Die EU will mit den neuen EU-Pharmapaketen die Versorgung mit Medikamenten auf neue Beine stellen. Die Pharmaindustrie sind ob der Pläne skeptisch.
©ShutterstockDie EU will mit dem neuen EU-Pharmapaket die Versorgung mit Medikamenten verbessern und die eigene Pharma-Branche stärken. Die Industrie fürchtet, dass der aktuelle Entwurf genau das Gegenteil bewirkt.
Erkältungen, Grippe und Corona sorgen derzeit für einen Rekord bei Krankenständen. Die Mittel, um die Leiden zu kurieren, sind nicht immer zu haben: Paxlovid etwa, ein Medikament, das den Krankheitsverlauf einer Corona-Infektion mildert, war kürzlich in vielen Apotheken nicht mehr vorrätig.
Der Engpass ist kein Einzelfall: Derzeit führt das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen knapp 570 Medikamente als nicht oder eingeschränkt verfügbar. Mit diesem Mangel kämpft nicht nur Österreich, sondern die gesamte EU.
Neues Arztrecht
Die Versorgung mit Medikamenten in Zukunft zu verbessern, ist eines der Ziele, die die EU mit einer Überarbeitung des 20 Jahre alten Arzneimittelrechts erreichen will. Daneben soll das aus einer Verordnung und einer Richtlinie bestehende Regelwerk den Zugang zu modernen Arzneimitteln für alle Patienten verbessern und die pharmazeutische Forschung und Entwicklung sowie die Produktion in Europa stärken.
Beides hat in den letzten Jahren gegenüber den USA und Asien massiv an Boden verloren. Ingo Raimon, Präsident des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs PHARMIG, präzisiert: "Egal, ob wir uns Europa aus der Forschungs- oder aus der Produktionsperspektive anschauen, im Vergleich mit anderen Regionen zeigt sich ein eindeutiger Trend und der heißt: Europa wird abgehängt."
Kürzung von geistigen Schutzregeln
Der derzeitige Entwurf, den die EU-Kommission im April dieses Jahres vorgelegt hat, werde diesen Trend allerdings nicht umkehren, sondern sogar verstärken, befürchtet Raimon. Der Grund: Derzeit sind die Forschungsdaten durch die Regulatory Data Protection (RDP) acht Jahre lang geschützt. Daneben genießt der Entwickler einer neuen Arznei zwei weitere Jahre Marktexklusivität.
Die EU will die RDP nun um zwei auf sechs Jahre verkürzen. Zwar können Betriebe eine Verlängerung der Frist beantragen, allerdings ist im Vorhinein nicht sicher, ob diese auch gewährt wird.
Der Vorschlag würde ein willkürliches System schaffen und Unternehmen zwingen, ihre Investitionen de facto für eine RDP-Periode von sechs Jahren auszulegen, befürchtet die PHARMIG. Damit werden Investitionen in Forschung unattraktiver.
Der PHARMIG-Präsident warnt: "Man weicht mit Forschungsprojekten in der Folge dorthin aus, wo man günstigere Rahmenbedingungen für den hohen Risikoeinsatz findet, der die Pharmaforschung prägt." Befürworter von kürzeren Schutzfristen erhoffen sich billigere Medikamente, weil andere Hersteller früher mit Generika, also günstigeren Arznei-Nachbauten, in den Markt einsteigen und somit die Preise drücken.
Längere Wartezeiten
Wenn in Europa nun immer weniger Innovationen entwickelt werden, werden die Patienten zudem länger auf neue Medikamente warten müssen, befürchte Raimon und erklärt: "Dort, wo geforscht wird, haben die Menschen in der Regel auch frühen Zugang zu den neu entwickelten Therapien."
Bei der PHARMIG ist man überzeugt, dass eine bessere Gesundheitsversorgung nicht im Widerspruch zu einem stärkeren Forschungs- und Wirtschaftsstandort stehen muss. Das Problem sei vielmehr, dass die Akteure im Gesundheitssystem sich über ihre eigenen Budgets Gedanken machen und nicht die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten im Fokus haben, wie Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des FCIO, im Interview (siehe Interview) betont.
Dass ein neues Pharmapaket noch vor der EU-Wahl im Juni 2024 beschlossen wird, ist zu bezweifeln. Allein über 3.000 Änderungsanträge im Europaparlament zeigen, wie weit die Positionen auseinanderliegen.
Der Artikel ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.
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