturen - und bei Aufsichtsräten die angelsächsische Tradition einerseits und das duale System einer getrennten Boardstruktur andererseits. Beide Konzepte haben ihre Vor- und Nachteile. Am Ende aber geht es um die ökonomischen Stellgrößen in einem Unternehmen – und diese sind in jedem Land gleich und stellen auch das jeweilige Management vor gleiche Probleme. Profitables Wachstum zu ermöglichen und die richtige Balance zwischen Gesellschaftern beziehungsweise Aktionären sowie Mitarbeitern und Kunden sicherzustellen, sind Herausforderungen unternehmerischer Führung, die überall gelten.
Wie aktiv legen Sie etwa Ihre Rolle als Aufsichtsrat bei Telefonica an?
Ich bin aktives Mitglied im Aufsichtsrat der spanischen Muttergesellschaft – aber zusätzlich für die Aufsicht der deutschen Tochtergesellschaft verantwortlich.
Erfordert die Krise eine aktivere Rolle von Aufsichtsräten?
Ich würde nicht sagen, dass es um eine aktivere Rolle geht – die aktuelle Krisenlage sollte nicht die unterschiedliche Verantwortung von Vorstand bzw. Geschäftsführung einerseits und den Aufsichtsräten bzw. Beiräten andererseits aushebeln. Diese Trennung hat sich bewährt. Was sich aber verändert, ist der Bedarf nach Kommunikation und auch Ratgeben im besten Sinne des Wortes.
Hat sich Ihr Arbeitspensum als Aufsichtsrat in den letzten drei Jahren erhöht?
Das ist in etwa gleich geblieben – wenn es um die jeweiligen Mandate geht. Ich habe – wie im Falle OMV oder auch Sulzer – auch Mandatsverantwortung abgegeben und damit auch Zeit gewonnen, die ich jetzt teilweise für die Unterstützung bei jungen Unternehmensgründungen einsetze.
Welche Rolle spielte denn der Aufsichtsrat bei Ihrer vorzeitigen Ablöse als Siemens-Chef? Hat man Ihnen damals unrecht getan?
Der Aufsichtsrat ist nun einmal das entscheidende Gremium für Berufung oder Abberufung eines Vorstands. Die Entscheidungen eines Aufsichtsrats hat man als Vorstand zu respektieren und das habe ich immer auch getan. Deshalb ist, wie Sie es sagen, das Wort Unrecht für mich keine Beschreibung, die ich mir zu eigen mache. Es freut mich aber, wenn handelnde Personen und Kollegen der damaligen Zeit, mein Wirken und meine Gestaltung bei Siemens heute durchaus positiv sehen.
Hat Ihnen dieser vorzeitige Abgang in Ihrem weiteren beruflichen Fortkommen geschadet?
Nein. Ich habe dadurch auch mehr Freiheit bekommen, neue Projekte anzustoßen.
Wollten Sie nach Siemens nie mehr operativ tätig sein?
Es ist in der Politik wie in der Wirtschaft eine große Kunst den richtigen Zeitpunkt für das Ausscheiden aus der aktiven operativen Verantwortung zu finden. Ich glaube, mir ist das gelungen, weshalb ich – auch im Rückblick - mit meiner damaligen Entscheidung zufrieden bin.
Steht die Haftung eines Aufsichtsrats im Verhältnis zu seiner Honorierung?
Das hängt von den Vergütungen in den jeweiligen Unternehmen ab – aber auch von dem Sektor. Im Bankenbereich reden wir sicherlich auch über größere Verantwortung der Aufsichtsräte. Grundsätzlich aber gilt, dass die Vergütungen kein strittiges Thema sind.
Wie beurteilen Sie von außen den Extrem-Fall Wirecard: Hat da auch der Aufsichtsrat Fehler gemacht?
Bei diesem Thema bin ich zu weit weg, um hier sachgemäß urteilen zu können.
Könnten Sie sich vorstellen, dass auch in einem Unternehmen, wo Sie Aufsichtsrat sind, derartige Mengen an Geld verschwinden?
Auf hypothetische Fragen äußere ich mich normalerweise nicht.
Sollte es eine Maximaldauer für Aufsichtsräte geben?
Ja, drei Amtsperioden halte ich für ausreichend oder auch das schweizerische Modell der jährlichen Wiederwahl wäre eine sachgemäße Option.
Wie beurteilen Sie die Arbeit von „Active investors“?
Wenn diese als konstruktive Aktionäre auftreten, die das Gesamtwohl des Unternehmens im Blick haben – und dazu gehören auch die Interessen der Mitarbeiter und Kunden -, dann können diese Investoren durchaus Gutes bewirken und eine Unternehmensführung anstoßen. Wenn es aber nur um partikulare Interessen geht, die das Gesamtwohl eines Unternehmens vernachlässigen, dann sehe ich aktivistische Investoren durchaus auch kritisch.
Wie sehr müssen Sie sich als Aufsichtsrat mit dem Thema ESG beschäftigen?
ESG spielt – auch durch politisch-regulatorische Auflagen – eine immer größere Rolle für die Arbeit der Aufsichtsräte. Für mich persönlich ist das Thema aber nicht neu. Denn Unternehmen haben immer auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Wertschöpfung setzt immer auch Werte voraus. Daran orientieren sich viele Aufsichtsräte, die ich kenne. Deshalb sind ESG-Prinzipien wichtig – sie sollten aber nicht zu einer neuen bürokratischen Bürde in den Unternehmen und deren Führungsgremien werden. Politische Nachhilfe für Aufsichtsräte oder auch Geschäftsführungen in Sachen ökologischer und sozialer Standards sind aus meiner Sicht nicht nötig, da die Unternehmen diese Standards schon lange im Blick haben.
Welcher Aufsichtsratsposten würde Sie noch interessieren?
Ich bin mit den Verpflichtungen, die ich habe, sehr zufrieden. Was aber nicht heißt, dass ich mich der Verantwortung entziehe, wenn eine interessante Aufgabe an mich herangetragen wird.
ZUR PERSON
Peter Löscher, geb. 1957 in Villach, war von 2007 bis 2013 Vorstandsvorsitzender der Siemens AG. Seit 2014 ist er Verwaltungsratspräsident der Sulzer AG und seit 1. April 2020 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Telefónica Deutschland Holding AG. Von 2016 bis 2019 war er Aufsichtsratschef der OMV.
Eine gekürzte Version des Interviews finden Sie in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 234.02.2023